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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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München vor hundert Zaljren.
Von C, A. Regnet, I.

Wer heute die Maximiliansstraße hinabgeht oder die endlos gestreckten
Straßenzeilen der Vorstädte Münchens am linken Jsarnfer entlang schreitet,
nachdem er die schöne Hauptstadt des schönen Vaterlandes vielleicht seit einem
Vierteljahrhundert nicht mehr gesehen, oder wer die Stätten seiner Kinderspiele
wieder aufsucht, der glaubt, in einer fremden Stadt zu sein, so vieles Fremde
tritt ihm aller Orten entgegen; und flüchtet er nach dem Mittelpunkte der
Stadt, um dort liebe alte Erinnerungen zu Pflegen, so findet er auch hier
der Neuerungen so viele, daß er sein altes München kaum mehr erkennt.

Und wie erstaunten Blickes würde ein Münchener von 1777 um sich
schauen, wenn es ihm vergönnt wäre, ans dem "unbekannten Land" zu seiner
alten Heimstätte zurückzukehren. Aber während "aus deß Gebiet kein Wanderer
wiederkehrt", ist es uns Lebenden gestattet, vor unseren Angen die alte Resi¬
denzstadt des gütigen Kurfürsten wieder aufzubauen, wie .jener sie geschaut,
und ihre Straßen mit denselben Menschen zu bevölkern, die sie damals durch¬
wanderten.

Die Erscheinung, welche München vor hundert Jahren und länger noch
nach außen bot, verdankte es den Schweden. Kurfürst Maximilian hatte es
nämlich 1619 nothwendig gefunden, die Stadt wider die Angriffe der pro¬
testantischen Fürsten zu befestigen, und man hatte damit schon im nächsten
Jahre begonnen; die Hauptarbeiten aber fallen in die Jahre 1638 bis 1645,
also in die Zeit des unlieben Besuches der Schweden in deutschen Landen.
In dieser Zeit dürfte namentlich die äußere Stadtmauer entstanden sein, hinter
welcher der Zwinger lag. Die Thore wurden mit in mehreren Winkeln ange¬
legten Zugängen versehen, und außerhalb der Wälle hob man einen tiefen
Graben aus.

Erst im Jahre 1791 kam der Gedanke, daß die dicht am hohen und sie
völlig beherrschenden Stromufer liegende Hauptstadt nicht länger eine fortist-
katorische Bedeutung haben könne, zu praktischer Geltung: Kurfürst Karl
Theodor dekretirte, München habe aufgehört eine Festung zu sein. Aber
natürlich wurden auch da nicht mit einem Male die Wälle nieder- und die
Gräben trocken gelegt und ausgefüllt. Dicht vor den Thoren aber lagen noch
bis ins 19. Jahrhundert herein fette Krautgarten mit Getreidefeldern ab¬
wechselnd, zwischen denen sich vereinzelte Gehöfte und Landhäuser erhoben.


München vor hundert Zaljren.
Von C, A. Regnet, I.

Wer heute die Maximiliansstraße hinabgeht oder die endlos gestreckten
Straßenzeilen der Vorstädte Münchens am linken Jsarnfer entlang schreitet,
nachdem er die schöne Hauptstadt des schönen Vaterlandes vielleicht seit einem
Vierteljahrhundert nicht mehr gesehen, oder wer die Stätten seiner Kinderspiele
wieder aufsucht, der glaubt, in einer fremden Stadt zu sein, so vieles Fremde
tritt ihm aller Orten entgegen; und flüchtet er nach dem Mittelpunkte der
Stadt, um dort liebe alte Erinnerungen zu Pflegen, so findet er auch hier
der Neuerungen so viele, daß er sein altes München kaum mehr erkennt.

Und wie erstaunten Blickes würde ein Münchener von 1777 um sich
schauen, wenn es ihm vergönnt wäre, ans dem „unbekannten Land" zu seiner
alten Heimstätte zurückzukehren. Aber während „aus deß Gebiet kein Wanderer
wiederkehrt", ist es uns Lebenden gestattet, vor unseren Angen die alte Resi¬
denzstadt des gütigen Kurfürsten wieder aufzubauen, wie .jener sie geschaut,
und ihre Straßen mit denselben Menschen zu bevölkern, die sie damals durch¬
wanderten.

Die Erscheinung, welche München vor hundert Jahren und länger noch
nach außen bot, verdankte es den Schweden. Kurfürst Maximilian hatte es
nämlich 1619 nothwendig gefunden, die Stadt wider die Angriffe der pro¬
testantischen Fürsten zu befestigen, und man hatte damit schon im nächsten
Jahre begonnen; die Hauptarbeiten aber fallen in die Jahre 1638 bis 1645,
also in die Zeit des unlieben Besuches der Schweden in deutschen Landen.
In dieser Zeit dürfte namentlich die äußere Stadtmauer entstanden sein, hinter
welcher der Zwinger lag. Die Thore wurden mit in mehreren Winkeln ange¬
legten Zugängen versehen, und außerhalb der Wälle hob man einen tiefen
Graben aus.

Erst im Jahre 1791 kam der Gedanke, daß die dicht am hohen und sie
völlig beherrschenden Stromufer liegende Hauptstadt nicht länger eine fortist-
katorische Bedeutung haben könne, zu praktischer Geltung: Kurfürst Karl
Theodor dekretirte, München habe aufgehört eine Festung zu sein. Aber
natürlich wurden auch da nicht mit einem Male die Wälle nieder- und die
Gräben trocken gelegt und ausgefüllt. Dicht vor den Thoren aber lagen noch
bis ins 19. Jahrhundert herein fette Krautgarten mit Getreidefeldern ab¬
wechselnd, zwischen denen sich vereinzelte Gehöfte und Landhäuser erhoben.


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[0348] München vor hundert Zaljren. Von C, A. Regnet, I. Wer heute die Maximiliansstraße hinabgeht oder die endlos gestreckten Straßenzeilen der Vorstädte Münchens am linken Jsarnfer entlang schreitet, nachdem er die schöne Hauptstadt des schönen Vaterlandes vielleicht seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr gesehen, oder wer die Stätten seiner Kinderspiele wieder aufsucht, der glaubt, in einer fremden Stadt zu sein, so vieles Fremde tritt ihm aller Orten entgegen; und flüchtet er nach dem Mittelpunkte der Stadt, um dort liebe alte Erinnerungen zu Pflegen, so findet er auch hier der Neuerungen so viele, daß er sein altes München kaum mehr erkennt. Und wie erstaunten Blickes würde ein Münchener von 1777 um sich schauen, wenn es ihm vergönnt wäre, ans dem „unbekannten Land" zu seiner alten Heimstätte zurückzukehren. Aber während „aus deß Gebiet kein Wanderer wiederkehrt", ist es uns Lebenden gestattet, vor unseren Angen die alte Resi¬ denzstadt des gütigen Kurfürsten wieder aufzubauen, wie .jener sie geschaut, und ihre Straßen mit denselben Menschen zu bevölkern, die sie damals durch¬ wanderten. Die Erscheinung, welche München vor hundert Jahren und länger noch nach außen bot, verdankte es den Schweden. Kurfürst Maximilian hatte es nämlich 1619 nothwendig gefunden, die Stadt wider die Angriffe der pro¬ testantischen Fürsten zu befestigen, und man hatte damit schon im nächsten Jahre begonnen; die Hauptarbeiten aber fallen in die Jahre 1638 bis 1645, also in die Zeit des unlieben Besuches der Schweden in deutschen Landen. In dieser Zeit dürfte namentlich die äußere Stadtmauer entstanden sein, hinter welcher der Zwinger lag. Die Thore wurden mit in mehreren Winkeln ange¬ legten Zugängen versehen, und außerhalb der Wälle hob man einen tiefen Graben aus. Erst im Jahre 1791 kam der Gedanke, daß die dicht am hohen und sie völlig beherrschenden Stromufer liegende Hauptstadt nicht länger eine fortist- katorische Bedeutung haben könne, zu praktischer Geltung: Kurfürst Karl Theodor dekretirte, München habe aufgehört eine Festung zu sein. Aber natürlich wurden auch da nicht mit einem Male die Wälle nieder- und die Gräben trocken gelegt und ausgefüllt. Dicht vor den Thoren aber lagen noch bis ins 19. Jahrhundert herein fette Krautgarten mit Getreidefeldern ab¬ wechselnd, zwischen denen sich vereinzelte Gehöfte und Landhäuser erhoben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/348>, abgerufen am 28.09.2024.