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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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studiren, und so strömte denn aus Griechenland und Italien, aus Kleinasien
und vom Pontus Euxinus, aus Syrien, Arabien und Aegypten die Blüthe
der männlichen Jugend, Jünglinge von 16 Jahren und schon reifere Männer,
die vornehmeren und reicheren begleitet von ihren Pädagogen, in Athen zu¬
sammen, um dessen viel bewunderte Sophisten und Philosophen zu hören.
Schon am Hafen wurden die Ankömmlinge von älteren Studenten empfangen,
in die Stadt geführt und wo möglich sofort für eine bestimmte Landsmann¬
schaft, meist die ihrer heimatlichen Provinz, und damit zugleich für den Un¬
terricht bestimmter Lehrer gewonnen. Denn die Studentenschaft theilte sich in
Landsmannschaften unter Vorstehern, die eine große Rolle anch im akademisch¬
wissenschaftlichen Leben spielten. Das Eigenthümliche an diesen Landsmann¬
schaften war nämlich das, daß jede von ihnen mit gewissen Lehrern der Hoch¬
schule im innigsten Zusammenhange stand. Alle ihre Glieder mußten die
Vorlesungen gerade dieser Lehrer besuchen, sie mußten darauf ausgehen, für
ihre Schulen Jünger zu gewinnen und andern Lehrern Zuhörer abwendig zu
machen, und so groß war dieser Eifer, daß sie in den Ferien als Emissäre in
die Provinzen reisten und für ihre Landsmannschaft und die Lehrer, welchen
diese anhing, Propaganda machten. Gerade dadurch wurden die Streitigkeiten
und Eifersüchteleien der Lehrer an der Hochschule so bitter und häufig so
tnrbnlent, daß jeder derselben über einen Haufen begeisterter Anhänger gebot,
denen es für eine Bethätigung ihres wissenschaftlichen Eifers galt, einmal in
das Auditorium seines Gegners einzudringen und mit Lärmen und Schreien
dessen Unterricht zu unterbrechen oder die Disputation in einer fremden und
feindlichen Schule in einen regelrechten Faustkampf zu verwandeln. Und doch,
trotz dieser Auswüchse war eine solche Schwärmerei für einen Lehrer und eine
Lehre, in der sich eine ganze Landsmannschaft zusammenfand, noch ein gehalt¬
volleres Ideal, als die Interessen, welche die deutschen Studenten in den Zeiten
des rohen Pennalismns nach dem dreißigjährigen Kriege bewegten und ge¬
wissen Kreisen derselben in verfeinerter Gestalt auch heute noch nicht ganz
fremd geworden sind.

Allein mit der Ankunft in Athen und dein Anschluß an eine Landsmann¬
schaft wurde man noch nicht sofort Student. Basilius und Gregor von
Nazianz, zwei kappadokische Jünglinge ans christlichen Familien und später
berühmte Kirchenlehrer, die im vierten Jahrhundert die Hochschule von Athen
bezogen, wissen davon noch Anderes zu berichten. Die Studenten hatten einen
Einmeihnngsritus eingeführt. Bei Abend nnter Fackelschein wurden die Neu¬
angekommenen, von einem großen Häuser ihrer Kommilitonen begleitet, in ein
Bad geführt. Auf dem Wege wurden sie dnrch plötzliche Angriffe erschreckt;
man verweigerte thuen scheinbar den Eintritt in das Bad, bis sie ihn sich er-


Grenzboten III. 1377. 42

studiren, und so strömte denn aus Griechenland und Italien, aus Kleinasien
und vom Pontus Euxinus, aus Syrien, Arabien und Aegypten die Blüthe
der männlichen Jugend, Jünglinge von 16 Jahren und schon reifere Männer,
die vornehmeren und reicheren begleitet von ihren Pädagogen, in Athen zu¬
sammen, um dessen viel bewunderte Sophisten und Philosophen zu hören.
Schon am Hafen wurden die Ankömmlinge von älteren Studenten empfangen,
in die Stadt geführt und wo möglich sofort für eine bestimmte Landsmann¬
schaft, meist die ihrer heimatlichen Provinz, und damit zugleich für den Un¬
terricht bestimmter Lehrer gewonnen. Denn die Studentenschaft theilte sich in
Landsmannschaften unter Vorstehern, die eine große Rolle anch im akademisch¬
wissenschaftlichen Leben spielten. Das Eigenthümliche an diesen Landsmann¬
schaften war nämlich das, daß jede von ihnen mit gewissen Lehrern der Hoch¬
schule im innigsten Zusammenhange stand. Alle ihre Glieder mußten die
Vorlesungen gerade dieser Lehrer besuchen, sie mußten darauf ausgehen, für
ihre Schulen Jünger zu gewinnen und andern Lehrern Zuhörer abwendig zu
machen, und so groß war dieser Eifer, daß sie in den Ferien als Emissäre in
die Provinzen reisten und für ihre Landsmannschaft und die Lehrer, welchen
diese anhing, Propaganda machten. Gerade dadurch wurden die Streitigkeiten
und Eifersüchteleien der Lehrer an der Hochschule so bitter und häufig so
tnrbnlent, daß jeder derselben über einen Haufen begeisterter Anhänger gebot,
denen es für eine Bethätigung ihres wissenschaftlichen Eifers galt, einmal in
das Auditorium seines Gegners einzudringen und mit Lärmen und Schreien
dessen Unterricht zu unterbrechen oder die Disputation in einer fremden und
feindlichen Schule in einen regelrechten Faustkampf zu verwandeln. Und doch,
trotz dieser Auswüchse war eine solche Schwärmerei für einen Lehrer und eine
Lehre, in der sich eine ganze Landsmannschaft zusammenfand, noch ein gehalt¬
volleres Ideal, als die Interessen, welche die deutschen Studenten in den Zeiten
des rohen Pennalismns nach dem dreißigjährigen Kriege bewegten und ge¬
wissen Kreisen derselben in verfeinerter Gestalt auch heute noch nicht ganz
fremd geworden sind.

Allein mit der Ankunft in Athen und dein Anschluß an eine Landsmann¬
schaft wurde man noch nicht sofort Student. Basilius und Gregor von
Nazianz, zwei kappadokische Jünglinge ans christlichen Familien und später
berühmte Kirchenlehrer, die im vierten Jahrhundert die Hochschule von Athen
bezogen, wissen davon noch Anderes zu berichten. Die Studenten hatten einen
Einmeihnngsritus eingeführt. Bei Abend nnter Fackelschein wurden die Neu¬
angekommenen, von einem großen Häuser ihrer Kommilitonen begleitet, in ein
Bad geführt. Auf dem Wege wurden sie dnrch plötzliche Angriffe erschreckt;
man verweigerte thuen scheinbar den Eintritt in das Bad, bis sie ihn sich er-


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[0337] studiren, und so strömte denn aus Griechenland und Italien, aus Kleinasien und vom Pontus Euxinus, aus Syrien, Arabien und Aegypten die Blüthe der männlichen Jugend, Jünglinge von 16 Jahren und schon reifere Männer, die vornehmeren und reicheren begleitet von ihren Pädagogen, in Athen zu¬ sammen, um dessen viel bewunderte Sophisten und Philosophen zu hören. Schon am Hafen wurden die Ankömmlinge von älteren Studenten empfangen, in die Stadt geführt und wo möglich sofort für eine bestimmte Landsmann¬ schaft, meist die ihrer heimatlichen Provinz, und damit zugleich für den Un¬ terricht bestimmter Lehrer gewonnen. Denn die Studentenschaft theilte sich in Landsmannschaften unter Vorstehern, die eine große Rolle anch im akademisch¬ wissenschaftlichen Leben spielten. Das Eigenthümliche an diesen Landsmann¬ schaften war nämlich das, daß jede von ihnen mit gewissen Lehrern der Hoch¬ schule im innigsten Zusammenhange stand. Alle ihre Glieder mußten die Vorlesungen gerade dieser Lehrer besuchen, sie mußten darauf ausgehen, für ihre Schulen Jünger zu gewinnen und andern Lehrern Zuhörer abwendig zu machen, und so groß war dieser Eifer, daß sie in den Ferien als Emissäre in die Provinzen reisten und für ihre Landsmannschaft und die Lehrer, welchen diese anhing, Propaganda machten. Gerade dadurch wurden die Streitigkeiten und Eifersüchteleien der Lehrer an der Hochschule so bitter und häufig so tnrbnlent, daß jeder derselben über einen Haufen begeisterter Anhänger gebot, denen es für eine Bethätigung ihres wissenschaftlichen Eifers galt, einmal in das Auditorium seines Gegners einzudringen und mit Lärmen und Schreien dessen Unterricht zu unterbrechen oder die Disputation in einer fremden und feindlichen Schule in einen regelrechten Faustkampf zu verwandeln. Und doch, trotz dieser Auswüchse war eine solche Schwärmerei für einen Lehrer und eine Lehre, in der sich eine ganze Landsmannschaft zusammenfand, noch ein gehalt¬ volleres Ideal, als die Interessen, welche die deutschen Studenten in den Zeiten des rohen Pennalismns nach dem dreißigjährigen Kriege bewegten und ge¬ wissen Kreisen derselben in verfeinerter Gestalt auch heute noch nicht ganz fremd geworden sind. Allein mit der Ankunft in Athen und dein Anschluß an eine Landsmann¬ schaft wurde man noch nicht sofort Student. Basilius und Gregor von Nazianz, zwei kappadokische Jünglinge ans christlichen Familien und später berühmte Kirchenlehrer, die im vierten Jahrhundert die Hochschule von Athen bezogen, wissen davon noch Anderes zu berichten. Die Studenten hatten einen Einmeihnngsritus eingeführt. Bei Abend nnter Fackelschein wurden die Neu¬ angekommenen, von einem großen Häuser ihrer Kommilitonen begleitet, in ein Bad geführt. Auf dem Wege wurden sie dnrch plötzliche Angriffe erschreckt; man verweigerte thuen scheinbar den Eintritt in das Bad, bis sie ihn sich er- Grenzboten III. 1377. 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/337>, abgerufen am 28.09.2024.