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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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in gleichem Maße zu Gute kommen müßten, als sieben Jahre früher die Nie¬
derlagen im französisch-italienischen Feldzuge. Und ebenso mannhaft bekämpfte
er dann, meist in direktem Gegensatz zu der Strömung des Tages, die Götzen,
denen Wien und Oesterreich gerade zu Füßen lag. Die undeutsche und unfreie
Politik eines Schmerling, Beust, Hvheuwart und kleinerer, wenn auch ver¬
wandter Geister, wie eines Hofrath Klaezkvw, die Anmaßungen und Strebun-
gen der Jesuiten und Ultramontanen haben nirgends in der Welt eine ver¬
nichtendere Kritik erfahren, als in den "Wiener Spaziergängen". Ueberall zeigt
sich hier spitzer als eben so guter Oesterreicher, wie als natürlicher Bundes¬
genosse unserer deutschen Denkart und Beurtheilung. Deshalb sind auch gerade
bei uns seine in Buchform gesammelten Feuilletons, selbst die ältesten, noch
heute gern gelesen und in unsern Augen keineswegs veraltet.

Die Opposition gegen Tagesmeinungen und Tagesgötzen allein hätten
indeß spitzer den großen Erfolg, den er errungen, keinesfalls erworben. Dazu
beigetragen hat gewiß auch diese Offenherzigkeit und sein kühnes Vorgehen
gegei: die Person, der sein Angriff galt, so hoch sie immer stehen mochte. In
dem Lande, das mit am spätesten die härtesten Fesseln gegen die Presse und
andere Formen öffentlicher Meinungsäußerung abstreifte und noch heute davon
jederzeit so viele sich bereit hält, daß fast willkürlich erscheinende Konfiskationen
von Zeitungen u. s. w. an der Tagesordnung sind, mußten Angriffe, wie sie
spitzer gegen die Mächtigsten im Staate richtete, Angriffe, welche stets die
Person, nicht die Grundsätze des Opfers der spitzer'schen Satire dein unaus¬
löschlichen Gelächter Aller preisgaben, schou an sich die größte Aufmerksamkeit
erregen. Aber der Zauber der "Spaziergänge" Spitzers, der Wien unwider¬
stehlich fesselte und heute dieselben ganz Wien und noch sehr vielen außer
Wien unentbehrlich macht, liegt doch in zwei anderen Momenten. Einmal
nämlich knüpft spitzer stets an ein Wochenereiguiß von scheinbar rein lokaler
Färbung an, das zudem noch in Aller Mund lebt und darum für N iemaudeu
der Erläuterung bedarf. Auch dieses Ereigniß, das er sammt den dabei han¬
delnden Personen ins Komische zu kehren versteht, konzentrirt er die scharfen
Geißelhiebe seiner Satire. Und dann bietet er seine Gedanken in einer Form,
die in der Hauptsache als mustergiltig bezeichnet werden kann. Zwei, drei,
höchstens vier kleine Spalten eines Feuilletons -- sehr selten, etwa wenn über
einem Mosenthal'schen Trauerspiel ihm die Galle überlief, wurde es mehr
das ist Alles, was spitzer die Woche durch schreibt, und dafür bezieht er ein
Honorar, von welchem ein Junggeselle in Wien sehr erträglich leben kann,
namentlich wenn diese Feuilletons später in Buchform auch noch Liebhaber für
mehrere Auflagen finden. Dafür aber steckt in diesen kurzen Artikeln auch die
volle Arbeit einer Woche. Die Auswahl des Stoffes, die Anordnung dessel-


in gleichem Maße zu Gute kommen müßten, als sieben Jahre früher die Nie¬
derlagen im französisch-italienischen Feldzuge. Und ebenso mannhaft bekämpfte
er dann, meist in direktem Gegensatz zu der Strömung des Tages, die Götzen,
denen Wien und Oesterreich gerade zu Füßen lag. Die undeutsche und unfreie
Politik eines Schmerling, Beust, Hvheuwart und kleinerer, wenn auch ver¬
wandter Geister, wie eines Hofrath Klaezkvw, die Anmaßungen und Strebun-
gen der Jesuiten und Ultramontanen haben nirgends in der Welt eine ver¬
nichtendere Kritik erfahren, als in den „Wiener Spaziergängen". Ueberall zeigt
sich hier spitzer als eben so guter Oesterreicher, wie als natürlicher Bundes¬
genosse unserer deutschen Denkart und Beurtheilung. Deshalb sind auch gerade
bei uns seine in Buchform gesammelten Feuilletons, selbst die ältesten, noch
heute gern gelesen und in unsern Augen keineswegs veraltet.

Die Opposition gegen Tagesmeinungen und Tagesgötzen allein hätten
indeß spitzer den großen Erfolg, den er errungen, keinesfalls erworben. Dazu
beigetragen hat gewiß auch diese Offenherzigkeit und sein kühnes Vorgehen
gegei: die Person, der sein Angriff galt, so hoch sie immer stehen mochte. In
dem Lande, das mit am spätesten die härtesten Fesseln gegen die Presse und
andere Formen öffentlicher Meinungsäußerung abstreifte und noch heute davon
jederzeit so viele sich bereit hält, daß fast willkürlich erscheinende Konfiskationen
von Zeitungen u. s. w. an der Tagesordnung sind, mußten Angriffe, wie sie
spitzer gegen die Mächtigsten im Staate richtete, Angriffe, welche stets die
Person, nicht die Grundsätze des Opfers der spitzer'schen Satire dein unaus¬
löschlichen Gelächter Aller preisgaben, schou an sich die größte Aufmerksamkeit
erregen. Aber der Zauber der „Spaziergänge" Spitzers, der Wien unwider¬
stehlich fesselte und heute dieselben ganz Wien und noch sehr vielen außer
Wien unentbehrlich macht, liegt doch in zwei anderen Momenten. Einmal
nämlich knüpft spitzer stets an ein Wochenereiguiß von scheinbar rein lokaler
Färbung an, das zudem noch in Aller Mund lebt und darum für N iemaudeu
der Erläuterung bedarf. Auch dieses Ereigniß, das er sammt den dabei han¬
delnden Personen ins Komische zu kehren versteht, konzentrirt er die scharfen
Geißelhiebe seiner Satire. Und dann bietet er seine Gedanken in einer Form,
die in der Hauptsache als mustergiltig bezeichnet werden kann. Zwei, drei,
höchstens vier kleine Spalten eines Feuilletons — sehr selten, etwa wenn über
einem Mosenthal'schen Trauerspiel ihm die Galle überlief, wurde es mehr
das ist Alles, was spitzer die Woche durch schreibt, und dafür bezieht er ein
Honorar, von welchem ein Junggeselle in Wien sehr erträglich leben kann,
namentlich wenn diese Feuilletons später in Buchform auch noch Liebhaber für
mehrere Auflagen finden. Dafür aber steckt in diesen kurzen Artikeln auch die
volle Arbeit einer Woche. Die Auswahl des Stoffes, die Anordnung dessel-


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[0324] in gleichem Maße zu Gute kommen müßten, als sieben Jahre früher die Nie¬ derlagen im französisch-italienischen Feldzuge. Und ebenso mannhaft bekämpfte er dann, meist in direktem Gegensatz zu der Strömung des Tages, die Götzen, denen Wien und Oesterreich gerade zu Füßen lag. Die undeutsche und unfreie Politik eines Schmerling, Beust, Hvheuwart und kleinerer, wenn auch ver¬ wandter Geister, wie eines Hofrath Klaezkvw, die Anmaßungen und Strebun- gen der Jesuiten und Ultramontanen haben nirgends in der Welt eine ver¬ nichtendere Kritik erfahren, als in den „Wiener Spaziergängen". Ueberall zeigt sich hier spitzer als eben so guter Oesterreicher, wie als natürlicher Bundes¬ genosse unserer deutschen Denkart und Beurtheilung. Deshalb sind auch gerade bei uns seine in Buchform gesammelten Feuilletons, selbst die ältesten, noch heute gern gelesen und in unsern Augen keineswegs veraltet. Die Opposition gegen Tagesmeinungen und Tagesgötzen allein hätten indeß spitzer den großen Erfolg, den er errungen, keinesfalls erworben. Dazu beigetragen hat gewiß auch diese Offenherzigkeit und sein kühnes Vorgehen gegei: die Person, der sein Angriff galt, so hoch sie immer stehen mochte. In dem Lande, das mit am spätesten die härtesten Fesseln gegen die Presse und andere Formen öffentlicher Meinungsäußerung abstreifte und noch heute davon jederzeit so viele sich bereit hält, daß fast willkürlich erscheinende Konfiskationen von Zeitungen u. s. w. an der Tagesordnung sind, mußten Angriffe, wie sie spitzer gegen die Mächtigsten im Staate richtete, Angriffe, welche stets die Person, nicht die Grundsätze des Opfers der spitzer'schen Satire dein unaus¬ löschlichen Gelächter Aller preisgaben, schou an sich die größte Aufmerksamkeit erregen. Aber der Zauber der „Spaziergänge" Spitzers, der Wien unwider¬ stehlich fesselte und heute dieselben ganz Wien und noch sehr vielen außer Wien unentbehrlich macht, liegt doch in zwei anderen Momenten. Einmal nämlich knüpft spitzer stets an ein Wochenereiguiß von scheinbar rein lokaler Färbung an, das zudem noch in Aller Mund lebt und darum für N iemaudeu der Erläuterung bedarf. Auch dieses Ereigniß, das er sammt den dabei han¬ delnden Personen ins Komische zu kehren versteht, konzentrirt er die scharfen Geißelhiebe seiner Satire. Und dann bietet er seine Gedanken in einer Form, die in der Hauptsache als mustergiltig bezeichnet werden kann. Zwei, drei, höchstens vier kleine Spalten eines Feuilletons — sehr selten, etwa wenn über einem Mosenthal'schen Trauerspiel ihm die Galle überlief, wurde es mehr das ist Alles, was spitzer die Woche durch schreibt, und dafür bezieht er ein Honorar, von welchem ein Junggeselle in Wien sehr erträglich leben kann, namentlich wenn diese Feuilletons später in Buchform auch noch Liebhaber für mehrere Auflagen finden. Dafür aber steckt in diesen kurzen Artikeln auch die volle Arbeit einer Woche. Die Auswahl des Stoffes, die Anordnung dessel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/324>, abgerufen am 21.10.2024.