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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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scharfsinnigen Nachdenkens und eines mich immer sehr lebhaften Geistes, und
außerdem war er ein jovialer Greis, der in den kärglichen Abendgesellschaften, die
er nicht besser geben konnte, alles übertraf, was man von einem jungen geist¬
reichen Manne im Pnnkte launiger Unterhaltung erwarten konnte.

So pedantisch Wiener die Pandekten vordiktirte -- er las erst ein Wort,
dann das andere, darauf beide, hiernach das dritte und schließlich alle drei --
so angenehm wußte Dr. Pohl seine Institutionen den Studenten vorzutragen.
Er las über sie lateinisch, und zwar mit der Sprachgewandtheit eines Cieero,
und wußte durch Fragen seine Zuhörer aufzumuntern. Oft erhielt er treffende
Antworten, jedoch verstand er auch die Antworten selbst zu geben, wenn der
Gefragte stockte. Ungern ließ er sich nach dem Compendium antworten, er
verlangte Selbstdenken und eigene Definition des Schülers, was damals selten
gewesen sein wird. Mit seiner Beredsamkeit war echte edle Bescheidenheit ver¬
bunden, und sein Urtheil über Andere war von liebenswürdiger Milde. Er
studirte so fleißig, daß er in der Nacht, von seinen Folianten umgeben, mit
den Geistern derselben im fließendsten anmuthigsten Latein zu disputiren Pflegte.

Ein anderer angenehmer Lehrer war der Privatdocent Erhardt, der sich
besonders dem Staatsrecht gewidmet hatte. Auf deu Vorschlag Roseus, der
mit ihm noch zusammen studirt hatte, fing er ein Collegium über Gesaudt-
schnftsrecht an, bei dem er sieben Zuhörer hatte. Als nnn der sächsische Minister
v. Berlepsch, der auch Kurator der leipziger Universität war, einmal nach
Leipzig kam, und Erhardt als angehender Docent sich darauf gefaßt machen
mußte, von ihm mit einem Besuche beehrt zu werden, bat er Rosen, ihm für
die Oecasion ein paar Zuhörer mehr zu besorgen. "Ich wirkte," erzählt dieser,
"bei alleu meinen Bekannten dahin mit der Bitte, sie möchten die ihrigen auch
dazu aufmuntern, Erhardt selbst aber davon nichts wissen lassen, damit er
von unsrer Theilnahme um so mehr überrascht würde. Als ich in den Hörsaal
trat, sand ich ihn schon zur Hälfte mit Studenten gefüllt, welche sich so ver¬
mehrten, daß, als Erhardt erschien, der ganze Raum voll Menschen war.
Das machte aber auf ihn einen solchen Eindruck, daß er, bis zu Thränen ge¬
rührt, die Bewegung seines Herzens nur mit stockender Stimme anzusprechen
im Stande war. Nicht lange darauf erschien auch Berlepsch in seinem ge¬
stickten Kleide, und er war sichtlich erstaunt, bei einem so jungen Docenten
eine solche Menge von Zuhörern anzutreffen. Noch mehr aber hat es ihn
vermuthlich verwundert, daß sich in Leipzig so Viele auf das Gesandtschafts¬
recht gelegt hatten, daß Doctor Erhardt ganz Europa mit Botschaftern, Ge¬
sandten, Ministerresidenten und Legativnsräthen hätte versorgen können."

Ein damals ebenso durch komische Einfälle wie durch Gelehrsamkeit sich
auszeichnender Docent war der Dr. ,jnr. Hommel. Vielleicht erinnern sich


scharfsinnigen Nachdenkens und eines mich immer sehr lebhaften Geistes, und
außerdem war er ein jovialer Greis, der in den kärglichen Abendgesellschaften, die
er nicht besser geben konnte, alles übertraf, was man von einem jungen geist¬
reichen Manne im Pnnkte launiger Unterhaltung erwarten konnte.

So pedantisch Wiener die Pandekten vordiktirte — er las erst ein Wort,
dann das andere, darauf beide, hiernach das dritte und schließlich alle drei —
so angenehm wußte Dr. Pohl seine Institutionen den Studenten vorzutragen.
Er las über sie lateinisch, und zwar mit der Sprachgewandtheit eines Cieero,
und wußte durch Fragen seine Zuhörer aufzumuntern. Oft erhielt er treffende
Antworten, jedoch verstand er auch die Antworten selbst zu geben, wenn der
Gefragte stockte. Ungern ließ er sich nach dem Compendium antworten, er
verlangte Selbstdenken und eigene Definition des Schülers, was damals selten
gewesen sein wird. Mit seiner Beredsamkeit war echte edle Bescheidenheit ver¬
bunden, und sein Urtheil über Andere war von liebenswürdiger Milde. Er
studirte so fleißig, daß er in der Nacht, von seinen Folianten umgeben, mit
den Geistern derselben im fließendsten anmuthigsten Latein zu disputiren Pflegte.

Ein anderer angenehmer Lehrer war der Privatdocent Erhardt, der sich
besonders dem Staatsrecht gewidmet hatte. Auf deu Vorschlag Roseus, der
mit ihm noch zusammen studirt hatte, fing er ein Collegium über Gesaudt-
schnftsrecht an, bei dem er sieben Zuhörer hatte. Als nnn der sächsische Minister
v. Berlepsch, der auch Kurator der leipziger Universität war, einmal nach
Leipzig kam, und Erhardt als angehender Docent sich darauf gefaßt machen
mußte, von ihm mit einem Besuche beehrt zu werden, bat er Rosen, ihm für
die Oecasion ein paar Zuhörer mehr zu besorgen. „Ich wirkte," erzählt dieser,
„bei alleu meinen Bekannten dahin mit der Bitte, sie möchten die ihrigen auch
dazu aufmuntern, Erhardt selbst aber davon nichts wissen lassen, damit er
von unsrer Theilnahme um so mehr überrascht würde. Als ich in den Hörsaal
trat, sand ich ihn schon zur Hälfte mit Studenten gefüllt, welche sich so ver¬
mehrten, daß, als Erhardt erschien, der ganze Raum voll Menschen war.
Das machte aber auf ihn einen solchen Eindruck, daß er, bis zu Thränen ge¬
rührt, die Bewegung seines Herzens nur mit stockender Stimme anzusprechen
im Stande war. Nicht lange darauf erschien auch Berlepsch in seinem ge¬
stickten Kleide, und er war sichtlich erstaunt, bei einem so jungen Docenten
eine solche Menge von Zuhörern anzutreffen. Noch mehr aber hat es ihn
vermuthlich verwundert, daß sich in Leipzig so Viele auf das Gesandtschafts¬
recht gelegt hatten, daß Doctor Erhardt ganz Europa mit Botschaftern, Ge¬
sandten, Ministerresidenten und Legativnsräthen hätte versorgen können."

Ein damals ebenso durch komische Einfälle wie durch Gelehrsamkeit sich
auszeichnender Docent war der Dr. ,jnr. Hommel. Vielleicht erinnern sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/314>, abgerufen am 29.09.2024.