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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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"Unter dem Aeqnator", sagt, wie Peschel uns mittheilt, ein arabischer
Kosmograph des dreizehnten Jahrhunderts, "in der Mitte der Welt, da, wo
wir keine Breitengrade zählen, liegt ein Punkt, der 90 Grad von jedem der
vier Kardinalpunkte entfernt ist. An diesem Orte befindet sich die Stelle, welche
die Kuppel von Azin oder Arin heißt. Dort ist ein großes hohes und unzu¬
gängliches Schloß, das nach Ihr al Arabi bösen Geistern zum Aufenthalt und
dem Ibus (Teufel) zum Throne dient". Das Mittelalter besaß also das Talent,
selbst den Satan zu lvkalisiren. Vielleicht hätte sich der Fleiß der Gelehrten
nicht auf die Erforschung dieses räthselhnfteu Arm gerichtet, wenn uicht Co-
lumbus in dem Bericht über seine dritte Reise nach Amerika des Ortes gedacht
hätte, den er eine Insel nennt und unter den Aequator zwischen den persischen
und den arabischen Meerlinsen versetzt. Columbus aber hatte sein Wissen ans
den Werken des Alliacus geschöpft, welcher an zwei Stellen Arius gedenkt. An
der einen sagt er: "In dem Buche über den Plantenlauf wird von einem
doppelten Syene gesprochen, einem unter dem Wendekreise (Assuan an der ägyp¬
tisch-nubischen Grenze) und einem uuter dem Aequator, mit dem wir es hier
zu thun haben. Dieß ist aber die Stadt Arin, welche die Mathematiker in
die Mitte der bewohnten Erde unter den Aequator versetzen, da sie in gleichem
Abstände von Osten und Westen, Süden und Norden sich befindet, womit der
Vvlksirrthum widerlegt wird, Jerusalem liege in der Mitte der Welt." An
dem andern Orte spricht er wieder von einem doppelten. Arin und bestreitet, daß
das äquatoriale Syene oder Arin 90 Grad östlich und westlich von den Grenzen
der bewohnten Erde liege.

Warum aber versetzte man in die im Mittelpunkt unsrer Erdhalbkugel
angenommene Stadt den Thron und Hofhalt des Teufels? Gerhard von Cre-
mona, der im zwölften Jahrhundert in Spanien lebte, übersetzte die im Jahre
1070 zu. Toledo verfaßten astronomischen Tafeln des Adi: Jschak Ibrahim
mit dem Beinahmen Ihr Alzerkala. Der Uebersetzer gibt darin den Meridian
von Toledo auf 61 Grad westlicher Länge von Arin an. Hier zeigt sich
denn gleich die auffallende Brauchbarkeit eines Meridians, der, wie man. an¬
nahm, die bewohnte Welt in zwei Hälften zerschnitt. In der That führten die
Araber bereits aus, was später in Frankreich und England geschah. Wie man
dort die Längen nach den Meridianen von Paris und Greenwich berechnet, so
berechneten die Araber die ihrigen nach einem idealen Meridian, für den sie
eine Stadt erfinden mußten, wenn keine vorhanden war, die zu ihrem Systeme
paßte. Man muß erstaunen, daß die Astronomen von Toledo sich diese Me¬
thode so schnell aneigneten, die ihnen vom Heimathlande ihrer Nation zuge¬
führt wurde. Populär ist diese Längcnberechnnng, bei den Geographen
wenigstens, nie geworden oder geblieben; denn Edrisi spricht gar nicht von


„Unter dem Aeqnator", sagt, wie Peschel uns mittheilt, ein arabischer
Kosmograph des dreizehnten Jahrhunderts, „in der Mitte der Welt, da, wo
wir keine Breitengrade zählen, liegt ein Punkt, der 90 Grad von jedem der
vier Kardinalpunkte entfernt ist. An diesem Orte befindet sich die Stelle, welche
die Kuppel von Azin oder Arin heißt. Dort ist ein großes hohes und unzu¬
gängliches Schloß, das nach Ihr al Arabi bösen Geistern zum Aufenthalt und
dem Ibus (Teufel) zum Throne dient". Das Mittelalter besaß also das Talent,
selbst den Satan zu lvkalisiren. Vielleicht hätte sich der Fleiß der Gelehrten
nicht auf die Erforschung dieses räthselhnfteu Arm gerichtet, wenn uicht Co-
lumbus in dem Bericht über seine dritte Reise nach Amerika des Ortes gedacht
hätte, den er eine Insel nennt und unter den Aequator zwischen den persischen
und den arabischen Meerlinsen versetzt. Columbus aber hatte sein Wissen ans
den Werken des Alliacus geschöpft, welcher an zwei Stellen Arius gedenkt. An
der einen sagt er: „In dem Buche über den Plantenlauf wird von einem
doppelten Syene gesprochen, einem unter dem Wendekreise (Assuan an der ägyp¬
tisch-nubischen Grenze) und einem uuter dem Aequator, mit dem wir es hier
zu thun haben. Dieß ist aber die Stadt Arin, welche die Mathematiker in
die Mitte der bewohnten Erde unter den Aequator versetzen, da sie in gleichem
Abstände von Osten und Westen, Süden und Norden sich befindet, womit der
Vvlksirrthum widerlegt wird, Jerusalem liege in der Mitte der Welt." An
dem andern Orte spricht er wieder von einem doppelten. Arin und bestreitet, daß
das äquatoriale Syene oder Arin 90 Grad östlich und westlich von den Grenzen
der bewohnten Erde liege.

Warum aber versetzte man in die im Mittelpunkt unsrer Erdhalbkugel
angenommene Stadt den Thron und Hofhalt des Teufels? Gerhard von Cre-
mona, der im zwölften Jahrhundert in Spanien lebte, übersetzte die im Jahre
1070 zu. Toledo verfaßten astronomischen Tafeln des Adi: Jschak Ibrahim
mit dem Beinahmen Ihr Alzerkala. Der Uebersetzer gibt darin den Meridian
von Toledo auf 61 Grad westlicher Länge von Arin an. Hier zeigt sich
denn gleich die auffallende Brauchbarkeit eines Meridians, der, wie man. an¬
nahm, die bewohnte Welt in zwei Hälften zerschnitt. In der That führten die
Araber bereits aus, was später in Frankreich und England geschah. Wie man
dort die Längen nach den Meridianen von Paris und Greenwich berechnet, so
berechneten die Araber die ihrigen nach einem idealen Meridian, für den sie
eine Stadt erfinden mußten, wenn keine vorhanden war, die zu ihrem Systeme
paßte. Man muß erstaunen, daß die Astronomen von Toledo sich diese Me¬
thode so schnell aneigneten, die ihnen vom Heimathlande ihrer Nation zuge¬
führt wurde. Populär ist diese Längcnberechnnng, bei den Geographen
wenigstens, nie geworden oder geblieben; denn Edrisi spricht gar nicht von


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[0286] „Unter dem Aeqnator", sagt, wie Peschel uns mittheilt, ein arabischer Kosmograph des dreizehnten Jahrhunderts, „in der Mitte der Welt, da, wo wir keine Breitengrade zählen, liegt ein Punkt, der 90 Grad von jedem der vier Kardinalpunkte entfernt ist. An diesem Orte befindet sich die Stelle, welche die Kuppel von Azin oder Arin heißt. Dort ist ein großes hohes und unzu¬ gängliches Schloß, das nach Ihr al Arabi bösen Geistern zum Aufenthalt und dem Ibus (Teufel) zum Throne dient". Das Mittelalter besaß also das Talent, selbst den Satan zu lvkalisiren. Vielleicht hätte sich der Fleiß der Gelehrten nicht auf die Erforschung dieses räthselhnfteu Arm gerichtet, wenn uicht Co- lumbus in dem Bericht über seine dritte Reise nach Amerika des Ortes gedacht hätte, den er eine Insel nennt und unter den Aequator zwischen den persischen und den arabischen Meerlinsen versetzt. Columbus aber hatte sein Wissen ans den Werken des Alliacus geschöpft, welcher an zwei Stellen Arius gedenkt. An der einen sagt er: „In dem Buche über den Plantenlauf wird von einem doppelten Syene gesprochen, einem unter dem Wendekreise (Assuan an der ägyp¬ tisch-nubischen Grenze) und einem uuter dem Aequator, mit dem wir es hier zu thun haben. Dieß ist aber die Stadt Arin, welche die Mathematiker in die Mitte der bewohnten Erde unter den Aequator versetzen, da sie in gleichem Abstände von Osten und Westen, Süden und Norden sich befindet, womit der Vvlksirrthum widerlegt wird, Jerusalem liege in der Mitte der Welt." An dem andern Orte spricht er wieder von einem doppelten. Arin und bestreitet, daß das äquatoriale Syene oder Arin 90 Grad östlich und westlich von den Grenzen der bewohnten Erde liege. Warum aber versetzte man in die im Mittelpunkt unsrer Erdhalbkugel angenommene Stadt den Thron und Hofhalt des Teufels? Gerhard von Cre- mona, der im zwölften Jahrhundert in Spanien lebte, übersetzte die im Jahre 1070 zu. Toledo verfaßten astronomischen Tafeln des Adi: Jschak Ibrahim mit dem Beinahmen Ihr Alzerkala. Der Uebersetzer gibt darin den Meridian von Toledo auf 61 Grad westlicher Länge von Arin an. Hier zeigt sich denn gleich die auffallende Brauchbarkeit eines Meridians, der, wie man. an¬ nahm, die bewohnte Welt in zwei Hälften zerschnitt. In der That führten die Araber bereits aus, was später in Frankreich und England geschah. Wie man dort die Längen nach den Meridianen von Paris und Greenwich berechnet, so berechneten die Araber die ihrigen nach einem idealen Meridian, für den sie eine Stadt erfinden mußten, wenn keine vorhanden war, die zu ihrem Systeme paßte. Man muß erstaunen, daß die Astronomen von Toledo sich diese Me¬ thode so schnell aneigneten, die ihnen vom Heimathlande ihrer Nation zuge¬ führt wurde. Populär ist diese Längcnberechnnng, bei den Geographen wenigstens, nie geworden oder geblieben; denn Edrisi spricht gar nicht von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/286>, abgerufen am 21.10.2024.