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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Herab vom Wagen fällt, der umschlägt und dem Lenker
In seinem Sturze folgt mit Allein, Leu und Drachen/'

Apollyon, von Uriel getroffen, läßt das Sternenbanner sinken, nicht Belze-
bub, nicht der trotzende Belial vermag das Verderben zu hemmen; des rie¬
sigen Orion schmetternde Keule, "des Nordens Bären und ihre grimmen Tatzen",
"die Hydra, aus fünfzig Kehlen Gifthauch speiend/' -- alles umsonst. Der
gestürzte Lucifer verkehrt sich in Häßlichkeit, "in ekle Mißgestalt", aus sieben
Thieren (den Repräsentationen der sieben Todsünden) gemischt,


"So daß die Schönheit jetzt ein Unthier, das die Menschen,
Die Geister und selbst Gott verwünschen und verfluchen.
Das Unthier schaudert, wenn es selber sich erblickt,
Es hüllt sein gräßliches Gesicht in Dampf und Nebel."

Vor dem Schwerte Michaels hält keiner mehr Stand, und in dieser all¬
gemeinen "iÄ-out" fehlen selbst die Milton'schen Kanonen, "die himmlischen
Karthaunen" nicht. Beim Erscheinen des herrlichen Michael und des Chors
schließt Uriel seinen Bericht.*)

Anordnung und Allsführung der Himmelsschlacht sind bei Milton und Vorbei
von so überraschender Uebereinstimmung, oft bis in kleine, charakteristische Züge
hinein, daß U.^V. 6- nicht ohne hinreichende Begründung behaupten darf, "daß der
tiefe Eindruck, den diese Schlacht Vorbei's auf Milton gemacht, lebendig vor ihm
stand, als er in seinem Gedichte zur Behandlung des gleichen Gegenstandes kam."
Milton ist von beiden Meister geblieben. Zwar zieht er den Kampf -- in wechsel¬
voller Schilderung und ohne zu ermüden -- in die Länge von drei Tagen; Vorbei
concentrirt alle Kraft in den einen großartigen Kampfmoment, namentlich den
Zusammenstoß Michaels mit Lucifer, und ich glaube, es gelingt ihm, wenn auch
nicht den ganzen Act hindurch, so doch bei dieser glanzvollen Hauptentscheidung
in der Schönheit der Sprache und der Großartigkeit seiner Bilder mit Milton
nicht ohne Glück zu wetteifern. -- Michael erzählt indessen in triumphierender
Rede seinen Sieg, da eilt Gabriel herbei: Es ist vergebens triumphirt. "Weh,
Adam ist gefallen!" Lucifer hat die Reste seines Heeres in der Hölle ge¬
sammelt, sich vor Gottes Auge in einer Wolke verborgen und mit seinen hölli¬
schen Schaaren einen zweiten Kampf berathen, diesesmal gegen den Rivalen
selbst, den Menschen. Er soll nicht durch Gewalt, sondern durch List fallen;
Belial versucht Eva, verführt sie zum Apfelbiß, und mit ihr und durch sie
fällt auch Adam. Mit hohem Pathos und Milton kaum nachstehend an kraft¬
vollem Schwung schildert Vorbei die That; ddr Fluch an die Menschen er-



*) Die Parallele z" dieser Himuielsschlacht findet sich bei Milton, Geh. 6, S6--891; in
lixwnso ausweine Nergleichnng einzugehen, würde viel zu weit führen.
Herab vom Wagen fällt, der umschlägt und dem Lenker
In seinem Sturze folgt mit Allein, Leu und Drachen/'

Apollyon, von Uriel getroffen, läßt das Sternenbanner sinken, nicht Belze-
bub, nicht der trotzende Belial vermag das Verderben zu hemmen; des rie¬
sigen Orion schmetternde Keule, „des Nordens Bären und ihre grimmen Tatzen",
„die Hydra, aus fünfzig Kehlen Gifthauch speiend/' — alles umsonst. Der
gestürzte Lucifer verkehrt sich in Häßlichkeit, „in ekle Mißgestalt", aus sieben
Thieren (den Repräsentationen der sieben Todsünden) gemischt,


„So daß die Schönheit jetzt ein Unthier, das die Menschen,
Die Geister und selbst Gott verwünschen und verfluchen.
Das Unthier schaudert, wenn es selber sich erblickt,
Es hüllt sein gräßliches Gesicht in Dampf und Nebel."

Vor dem Schwerte Michaels hält keiner mehr Stand, und in dieser all¬
gemeinen «iÄ-out« fehlen selbst die Milton'schen Kanonen, „die himmlischen
Karthaunen" nicht. Beim Erscheinen des herrlichen Michael und des Chors
schließt Uriel seinen Bericht.*)

Anordnung und Allsführung der Himmelsschlacht sind bei Milton und Vorbei
von so überraschender Uebereinstimmung, oft bis in kleine, charakteristische Züge
hinein, daß U.^V. 6- nicht ohne hinreichende Begründung behaupten darf, „daß der
tiefe Eindruck, den diese Schlacht Vorbei's auf Milton gemacht, lebendig vor ihm
stand, als er in seinem Gedichte zur Behandlung des gleichen Gegenstandes kam."
Milton ist von beiden Meister geblieben. Zwar zieht er den Kampf — in wechsel¬
voller Schilderung und ohne zu ermüden — in die Länge von drei Tagen; Vorbei
concentrirt alle Kraft in den einen großartigen Kampfmoment, namentlich den
Zusammenstoß Michaels mit Lucifer, und ich glaube, es gelingt ihm, wenn auch
nicht den ganzen Act hindurch, so doch bei dieser glanzvollen Hauptentscheidung
in der Schönheit der Sprache und der Großartigkeit seiner Bilder mit Milton
nicht ohne Glück zu wetteifern. — Michael erzählt indessen in triumphierender
Rede seinen Sieg, da eilt Gabriel herbei: Es ist vergebens triumphirt. „Weh,
Adam ist gefallen!" Lucifer hat die Reste seines Heeres in der Hölle ge¬
sammelt, sich vor Gottes Auge in einer Wolke verborgen und mit seinen hölli¬
schen Schaaren einen zweiten Kampf berathen, diesesmal gegen den Rivalen
selbst, den Menschen. Er soll nicht durch Gewalt, sondern durch List fallen;
Belial versucht Eva, verführt sie zum Apfelbiß, und mit ihr und durch sie
fällt auch Adam. Mit hohem Pathos und Milton kaum nachstehend an kraft¬
vollem Schwung schildert Vorbei die That; ddr Fluch an die Menschen er-



*) Die Parallele z» dieser Himuielsschlacht findet sich bei Milton, Geh. 6, S6—891; in
lixwnso ausweine Nergleichnng einzugehen, würde viel zu weit führen.
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[0259] Herab vom Wagen fällt, der umschlägt und dem Lenker In seinem Sturze folgt mit Allein, Leu und Drachen/' Apollyon, von Uriel getroffen, läßt das Sternenbanner sinken, nicht Belze- bub, nicht der trotzende Belial vermag das Verderben zu hemmen; des rie¬ sigen Orion schmetternde Keule, „des Nordens Bären und ihre grimmen Tatzen", „die Hydra, aus fünfzig Kehlen Gifthauch speiend/' — alles umsonst. Der gestürzte Lucifer verkehrt sich in Häßlichkeit, „in ekle Mißgestalt", aus sieben Thieren (den Repräsentationen der sieben Todsünden) gemischt, „So daß die Schönheit jetzt ein Unthier, das die Menschen, Die Geister und selbst Gott verwünschen und verfluchen. Das Unthier schaudert, wenn es selber sich erblickt, Es hüllt sein gräßliches Gesicht in Dampf und Nebel." Vor dem Schwerte Michaels hält keiner mehr Stand, und in dieser all¬ gemeinen «iÄ-out« fehlen selbst die Milton'schen Kanonen, „die himmlischen Karthaunen" nicht. Beim Erscheinen des herrlichen Michael und des Chors schließt Uriel seinen Bericht.*) Anordnung und Allsführung der Himmelsschlacht sind bei Milton und Vorbei von so überraschender Uebereinstimmung, oft bis in kleine, charakteristische Züge hinein, daß U.^V. 6- nicht ohne hinreichende Begründung behaupten darf, „daß der tiefe Eindruck, den diese Schlacht Vorbei's auf Milton gemacht, lebendig vor ihm stand, als er in seinem Gedichte zur Behandlung des gleichen Gegenstandes kam." Milton ist von beiden Meister geblieben. Zwar zieht er den Kampf — in wechsel¬ voller Schilderung und ohne zu ermüden — in die Länge von drei Tagen; Vorbei concentrirt alle Kraft in den einen großartigen Kampfmoment, namentlich den Zusammenstoß Michaels mit Lucifer, und ich glaube, es gelingt ihm, wenn auch nicht den ganzen Act hindurch, so doch bei dieser glanzvollen Hauptentscheidung in der Schönheit der Sprache und der Großartigkeit seiner Bilder mit Milton nicht ohne Glück zu wetteifern. — Michael erzählt indessen in triumphierender Rede seinen Sieg, da eilt Gabriel herbei: Es ist vergebens triumphirt. „Weh, Adam ist gefallen!" Lucifer hat die Reste seines Heeres in der Hölle ge¬ sammelt, sich vor Gottes Auge in einer Wolke verborgen und mit seinen hölli¬ schen Schaaren einen zweiten Kampf berathen, diesesmal gegen den Rivalen selbst, den Menschen. Er soll nicht durch Gewalt, sondern durch List fallen; Belial versucht Eva, verführt sie zum Apfelbiß, und mit ihr und durch sie fällt auch Adam. Mit hohem Pathos und Milton kaum nachstehend an kraft¬ vollem Schwung schildert Vorbei die That; ddr Fluch an die Menschen er- *) Die Parallele z» dieser Himuielsschlacht findet sich bei Milton, Geh. 6, S6—891; in lixwnso ausweine Nergleichnng einzugehen, würde viel zu weit führen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/259>, abgerufen am 29.09.2024.