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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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und ins Rollen kommen. Hatte doch sogar ein gar nicht leicht wiegender Ab¬
geordneter, einer der Heißsporne seiner Getreuen, der niederbayerische Baron
Xaver von Hafenbrädl, dessen wunderlich stilisirte Reden schon manche trübe
Kammerstunde aufgeheitert haben, geheimnißvoll angedeutet, die bekannten zwei
Stimmen, um welche die Ultramontanen den Liberalen voraus sind, seien gar
nicht mehr so sicher, hatte er doch sich selbst aus unerforschten Gründen von
seinem "Clubb" getrennt.

Aber es kam doch anders. Als es zur Präsidentenwahl ging, konnte der
"Einsiedler von der Trausnitz" doch wieder ganz vergnüglich lächeln; nichts
schien darauf hinzudeuten, daß man ihm das Heft ans den Händen winden
oder daß er es freiwillig abgeben wolle: einstimmig wurde der frühere Präsi¬
dent, Herr von Ow, wieder ans den Stuhl, der ihm, da er die Wahl ange¬
nommen, also doch noch nicht dornig genug zu sein scheint, gehoben, und auch
Jörg's Name ging wieder als der des ersten Schriftführers aus der Urne
hervor. Allerdings fehlten hier 5 Stimmen -- ganz also hatten die "Extremen"
sich nicht gefügt. Ja, sie durften sich sogar einer positiven Berücksichtigung
ihrer Stellung erfreuen; bei der Bildung des wichtigsten der Ausschüsse, des
Finanzausschusses, wurde ihnen unerwartete Rechnung getragen: drei von
ihnen nahmen darin Platz, indem sie andere, gemäßigtere Persönlichkeiten ver¬
drängten. Zu letztern hatte bisher immer der langjährige Referent für den
Kultusetat, der Domcapitular v. Anton Schmid gehört. Nicht als ob ihn
Herr von Lutz seinen besondern Freund und Gönner hätte nennen können;
noch beim letzten Budget hatte Herr Schmid sehr verwegene und ihn und seine
Partei bedenklich gravirende Abstriche, namentlich am Etat der Bildungs¬
anstalten gemacht; aber er hatte doch noch ein Verständniß für idealere
Zwecke. Doch auch dieses ging über das Maaß der klerikalen Majorität, die
den Maaßstab ihrer Knlturrichtung von Rom bezieht, hinaus, und so mußte
jenem Herrn, der anfing, "verdächtig" zu werden, ein Korrektor an die Seite
gesetzt werden, und zu diesem wurde Herr Kittler ausersehen, einer der
streitbarsten, aber auch feindseligsten Antikulturkämvfer, welchem der Landtag
die Gelegenheit gab, einige Monate unfreiwilliger Muße auf der Festung
Oberhaus, wohin ihn eine Verurtheilung wegen Majestätsbeleidigung gebracht
hatte, auf kurze Zeit zu unterbrechen. Ihm wird nun wahrscheinlich das Referat,
das bisher Schmid in den Händen gehabt, überwiesen werden, und wir können am
Ende wieder Theorie und System von der "Umkehr der Wissenschaft" erleben. Vor
der Hand aber haben Herr Kittler und seine Genossen geschwiegen, wenigstens, war
das, was sie in dieser Session redeten, nicht bedeutend, noch weniger gefährlich. Ganz
"ohne" durfte es aber doch nicht abgehen. Dafür sorgten schon die "eiMnt"
wrnbles" der Partei. So bewies der bekannte Schels, daß vom Jahre 1870,


und ins Rollen kommen. Hatte doch sogar ein gar nicht leicht wiegender Ab¬
geordneter, einer der Heißsporne seiner Getreuen, der niederbayerische Baron
Xaver von Hafenbrädl, dessen wunderlich stilisirte Reden schon manche trübe
Kammerstunde aufgeheitert haben, geheimnißvoll angedeutet, die bekannten zwei
Stimmen, um welche die Ultramontanen den Liberalen voraus sind, seien gar
nicht mehr so sicher, hatte er doch sich selbst aus unerforschten Gründen von
seinem „Clubb" getrennt.

Aber es kam doch anders. Als es zur Präsidentenwahl ging, konnte der
„Einsiedler von der Trausnitz" doch wieder ganz vergnüglich lächeln; nichts
schien darauf hinzudeuten, daß man ihm das Heft ans den Händen winden
oder daß er es freiwillig abgeben wolle: einstimmig wurde der frühere Präsi¬
dent, Herr von Ow, wieder ans den Stuhl, der ihm, da er die Wahl ange¬
nommen, also doch noch nicht dornig genug zu sein scheint, gehoben, und auch
Jörg's Name ging wieder als der des ersten Schriftführers aus der Urne
hervor. Allerdings fehlten hier 5 Stimmen — ganz also hatten die „Extremen"
sich nicht gefügt. Ja, sie durften sich sogar einer positiven Berücksichtigung
ihrer Stellung erfreuen; bei der Bildung des wichtigsten der Ausschüsse, des
Finanzausschusses, wurde ihnen unerwartete Rechnung getragen: drei von
ihnen nahmen darin Platz, indem sie andere, gemäßigtere Persönlichkeiten ver¬
drängten. Zu letztern hatte bisher immer der langjährige Referent für den
Kultusetat, der Domcapitular v. Anton Schmid gehört. Nicht als ob ihn
Herr von Lutz seinen besondern Freund und Gönner hätte nennen können;
noch beim letzten Budget hatte Herr Schmid sehr verwegene und ihn und seine
Partei bedenklich gravirende Abstriche, namentlich am Etat der Bildungs¬
anstalten gemacht; aber er hatte doch noch ein Verständniß für idealere
Zwecke. Doch auch dieses ging über das Maaß der klerikalen Majorität, die
den Maaßstab ihrer Knlturrichtung von Rom bezieht, hinaus, und so mußte
jenem Herrn, der anfing, „verdächtig" zu werden, ein Korrektor an die Seite
gesetzt werden, und zu diesem wurde Herr Kittler ausersehen, einer der
streitbarsten, aber auch feindseligsten Antikulturkämvfer, welchem der Landtag
die Gelegenheit gab, einige Monate unfreiwilliger Muße auf der Festung
Oberhaus, wohin ihn eine Verurtheilung wegen Majestätsbeleidigung gebracht
hatte, auf kurze Zeit zu unterbrechen. Ihm wird nun wahrscheinlich das Referat,
das bisher Schmid in den Händen gehabt, überwiesen werden, und wir können am
Ende wieder Theorie und System von der „Umkehr der Wissenschaft" erleben. Vor
der Hand aber haben Herr Kittler und seine Genossen geschwiegen, wenigstens, war
das, was sie in dieser Session redeten, nicht bedeutend, noch weniger gefährlich. Ganz
«ohne" durfte es aber doch nicht abgehen. Dafür sorgten schon die „eiMnt«
wrnbles" der Partei. So bewies der bekannte Schels, daß vom Jahre 1870,


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[0243] und ins Rollen kommen. Hatte doch sogar ein gar nicht leicht wiegender Ab¬ geordneter, einer der Heißsporne seiner Getreuen, der niederbayerische Baron Xaver von Hafenbrädl, dessen wunderlich stilisirte Reden schon manche trübe Kammerstunde aufgeheitert haben, geheimnißvoll angedeutet, die bekannten zwei Stimmen, um welche die Ultramontanen den Liberalen voraus sind, seien gar nicht mehr so sicher, hatte er doch sich selbst aus unerforschten Gründen von seinem „Clubb" getrennt. Aber es kam doch anders. Als es zur Präsidentenwahl ging, konnte der „Einsiedler von der Trausnitz" doch wieder ganz vergnüglich lächeln; nichts schien darauf hinzudeuten, daß man ihm das Heft ans den Händen winden oder daß er es freiwillig abgeben wolle: einstimmig wurde der frühere Präsi¬ dent, Herr von Ow, wieder ans den Stuhl, der ihm, da er die Wahl ange¬ nommen, also doch noch nicht dornig genug zu sein scheint, gehoben, und auch Jörg's Name ging wieder als der des ersten Schriftführers aus der Urne hervor. Allerdings fehlten hier 5 Stimmen — ganz also hatten die „Extremen" sich nicht gefügt. Ja, sie durften sich sogar einer positiven Berücksichtigung ihrer Stellung erfreuen; bei der Bildung des wichtigsten der Ausschüsse, des Finanzausschusses, wurde ihnen unerwartete Rechnung getragen: drei von ihnen nahmen darin Platz, indem sie andere, gemäßigtere Persönlichkeiten ver¬ drängten. Zu letztern hatte bisher immer der langjährige Referent für den Kultusetat, der Domcapitular v. Anton Schmid gehört. Nicht als ob ihn Herr von Lutz seinen besondern Freund und Gönner hätte nennen können; noch beim letzten Budget hatte Herr Schmid sehr verwegene und ihn und seine Partei bedenklich gravirende Abstriche, namentlich am Etat der Bildungs¬ anstalten gemacht; aber er hatte doch noch ein Verständniß für idealere Zwecke. Doch auch dieses ging über das Maaß der klerikalen Majorität, die den Maaßstab ihrer Knlturrichtung von Rom bezieht, hinaus, und so mußte jenem Herrn, der anfing, „verdächtig" zu werden, ein Korrektor an die Seite gesetzt werden, und zu diesem wurde Herr Kittler ausersehen, einer der streitbarsten, aber auch feindseligsten Antikulturkämvfer, welchem der Landtag die Gelegenheit gab, einige Monate unfreiwilliger Muße auf der Festung Oberhaus, wohin ihn eine Verurtheilung wegen Majestätsbeleidigung gebracht hatte, auf kurze Zeit zu unterbrechen. Ihm wird nun wahrscheinlich das Referat, das bisher Schmid in den Händen gehabt, überwiesen werden, und wir können am Ende wieder Theorie und System von der „Umkehr der Wissenschaft" erleben. Vor der Hand aber haben Herr Kittler und seine Genossen geschwiegen, wenigstens, war das, was sie in dieser Session redeten, nicht bedeutend, noch weniger gefährlich. Ganz «ohne" durfte es aber doch nicht abgehen. Dafür sorgten schon die „eiMnt« wrnbles" der Partei. So bewies der bekannte Schels, daß vom Jahre 1870,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/243>, abgerufen am 28.09.2024.