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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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"Die alten Tage der Pflanzerzeit sind vorüber, vielleicht für immer.
Meine Grundsätze bewegen mich, die Sklaverei zu verabscheuen und mich von
Herzen über ihre Abschaffung zu freuen. Und doch beschleicht mich in der
Hitze und unter den Mühen des Kampfes um das Dasein bisweilen ganz
gegen meinen Willen der Gedanke, daß wir bessere Tage gesehen haben. Ich
denke an die wilde Heitz nach dem Fuchs und dem Reh, an das Träumen,
Lesen und das köstliche Schläfchen auf dem Balkone, im Sommerhause, auf
der ländlichen Bank auf dem Rasen vor dem Hause, an die langen Sitzungen
bei Mahlzeiten und die Nachtisch-Cigarre, an die artigen, fein gebildeten
Freunde im Gesellschaftszimmer und ihre ungezwungene, belebte Unterhaltung.
Ich erinnere mich, wie ritterlich man den Frauen seine Huldigung darbrachte,
wie angenehm die abendlichen Spazierfahrten waren, wie gern man die be¬
nachbarten Pflanzungen mit den langgestreckten breiten grünen Mais- und
Baumwollenfeldern, die im Wiude wogten, mit den hier und da auftauchenden
Gruppen fleißiger Sklaven, mit den langen Reihen der Negerhtttten, vor denen
kleine Pickaninnis spielten, besuchte. Ich denke an den alten Ziehbrunnen mit
dem langen Schwengel und dem Eimer, mit dem man schöpfte, an die Reihen
von Wasser holenden Weibern mit den Eimern auf dem Kopfe, an den wilden
Gesang, der des Nachts von dem Negerquartier nach dem Herrenhause herüber-
schallte, an den Ruf: "Onristmas Zii', Nassa!" der am Morgen des Weih¬
nachtstages unsern Schlummer unterbrach, an die lustigen Pläne, nach denen
wir würdevolle alte Darkies am ersten April zum Besten hatten, an die getrene
alte Amme, die uns in unsern Kinderjahren wartete, und nnter deren be¬
scheidnen Dache man gelegentlich ein Mahl einnahm, an den schmeichelnden,
kratzfiißelnden, schalkhaften, verschmitzten Racker von einem Negerburschen, dem
man eine Silbermünze zuwarf, wenn er einem die Stiefeln herausbrachte, an
die kleinen Niggerchen, die sich um die Schale balgten, wenn man des Nach¬
mittags auf dem Vorplatze vor dem Hause seine Wassermelone verspeist hatte,
und wie ein liebendes Gedächtniß sie mir vor die Augen stellt, ist mir, als
wollten Thränen der Wehmuth hervorbrechen. Und so wird es jedem Süd¬
länder ergehen: Thränen steigen ihm vom Grunde des Herzens in die Augen,
wenn er der Tage gedenkt, die da nicht mehr sind. Die Südländer der alten
Zeit waren vielleicht die glücklichsten der Menschen. Nichts, was ihre Seelen¬
heiterkeit stören konnte, nichts zu thun, nichts, was sie gethan zu sehen wünschten,
und was nicht sofort Andere für sie zu thun bei der Hand waren. Glücklich
sein war ihr einziges Ziel, Genuß beinahe ihre einzige Beschäftigung. Jetzt
lasten die Sorgen des Lebens, der Kampf um das tägliche Brot schwer auf ihnen.
Wenn ich an das tiefe Behagen der alten Zeit denke, kommt mir oft der Gedanke, daß
es, ganz wie die stärkste Wirkung von Arzneien sich ans dem größten Verbrauch


„Die alten Tage der Pflanzerzeit sind vorüber, vielleicht für immer.
Meine Grundsätze bewegen mich, die Sklaverei zu verabscheuen und mich von
Herzen über ihre Abschaffung zu freuen. Und doch beschleicht mich in der
Hitze und unter den Mühen des Kampfes um das Dasein bisweilen ganz
gegen meinen Willen der Gedanke, daß wir bessere Tage gesehen haben. Ich
denke an die wilde Heitz nach dem Fuchs und dem Reh, an das Träumen,
Lesen und das köstliche Schläfchen auf dem Balkone, im Sommerhause, auf
der ländlichen Bank auf dem Rasen vor dem Hause, an die langen Sitzungen
bei Mahlzeiten und die Nachtisch-Cigarre, an die artigen, fein gebildeten
Freunde im Gesellschaftszimmer und ihre ungezwungene, belebte Unterhaltung.
Ich erinnere mich, wie ritterlich man den Frauen seine Huldigung darbrachte,
wie angenehm die abendlichen Spazierfahrten waren, wie gern man die be¬
nachbarten Pflanzungen mit den langgestreckten breiten grünen Mais- und
Baumwollenfeldern, die im Wiude wogten, mit den hier und da auftauchenden
Gruppen fleißiger Sklaven, mit den langen Reihen der Negerhtttten, vor denen
kleine Pickaninnis spielten, besuchte. Ich denke an den alten Ziehbrunnen mit
dem langen Schwengel und dem Eimer, mit dem man schöpfte, an die Reihen
von Wasser holenden Weibern mit den Eimern auf dem Kopfe, an den wilden
Gesang, der des Nachts von dem Negerquartier nach dem Herrenhause herüber-
schallte, an den Ruf: „Onristmas Zii', Nassa!" der am Morgen des Weih¬
nachtstages unsern Schlummer unterbrach, an die lustigen Pläne, nach denen
wir würdevolle alte Darkies am ersten April zum Besten hatten, an die getrene
alte Amme, die uns in unsern Kinderjahren wartete, und nnter deren be¬
scheidnen Dache man gelegentlich ein Mahl einnahm, an den schmeichelnden,
kratzfiißelnden, schalkhaften, verschmitzten Racker von einem Negerburschen, dem
man eine Silbermünze zuwarf, wenn er einem die Stiefeln herausbrachte, an
die kleinen Niggerchen, die sich um die Schale balgten, wenn man des Nach¬
mittags auf dem Vorplatze vor dem Hause seine Wassermelone verspeist hatte,
und wie ein liebendes Gedächtniß sie mir vor die Augen stellt, ist mir, als
wollten Thränen der Wehmuth hervorbrechen. Und so wird es jedem Süd¬
länder ergehen: Thränen steigen ihm vom Grunde des Herzens in die Augen,
wenn er der Tage gedenkt, die da nicht mehr sind. Die Südländer der alten
Zeit waren vielleicht die glücklichsten der Menschen. Nichts, was ihre Seelen¬
heiterkeit stören konnte, nichts zu thun, nichts, was sie gethan zu sehen wünschten,
und was nicht sofort Andere für sie zu thun bei der Hand waren. Glücklich
sein war ihr einziges Ziel, Genuß beinahe ihre einzige Beschäftigung. Jetzt
lasten die Sorgen des Lebens, der Kampf um das tägliche Brot schwer auf ihnen.
Wenn ich an das tiefe Behagen der alten Zeit denke, kommt mir oft der Gedanke, daß
es, ganz wie die stärkste Wirkung von Arzneien sich ans dem größten Verbrauch


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[0206] „Die alten Tage der Pflanzerzeit sind vorüber, vielleicht für immer. Meine Grundsätze bewegen mich, die Sklaverei zu verabscheuen und mich von Herzen über ihre Abschaffung zu freuen. Und doch beschleicht mich in der Hitze und unter den Mühen des Kampfes um das Dasein bisweilen ganz gegen meinen Willen der Gedanke, daß wir bessere Tage gesehen haben. Ich denke an die wilde Heitz nach dem Fuchs und dem Reh, an das Träumen, Lesen und das köstliche Schläfchen auf dem Balkone, im Sommerhause, auf der ländlichen Bank auf dem Rasen vor dem Hause, an die langen Sitzungen bei Mahlzeiten und die Nachtisch-Cigarre, an die artigen, fein gebildeten Freunde im Gesellschaftszimmer und ihre ungezwungene, belebte Unterhaltung. Ich erinnere mich, wie ritterlich man den Frauen seine Huldigung darbrachte, wie angenehm die abendlichen Spazierfahrten waren, wie gern man die be¬ nachbarten Pflanzungen mit den langgestreckten breiten grünen Mais- und Baumwollenfeldern, die im Wiude wogten, mit den hier und da auftauchenden Gruppen fleißiger Sklaven, mit den langen Reihen der Negerhtttten, vor denen kleine Pickaninnis spielten, besuchte. Ich denke an den alten Ziehbrunnen mit dem langen Schwengel und dem Eimer, mit dem man schöpfte, an die Reihen von Wasser holenden Weibern mit den Eimern auf dem Kopfe, an den wilden Gesang, der des Nachts von dem Negerquartier nach dem Herrenhause herüber- schallte, an den Ruf: „Onristmas Zii', Nassa!" der am Morgen des Weih¬ nachtstages unsern Schlummer unterbrach, an die lustigen Pläne, nach denen wir würdevolle alte Darkies am ersten April zum Besten hatten, an die getrene alte Amme, die uns in unsern Kinderjahren wartete, und nnter deren be¬ scheidnen Dache man gelegentlich ein Mahl einnahm, an den schmeichelnden, kratzfiißelnden, schalkhaften, verschmitzten Racker von einem Negerburschen, dem man eine Silbermünze zuwarf, wenn er einem die Stiefeln herausbrachte, an die kleinen Niggerchen, die sich um die Schale balgten, wenn man des Nach¬ mittags auf dem Vorplatze vor dem Hause seine Wassermelone verspeist hatte, und wie ein liebendes Gedächtniß sie mir vor die Augen stellt, ist mir, als wollten Thränen der Wehmuth hervorbrechen. Und so wird es jedem Süd¬ länder ergehen: Thränen steigen ihm vom Grunde des Herzens in die Augen, wenn er der Tage gedenkt, die da nicht mehr sind. Die Südländer der alten Zeit waren vielleicht die glücklichsten der Menschen. Nichts, was ihre Seelen¬ heiterkeit stören konnte, nichts zu thun, nichts, was sie gethan zu sehen wünschten, und was nicht sofort Andere für sie zu thun bei der Hand waren. Glücklich sein war ihr einziges Ziel, Genuß beinahe ihre einzige Beschäftigung. Jetzt lasten die Sorgen des Lebens, der Kampf um das tägliche Brot schwer auf ihnen. Wenn ich an das tiefe Behagen der alten Zeit denke, kommt mir oft der Gedanke, daß es, ganz wie die stärkste Wirkung von Arzneien sich ans dem größten Verbrauch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/206>, abgerufen am 21.10.2024.