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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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die andere für die Farbigen bestimmt ist. Der Clown und die andern, welche
zu sprechen haben, stehen stets vor der Seite des Circus, wo die Weißen
sitzen, und kehren diesen das Gesicht zu. Den Schwarzen und Mulatten wen¬
den sie nie auch nur einen Blick zu, wenn sie nicht etwa einen Sprung thun
oder einen Purzelbaum schlagen müssen, der sie nach dieser plebejen Gegend
hinführt. Dagegen wird über die farbige Zuschauerschaft Witz auf Witz ge¬
rissen. Auch die Volkssänger müssen über die Neger und die republikanische
Partei das Füllhorn ihrer Späße und Kalauer ausschütten, wenn sie dein
weißen Publikum gefallen wollen.

Theater ersten Ranges gibt es in ganz Südcarolina nicht. Ueberhaupt
haben nur Charleston und Columbia einige stehende Bühnen. Trotzdem finden
in erstgenannter Stadt klassische Aufführungen ein Publikum, welches Geschmack
und ein gutes Urtheil hat, ja, ich zweifele, ob ein Schauspieler irgendwo
anders in den Vereinigten Staaten, Newyork und Boston ausgenommen, eine
schwerere Feuerprobe zu bestehen hat als in Charleston. Die Bewohner dieser
Stadt geben überdies nur in seltenen Fällen ihren Beifall zu erkennen, und
selbst wenn der Künstler ihnen sehr wohl gefällt, sieht man nicht viel davon.

Wo es für ein Billiges oder umsonst etwas zu sehen gibt, herrscht in
der Menge das schwarze Element ganz entschieden vor. So bei wohlfeilen
Ausstellungen, Wachsfigurenkabinett Thierbuden, Zauberlaternen u. d., bei
Gerichtsverhandlungen, Aufzügen und Hinrichtungen. Bei allen solchen Ver¬
sammlungen weiß es jede Race durch Wahlverwandtschaft so einzurichten, daß
sie für sich ist. Die Hinrichtungen finden noch immer öffentlich statt, und
werden selbst in der entlegendsten Landstadt niemals von weniger als sechs- bis
siebentausend Menschen besucht. Sie sind im höchsten Grade demoralisirend.
Wenn ein Neger gehenkt werden soll, so wird in seiner Zelle wenigstens in
der Woche vor dem Tage der Hinrichtung täglich Gottesdienst gehalten, der
öffentlich und massenhaft, namentlich von Leuten seiner eigenen Race besucht
ist. Am Galgen werden Gebete gesprochen, welche zustimmendes Aechzen und
Gestöhn von Seiten der umstehenden Menge hervorrufen, und auf die der
arme Sünder eine reuevolle Ansprache folgen läßt, welche die Ergriffenheit der
Zuschauer bis zum Wahnsinn steigert. Dann werden geistliche Lieder nach
wilden Melodien gesungen, in welche die ganze Gesellschaft einstimmt. Tiefes
Schweigen folgt hierauf, die Klappe, auf welcher der unglückliche Mensch mit
der Nachtmütze über den Augen steht, öffnet sich nach unten, und jener baumelt
zappelnd in der Tiefe, und ein markdurchdringender Schrei von Seiten der
Menge her steigt gen Himmel. Die wildeste religiöse Verzückung ergreift die
ganze weite Menschenmasse, sie wogt hin und her wie Meeresbrandung, man
singt und beginnt eine Art frommen Tanzes. Das Schauspiel ist bisweilen


die andere für die Farbigen bestimmt ist. Der Clown und die andern, welche
zu sprechen haben, stehen stets vor der Seite des Circus, wo die Weißen
sitzen, und kehren diesen das Gesicht zu. Den Schwarzen und Mulatten wen¬
den sie nie auch nur einen Blick zu, wenn sie nicht etwa einen Sprung thun
oder einen Purzelbaum schlagen müssen, der sie nach dieser plebejen Gegend
hinführt. Dagegen wird über die farbige Zuschauerschaft Witz auf Witz ge¬
rissen. Auch die Volkssänger müssen über die Neger und die republikanische
Partei das Füllhorn ihrer Späße und Kalauer ausschütten, wenn sie dein
weißen Publikum gefallen wollen.

Theater ersten Ranges gibt es in ganz Südcarolina nicht. Ueberhaupt
haben nur Charleston und Columbia einige stehende Bühnen. Trotzdem finden
in erstgenannter Stadt klassische Aufführungen ein Publikum, welches Geschmack
und ein gutes Urtheil hat, ja, ich zweifele, ob ein Schauspieler irgendwo
anders in den Vereinigten Staaten, Newyork und Boston ausgenommen, eine
schwerere Feuerprobe zu bestehen hat als in Charleston. Die Bewohner dieser
Stadt geben überdies nur in seltenen Fällen ihren Beifall zu erkennen, und
selbst wenn der Künstler ihnen sehr wohl gefällt, sieht man nicht viel davon.

Wo es für ein Billiges oder umsonst etwas zu sehen gibt, herrscht in
der Menge das schwarze Element ganz entschieden vor. So bei wohlfeilen
Ausstellungen, Wachsfigurenkabinett Thierbuden, Zauberlaternen u. d., bei
Gerichtsverhandlungen, Aufzügen und Hinrichtungen. Bei allen solchen Ver¬
sammlungen weiß es jede Race durch Wahlverwandtschaft so einzurichten, daß
sie für sich ist. Die Hinrichtungen finden noch immer öffentlich statt, und
werden selbst in der entlegendsten Landstadt niemals von weniger als sechs- bis
siebentausend Menschen besucht. Sie sind im höchsten Grade demoralisirend.
Wenn ein Neger gehenkt werden soll, so wird in seiner Zelle wenigstens in
der Woche vor dem Tage der Hinrichtung täglich Gottesdienst gehalten, der
öffentlich und massenhaft, namentlich von Leuten seiner eigenen Race besucht
ist. Am Galgen werden Gebete gesprochen, welche zustimmendes Aechzen und
Gestöhn von Seiten der umstehenden Menge hervorrufen, und auf die der
arme Sünder eine reuevolle Ansprache folgen läßt, welche die Ergriffenheit der
Zuschauer bis zum Wahnsinn steigert. Dann werden geistliche Lieder nach
wilden Melodien gesungen, in welche die ganze Gesellschaft einstimmt. Tiefes
Schweigen folgt hierauf, die Klappe, auf welcher der unglückliche Mensch mit
der Nachtmütze über den Augen steht, öffnet sich nach unten, und jener baumelt
zappelnd in der Tiefe, und ein markdurchdringender Schrei von Seiten der
Menge her steigt gen Himmel. Die wildeste religiöse Verzückung ergreift die
ganze weite Menschenmasse, sie wogt hin und her wie Meeresbrandung, man
singt und beginnt eine Art frommen Tanzes. Das Schauspiel ist bisweilen


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[0202] die andere für die Farbigen bestimmt ist. Der Clown und die andern, welche zu sprechen haben, stehen stets vor der Seite des Circus, wo die Weißen sitzen, und kehren diesen das Gesicht zu. Den Schwarzen und Mulatten wen¬ den sie nie auch nur einen Blick zu, wenn sie nicht etwa einen Sprung thun oder einen Purzelbaum schlagen müssen, der sie nach dieser plebejen Gegend hinführt. Dagegen wird über die farbige Zuschauerschaft Witz auf Witz ge¬ rissen. Auch die Volkssänger müssen über die Neger und die republikanische Partei das Füllhorn ihrer Späße und Kalauer ausschütten, wenn sie dein weißen Publikum gefallen wollen. Theater ersten Ranges gibt es in ganz Südcarolina nicht. Ueberhaupt haben nur Charleston und Columbia einige stehende Bühnen. Trotzdem finden in erstgenannter Stadt klassische Aufführungen ein Publikum, welches Geschmack und ein gutes Urtheil hat, ja, ich zweifele, ob ein Schauspieler irgendwo anders in den Vereinigten Staaten, Newyork und Boston ausgenommen, eine schwerere Feuerprobe zu bestehen hat als in Charleston. Die Bewohner dieser Stadt geben überdies nur in seltenen Fällen ihren Beifall zu erkennen, und selbst wenn der Künstler ihnen sehr wohl gefällt, sieht man nicht viel davon. Wo es für ein Billiges oder umsonst etwas zu sehen gibt, herrscht in der Menge das schwarze Element ganz entschieden vor. So bei wohlfeilen Ausstellungen, Wachsfigurenkabinett Thierbuden, Zauberlaternen u. d., bei Gerichtsverhandlungen, Aufzügen und Hinrichtungen. Bei allen solchen Ver¬ sammlungen weiß es jede Race durch Wahlverwandtschaft so einzurichten, daß sie für sich ist. Die Hinrichtungen finden noch immer öffentlich statt, und werden selbst in der entlegendsten Landstadt niemals von weniger als sechs- bis siebentausend Menschen besucht. Sie sind im höchsten Grade demoralisirend. Wenn ein Neger gehenkt werden soll, so wird in seiner Zelle wenigstens in der Woche vor dem Tage der Hinrichtung täglich Gottesdienst gehalten, der öffentlich und massenhaft, namentlich von Leuten seiner eigenen Race besucht ist. Am Galgen werden Gebete gesprochen, welche zustimmendes Aechzen und Gestöhn von Seiten der umstehenden Menge hervorrufen, und auf die der arme Sünder eine reuevolle Ansprache folgen läßt, welche die Ergriffenheit der Zuschauer bis zum Wahnsinn steigert. Dann werden geistliche Lieder nach wilden Melodien gesungen, in welche die ganze Gesellschaft einstimmt. Tiefes Schweigen folgt hierauf, die Klappe, auf welcher der unglückliche Mensch mit der Nachtmütze über den Augen steht, öffnet sich nach unten, und jener baumelt zappelnd in der Tiefe, und ein markdurchdringender Schrei von Seiten der Menge her steigt gen Himmel. Die wildeste religiöse Verzückung ergreift die ganze weite Menschenmasse, sie wogt hin und her wie Meeresbrandung, man singt und beginnt eine Art frommen Tanzes. Das Schauspiel ist bisweilen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/202>, abgerufen am 28.09.2024.