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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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großen Flusse Deutschlands versandeten und für die Schifffahrt immer weniger
brauchbar wurden. Nicht viel besser sah es mit der Anlage der künstlichen
Wasserstraßen, der Kanäle, in Deutschland aus. Was in dieser Beziehung
vorhanden war, stammte noch aus der Zeit des großen Kurfürsten und Friedrichs
des Großen, die beide für diese Anlagen Scharfblick genng hatten. Die
Gesammtlänge aller Kanäle in Preußen beträgt kaum 200 Meilen, dabei kann
man aber den größten Theil derselben kaum als ordentliche Schifffahrtskanäle
rechnen, denn sie sind fast alle so seicht und schmal, daß nur Fahrzeuge von
geringsten Umfange und geringster Tragfähigkeit auf denselben gehen können.
Nimmt man als nothwendige Normaltiefe mindestens 2 Meter und als
Breite die Sohlenbreite von 20 Meter, fo entspricht kein einziger Kanal dieser
Forderung, so daß man also überhaupt ernstlich von einem Kanalnetz in Preußen
und Deutschland nicht sprechen kann.

Es ist eine eigenthümliche Erscheinung, daß, während sonst das deutsche Volk
so sehr zur Nachahmung anderer Nationen geneigt ist, gerade auf diesem Gebiete
es vorgezogen hat, die Erfahrungen anderer Völker vollständig zu ignoriren.

Ein Blick auf Frankreich zeigt, wie unendlich Deutschland in dieser Be¬
ziehung zurückgeblieben ist. Frankreich besitzt gegenwärtig ein Kanalnetz von
668 preußischen Meilen, welche alle Flüsse und alle Theile des Landes mit
einander verbinden. Neuerdings aber ist eine Enquete angestellt und die Noth¬
wendigkeit erkannt worden, eine durchgehende Vertiefung der Kanäle vorzunehmen
und eine Reihe neuer Kanallinien anzulegen. Für diesen Zweck sind 660 Mill.
Mark bewilligt worden. England besitzt gleichfalls ein großartiges Kanalnetz
von zusammen 553 preußischen Meilen, durch welches die hervorragenden
Jndustrieorte einerseits mit dem Meere, andererseits mit den großen Kohlen¬
lagern in Verbindung gesetzt sind. Ferner ist England dadurch in der Lage,
die westphälische und schlesische Kohle in den deutschen Häfen zu verdrängen,
da die englischen Schiffe direct bis zu den Kohlengruben gehen und von dort
aus, ohne ungeladen zu werden, ihre Fracht zu den deutschen Häfen bringen
können. Selbst das kleine Belgien überragt Deutschland, denn es besitzt ein
Kanalnetz von 271 Meilen. Daß Holland gleichfalls ans diesem Gebiete
Vorzügliches geleistet hat und gerade seinen Kanälen vorzugsweise die Blüthe
seines Handels verdankt, ist ja allgemein bekannt. Selbst Rußland hat auf
diesem Gebiete weit mehr geschaffen als Deutschland und hat namentlich alle
seine hervorragendsten Flüsse durch Kanäle mit einander verbunden.

Ganz besonders aber zeichnen sich auch hier wieder die Vereinigten Staaten
von Nordamerika aus. Dort finden wir nicht blos ein hochentwickeltes
Eisenbahnnetz, sondern ein vorzügliches Kanciluetz, welches alle Theile des
weiten Reiches mit einander verbindet. Namentlich ist der große Erie-Kanal,


großen Flusse Deutschlands versandeten und für die Schifffahrt immer weniger
brauchbar wurden. Nicht viel besser sah es mit der Anlage der künstlichen
Wasserstraßen, der Kanäle, in Deutschland aus. Was in dieser Beziehung
vorhanden war, stammte noch aus der Zeit des großen Kurfürsten und Friedrichs
des Großen, die beide für diese Anlagen Scharfblick genng hatten. Die
Gesammtlänge aller Kanäle in Preußen beträgt kaum 200 Meilen, dabei kann
man aber den größten Theil derselben kaum als ordentliche Schifffahrtskanäle
rechnen, denn sie sind fast alle so seicht und schmal, daß nur Fahrzeuge von
geringsten Umfange und geringster Tragfähigkeit auf denselben gehen können.
Nimmt man als nothwendige Normaltiefe mindestens 2 Meter und als
Breite die Sohlenbreite von 20 Meter, fo entspricht kein einziger Kanal dieser
Forderung, so daß man also überhaupt ernstlich von einem Kanalnetz in Preußen
und Deutschland nicht sprechen kann.

Es ist eine eigenthümliche Erscheinung, daß, während sonst das deutsche Volk
so sehr zur Nachahmung anderer Nationen geneigt ist, gerade auf diesem Gebiete
es vorgezogen hat, die Erfahrungen anderer Völker vollständig zu ignoriren.

Ein Blick auf Frankreich zeigt, wie unendlich Deutschland in dieser Be¬
ziehung zurückgeblieben ist. Frankreich besitzt gegenwärtig ein Kanalnetz von
668 preußischen Meilen, welche alle Flüsse und alle Theile des Landes mit
einander verbinden. Neuerdings aber ist eine Enquete angestellt und die Noth¬
wendigkeit erkannt worden, eine durchgehende Vertiefung der Kanäle vorzunehmen
und eine Reihe neuer Kanallinien anzulegen. Für diesen Zweck sind 660 Mill.
Mark bewilligt worden. England besitzt gleichfalls ein großartiges Kanalnetz
von zusammen 553 preußischen Meilen, durch welches die hervorragenden
Jndustrieorte einerseits mit dem Meere, andererseits mit den großen Kohlen¬
lagern in Verbindung gesetzt sind. Ferner ist England dadurch in der Lage,
die westphälische und schlesische Kohle in den deutschen Häfen zu verdrängen,
da die englischen Schiffe direct bis zu den Kohlengruben gehen und von dort
aus, ohne ungeladen zu werden, ihre Fracht zu den deutschen Häfen bringen
können. Selbst das kleine Belgien überragt Deutschland, denn es besitzt ein
Kanalnetz von 271 Meilen. Daß Holland gleichfalls ans diesem Gebiete
Vorzügliches geleistet hat und gerade seinen Kanälen vorzugsweise die Blüthe
seines Handels verdankt, ist ja allgemein bekannt. Selbst Rußland hat auf
diesem Gebiete weit mehr geschaffen als Deutschland und hat namentlich alle
seine hervorragendsten Flüsse durch Kanäle mit einander verbunden.

Ganz besonders aber zeichnen sich auch hier wieder die Vereinigten Staaten
von Nordamerika aus. Dort finden wir nicht blos ein hochentwickeltes
Eisenbahnnetz, sondern ein vorzügliches Kanciluetz, welches alle Theile des
weiten Reiches mit einander verbindet. Namentlich ist der große Erie-Kanal,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/182>, abgerufen am 28.09.2024.