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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Die Neger nahmen bei ihrer Freilassung gewöhnlich die Namen ihrer
bisherigen Herren an, obwohl etwa der dritte Theil derselben, dessen Herren
grausam gegen ihre Leute gewesen waren, sich den Namen eines früheren
Herrn beilegten, der im Rufe stand, gütig und rücksichtsvoll zu sein, oder sich
sonstwie Namen auflasen. Häufig tragen sie die Namen von berühmten
Männern, und so kommt es vor, daß man in Polizeiberichten liest, wie Arthur
Middleton wegen Trunkenheit eingesteckt worden ist, oder wie Drayton Bull,
Grimke Legare oder Preston Laurens wegen Taschendieb stahl verurtheilt
worden sind.

Die politischen Jndustrieritter des Nordens, welche man als "Carpet-
Baggers" bezeichnet, sind dem strengen Scherbengericht der Weißen verfallen
und aus der Gesellschaft verbannt worden. Auch die "Sealawags," wie man
die südlichen weißen Republikaner nennt, haben diese Behandlung erfahren.
Die übrigen Weißen insnltirten sie und hatten keinen Verkehr mit ihnen, aus¬
genommen in Geschäftssachen. Dasselbe galt bis vor etwa Jahresfrist von
den Bewohnern der Nordstaaten, wenn sie nach dem Süden kamen. Aber
seitdem hat man ihnen aus politischen Gründen mehr Aufmerksamkeit erwiese,?,
obwohl der oberflächlichste Beobachter herausfinden kann, daß ein herzliches
Verhältniß noch keineswegs wieder hergestellt ist. Unter Bewohnern der Nord-
staaten verstehen wir nicht die erwähnten Jndustrieritter und Aemterjäger,
sondern Kaufleute, Einwanderer, Reisende und andere Besucher.

Die Neger reden die Weißen gewöhnlich noch immer mit "Massa" oder
"Boß" (das plattdeutsche Bnas), mit "Miß" oder "Missis" an. Indeß haben
natürlich alle, welche in Politik machen oder Geld haben, sowie diejenigen
von der großen Masse, welche dreister sind, diese Titel fallen lassen. Die
Mehrzahl der Neger und der Farbigen überhaupt beträgt sich gegen die
Weißen, die sie kennen oder bei denen sie sich vermiethet haben, sehr achtungs¬
voll und ehrerbietig. Gelegentlich redet wohl eine schnippische Magd oder ein
kecker Diener die Herrschaft mit "Mister" oder "Missis" statt mit "Master"'
"Massa" oder "Miß" an, aber die Weißen sind solchen Neuerungen gegen¬
über sehr eifersüchtig, und sehr oft ist es geschehen, daß man Kinderwärterinnen
sofort aus dem Dienste geschickt hat, weil sie sich geweigert, dem Namen der
Kinder ein Master vorauszuschicken. Die Weißen nennen'die Neger einfach
bei ihrem Vornamen; ausgenommen sind davon nur ältere Personen, denen
man noch die Titel "Annty" (Tauenden), "Daddy" (Väterchen), "Arete" (Oheim)
oder "Mauina" (Mütterchen) gibt. Unter sich haben die Schwarzen angefangen,
sich mit "Mister", "Missis" oder "Miß" anzureden. Sie sind über die Maßen
titelsüchtig. Unter den Weißen gilt es für unschicklich, einen Neger mit "Mister"
anzureden, doch geschieht es natürlich häufig, wenn ein Weißer bei der Gesetz-


Die Neger nahmen bei ihrer Freilassung gewöhnlich die Namen ihrer
bisherigen Herren an, obwohl etwa der dritte Theil derselben, dessen Herren
grausam gegen ihre Leute gewesen waren, sich den Namen eines früheren
Herrn beilegten, der im Rufe stand, gütig und rücksichtsvoll zu sein, oder sich
sonstwie Namen auflasen. Häufig tragen sie die Namen von berühmten
Männern, und so kommt es vor, daß man in Polizeiberichten liest, wie Arthur
Middleton wegen Trunkenheit eingesteckt worden ist, oder wie Drayton Bull,
Grimke Legare oder Preston Laurens wegen Taschendieb stahl verurtheilt
worden sind.

Die politischen Jndustrieritter des Nordens, welche man als „Carpet-
Baggers" bezeichnet, sind dem strengen Scherbengericht der Weißen verfallen
und aus der Gesellschaft verbannt worden. Auch die „Sealawags," wie man
die südlichen weißen Republikaner nennt, haben diese Behandlung erfahren.
Die übrigen Weißen insnltirten sie und hatten keinen Verkehr mit ihnen, aus¬
genommen in Geschäftssachen. Dasselbe galt bis vor etwa Jahresfrist von
den Bewohnern der Nordstaaten, wenn sie nach dem Süden kamen. Aber
seitdem hat man ihnen aus politischen Gründen mehr Aufmerksamkeit erwiese,?,
obwohl der oberflächlichste Beobachter herausfinden kann, daß ein herzliches
Verhältniß noch keineswegs wieder hergestellt ist. Unter Bewohnern der Nord-
staaten verstehen wir nicht die erwähnten Jndustrieritter und Aemterjäger,
sondern Kaufleute, Einwanderer, Reisende und andere Besucher.

Die Neger reden die Weißen gewöhnlich noch immer mit „Massa" oder
„Boß" (das plattdeutsche Bnas), mit „Miß" oder „Missis" an. Indeß haben
natürlich alle, welche in Politik machen oder Geld haben, sowie diejenigen
von der großen Masse, welche dreister sind, diese Titel fallen lassen. Die
Mehrzahl der Neger und der Farbigen überhaupt beträgt sich gegen die
Weißen, die sie kennen oder bei denen sie sich vermiethet haben, sehr achtungs¬
voll und ehrerbietig. Gelegentlich redet wohl eine schnippische Magd oder ein
kecker Diener die Herrschaft mit „Mister" oder „Missis" statt mit „Master"'
„Massa" oder „Miß" an, aber die Weißen sind solchen Neuerungen gegen¬
über sehr eifersüchtig, und sehr oft ist es geschehen, daß man Kinderwärterinnen
sofort aus dem Dienste geschickt hat, weil sie sich geweigert, dem Namen der
Kinder ein Master vorauszuschicken. Die Weißen nennen'die Neger einfach
bei ihrem Vornamen; ausgenommen sind davon nur ältere Personen, denen
man noch die Titel „Annty" (Tauenden), „Daddy" (Väterchen), „Arete" (Oheim)
oder „Mauina" (Mütterchen) gibt. Unter sich haben die Schwarzen angefangen,
sich mit „Mister", „Missis" oder „Miß" anzureden. Sie sind über die Maßen
titelsüchtig. Unter den Weißen gilt es für unschicklich, einen Neger mit „Mister"
anzureden, doch geschieht es natürlich häufig, wenn ein Weißer bei der Gesetz-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/157>, abgerufen am 28.09.2024.