Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

das Volk verehrt, sie als seine Helden ansieht und sie zu seinen Führern
wählt. Noch immer erscheinen die Aristokraten Südearolinas als Ehrenmit¬
glieder und Vertrauensmänner jeder Genossenschaft, als die Leiter bei öffent¬
lichen Bällen und andern Vergnügungen. Wenn ein Lyceum, ein Kollege,
eine literarische Gesellschaft oder ein politischer Verein sich eine große Rede
oder Ansprache halten lassen will, so wählen sie einen Aristokraten, der oft ein
ehrwürdiger und der Landesgeschichte bekannter Greis ist, zum Redner, und
der betreffende Saal füllt sich mit eifrigen Zuhörern. Wenn eine neue Aktien¬
gesellschaft gegründet wird, so ist sie des Erfolgs sicher, wenn ein paar zur
Aristokratie zählende Männer sich bewegen lassen, nominell als Direktoren zu
fungiren. Die Versicherungsgesellschaften wählen zu ihren Generalagenten un¬
abänderlich ehemalige Heerführer der Confederirten, und ihre Unteragenten
sowie die der Nähmaschinen-Gesellschaften sind fast immer Mitglieder der
Aristokratie. Herren von der alten Schule befinden sich unter uns in Hülle und
Fülle, werden sofort an ihrer unbeschreiblichen vornehmen Art und Weise aus
allen Andern heraus erkannt und erfreuen sich der höchsten Verehrung des
Volkes. Die Aristokratie ist der Ansicht, das sie etwas Besseres als die
übrigen Bürger des Staates ist und besondere Berücksichtigung fordern kann,
und dieser Anspruch wird allgemein anerkannt. So weit es ihnen ihre jetzt
beschränkten Mittel gestatten, halten sie ihre alten Sitten und Ueberlieferungen
aufrecht. Sobald ein Aristokrat genöthigt ist, mit dem höhern Bürgerstande
und der arbeitenden Klasse zu verkehren, behandeln sie ihn mit einer geradezu
erstaunlichen Hochachtung, auf beiden Seiten wird stillschweigend angenommen,
daß er zwar unter ihnen, aber nicht einer von ihnen ist, was die Andern --
so ist nun einmal die menschliche Natur -- veranlaßt, ihm den Stiefel zu
küssen und ihn demüthig und dienstbereit zu umschwänzeln. Es ist unmög¬
lich, die furchtbare Aufregung zu beschreiben, welche entsteht, wenn ein Aristokrat
bei einem unsrer zahlreichen politischen Zusammenstöße verwundet oder getödtet
wird. Einer der Hauptgründe, weshalb die Weißen sich während des letzten
Wahlfeldzugs der schnurstracks aufs Ziel losgeheuden Politik zuwendeten,
waren die leidenschaftlichen Ansprachen, in denen sie nach dem Gemetzel in
Hamburg gebeten wurden, ihren alten General Butler, möge er recht gehandelt
haben oder unrecht, nicht zu verlassen und ihn seinen Streit mit dem Gouverneur
Chamberlain, dessen Organ in Columbia laut schreiend Butler's Verhaftung
forderte, allein ausfechten zu lassen.

Infolge dessen existiren die alten Klassen der südlichen Gesellschaft noch
jetzt. Die Aristokratie ist von den "respektabel" Leuten," die respektabeln Leute
sind vou der arbeitenden Klasse, den Handwerkern, Kleinhändlern und Farmern,


Grenzboten III. 1377. 19

das Volk verehrt, sie als seine Helden ansieht und sie zu seinen Führern
wählt. Noch immer erscheinen die Aristokraten Südearolinas als Ehrenmit¬
glieder und Vertrauensmänner jeder Genossenschaft, als die Leiter bei öffent¬
lichen Bällen und andern Vergnügungen. Wenn ein Lyceum, ein Kollege,
eine literarische Gesellschaft oder ein politischer Verein sich eine große Rede
oder Ansprache halten lassen will, so wählen sie einen Aristokraten, der oft ein
ehrwürdiger und der Landesgeschichte bekannter Greis ist, zum Redner, und
der betreffende Saal füllt sich mit eifrigen Zuhörern. Wenn eine neue Aktien¬
gesellschaft gegründet wird, so ist sie des Erfolgs sicher, wenn ein paar zur
Aristokratie zählende Männer sich bewegen lassen, nominell als Direktoren zu
fungiren. Die Versicherungsgesellschaften wählen zu ihren Generalagenten un¬
abänderlich ehemalige Heerführer der Confederirten, und ihre Unteragenten
sowie die der Nähmaschinen-Gesellschaften sind fast immer Mitglieder der
Aristokratie. Herren von der alten Schule befinden sich unter uns in Hülle und
Fülle, werden sofort an ihrer unbeschreiblichen vornehmen Art und Weise aus
allen Andern heraus erkannt und erfreuen sich der höchsten Verehrung des
Volkes. Die Aristokratie ist der Ansicht, das sie etwas Besseres als die
übrigen Bürger des Staates ist und besondere Berücksichtigung fordern kann,
und dieser Anspruch wird allgemein anerkannt. So weit es ihnen ihre jetzt
beschränkten Mittel gestatten, halten sie ihre alten Sitten und Ueberlieferungen
aufrecht. Sobald ein Aristokrat genöthigt ist, mit dem höhern Bürgerstande
und der arbeitenden Klasse zu verkehren, behandeln sie ihn mit einer geradezu
erstaunlichen Hochachtung, auf beiden Seiten wird stillschweigend angenommen,
daß er zwar unter ihnen, aber nicht einer von ihnen ist, was die Andern —
so ist nun einmal die menschliche Natur — veranlaßt, ihm den Stiefel zu
küssen und ihn demüthig und dienstbereit zu umschwänzeln. Es ist unmög¬
lich, die furchtbare Aufregung zu beschreiben, welche entsteht, wenn ein Aristokrat
bei einem unsrer zahlreichen politischen Zusammenstöße verwundet oder getödtet
wird. Einer der Hauptgründe, weshalb die Weißen sich während des letzten
Wahlfeldzugs der schnurstracks aufs Ziel losgeheuden Politik zuwendeten,
waren die leidenschaftlichen Ansprachen, in denen sie nach dem Gemetzel in
Hamburg gebeten wurden, ihren alten General Butler, möge er recht gehandelt
haben oder unrecht, nicht zu verlassen und ihn seinen Streit mit dem Gouverneur
Chamberlain, dessen Organ in Columbia laut schreiend Butler's Verhaftung
forderte, allein ausfechten zu lassen.

Infolge dessen existiren die alten Klassen der südlichen Gesellschaft noch
jetzt. Die Aristokratie ist von den „respektabel« Leuten," die respektabeln Leute
sind vou der arbeitenden Klasse, den Handwerkern, Kleinhändlern und Farmern,


Grenzboten III. 1377. 19
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0153" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138384"/>
          <p xml:id="ID_422" prev="#ID_421"> das Volk verehrt, sie als seine Helden ansieht und sie zu seinen Führern<lb/>
wählt. Noch immer erscheinen die Aristokraten Südearolinas als Ehrenmit¬<lb/>
glieder und Vertrauensmänner jeder Genossenschaft, als die Leiter bei öffent¬<lb/>
lichen Bällen und andern Vergnügungen. Wenn ein Lyceum, ein Kollege,<lb/>
eine literarische Gesellschaft oder ein politischer Verein sich eine große Rede<lb/>
oder Ansprache halten lassen will, so wählen sie einen Aristokraten, der oft ein<lb/>
ehrwürdiger und der Landesgeschichte bekannter Greis ist, zum Redner, und<lb/>
der betreffende Saal füllt sich mit eifrigen Zuhörern. Wenn eine neue Aktien¬<lb/>
gesellschaft gegründet wird, so ist sie des Erfolgs sicher, wenn ein paar zur<lb/>
Aristokratie zählende Männer sich bewegen lassen, nominell als Direktoren zu<lb/>
fungiren. Die Versicherungsgesellschaften wählen zu ihren Generalagenten un¬<lb/>
abänderlich ehemalige Heerführer der Confederirten, und ihre Unteragenten<lb/>
sowie die der Nähmaschinen-Gesellschaften sind fast immer Mitglieder der<lb/>
Aristokratie. Herren von der alten Schule befinden sich unter uns in Hülle und<lb/>
Fülle, werden sofort an ihrer unbeschreiblichen vornehmen Art und Weise aus<lb/>
allen Andern heraus erkannt und erfreuen sich der höchsten Verehrung des<lb/>
Volkes. Die Aristokratie ist der Ansicht, das sie etwas Besseres als die<lb/>
übrigen Bürger des Staates ist und besondere Berücksichtigung fordern kann,<lb/>
und dieser Anspruch wird allgemein anerkannt. So weit es ihnen ihre jetzt<lb/>
beschränkten Mittel gestatten, halten sie ihre alten Sitten und Ueberlieferungen<lb/>
aufrecht. Sobald ein Aristokrat genöthigt ist, mit dem höhern Bürgerstande<lb/>
und der arbeitenden Klasse zu verkehren, behandeln sie ihn mit einer geradezu<lb/>
erstaunlichen Hochachtung, auf beiden Seiten wird stillschweigend angenommen,<lb/>
daß er zwar unter ihnen, aber nicht einer von ihnen ist, was die Andern &#x2014;<lb/>
so ist nun einmal die menschliche Natur &#x2014; veranlaßt, ihm den Stiefel zu<lb/>
küssen und ihn demüthig und dienstbereit zu umschwänzeln. Es ist unmög¬<lb/>
lich, die furchtbare Aufregung zu beschreiben, welche entsteht, wenn ein Aristokrat<lb/>
bei einem unsrer zahlreichen politischen Zusammenstöße verwundet oder getödtet<lb/>
wird. Einer der Hauptgründe, weshalb die Weißen sich während des letzten<lb/>
Wahlfeldzugs der schnurstracks aufs Ziel losgeheuden Politik zuwendeten,<lb/>
waren die leidenschaftlichen Ansprachen, in denen sie nach dem Gemetzel in<lb/>
Hamburg gebeten wurden, ihren alten General Butler, möge er recht gehandelt<lb/>
haben oder unrecht, nicht zu verlassen und ihn seinen Streit mit dem Gouverneur<lb/>
Chamberlain, dessen Organ in Columbia laut schreiend Butler's Verhaftung<lb/>
forderte, allein ausfechten zu lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_423" next="#ID_424"> Infolge dessen existiren die alten Klassen der südlichen Gesellschaft noch<lb/>
jetzt. Die Aristokratie ist von den &#x201E;respektabel« Leuten," die respektabeln Leute<lb/>
sind vou der arbeitenden Klasse, den Handwerkern, Kleinhändlern und Farmern,</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1377. 19</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0153] das Volk verehrt, sie als seine Helden ansieht und sie zu seinen Führern wählt. Noch immer erscheinen die Aristokraten Südearolinas als Ehrenmit¬ glieder und Vertrauensmänner jeder Genossenschaft, als die Leiter bei öffent¬ lichen Bällen und andern Vergnügungen. Wenn ein Lyceum, ein Kollege, eine literarische Gesellschaft oder ein politischer Verein sich eine große Rede oder Ansprache halten lassen will, so wählen sie einen Aristokraten, der oft ein ehrwürdiger und der Landesgeschichte bekannter Greis ist, zum Redner, und der betreffende Saal füllt sich mit eifrigen Zuhörern. Wenn eine neue Aktien¬ gesellschaft gegründet wird, so ist sie des Erfolgs sicher, wenn ein paar zur Aristokratie zählende Männer sich bewegen lassen, nominell als Direktoren zu fungiren. Die Versicherungsgesellschaften wählen zu ihren Generalagenten un¬ abänderlich ehemalige Heerführer der Confederirten, und ihre Unteragenten sowie die der Nähmaschinen-Gesellschaften sind fast immer Mitglieder der Aristokratie. Herren von der alten Schule befinden sich unter uns in Hülle und Fülle, werden sofort an ihrer unbeschreiblichen vornehmen Art und Weise aus allen Andern heraus erkannt und erfreuen sich der höchsten Verehrung des Volkes. Die Aristokratie ist der Ansicht, das sie etwas Besseres als die übrigen Bürger des Staates ist und besondere Berücksichtigung fordern kann, und dieser Anspruch wird allgemein anerkannt. So weit es ihnen ihre jetzt beschränkten Mittel gestatten, halten sie ihre alten Sitten und Ueberlieferungen aufrecht. Sobald ein Aristokrat genöthigt ist, mit dem höhern Bürgerstande und der arbeitenden Klasse zu verkehren, behandeln sie ihn mit einer geradezu erstaunlichen Hochachtung, auf beiden Seiten wird stillschweigend angenommen, daß er zwar unter ihnen, aber nicht einer von ihnen ist, was die Andern — so ist nun einmal die menschliche Natur — veranlaßt, ihm den Stiefel zu küssen und ihn demüthig und dienstbereit zu umschwänzeln. Es ist unmög¬ lich, die furchtbare Aufregung zu beschreiben, welche entsteht, wenn ein Aristokrat bei einem unsrer zahlreichen politischen Zusammenstöße verwundet oder getödtet wird. Einer der Hauptgründe, weshalb die Weißen sich während des letzten Wahlfeldzugs der schnurstracks aufs Ziel losgeheuden Politik zuwendeten, waren die leidenschaftlichen Ansprachen, in denen sie nach dem Gemetzel in Hamburg gebeten wurden, ihren alten General Butler, möge er recht gehandelt haben oder unrecht, nicht zu verlassen und ihn seinen Streit mit dem Gouverneur Chamberlain, dessen Organ in Columbia laut schreiend Butler's Verhaftung forderte, allein ausfechten zu lassen. Infolge dessen existiren die alten Klassen der südlichen Gesellschaft noch jetzt. Die Aristokratie ist von den „respektabel« Leuten," die respektabeln Leute sind vou der arbeitenden Klasse, den Handwerkern, Kleinhändlern und Farmern, Grenzboten III. 1377. 19

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/153
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/153>, abgerufen am 28.09.2024.