Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Schanzen zur Sprache; diese, sagt er, könnten nur die Sicherung Frankfurts
oder des Bundestags bezwecken; Frankfurt sei durch die militärischen Vor¬
kehrungen mehr gefährdet, als durch die Gefahren, gegen welche es durch jene
geschützt werden solle, die beabsichtigte Sicherung des Bundestags jedoch
könne "eine große Schädigung, wenn nicht eine Vernichtung der Stadt zur
Folge haben"; der Senat dürfe aber doch wohl vertrauen, daß die Bundes-
versammlung mit einem solchen Opfer ihre Sicherung nicht werde erkaufen
wollen. Er beantragt demnach die Einstellung und Hinwegziehung der bis
jetzt getroffenen militärischen Anordnungen: beantragt sofortige Entschließung
hoher Versammlung, und "behält vorsorglich dem Senat weitere Entschließung
vor". Also Frankfurt soll nicht vertheidigt werden: folglich -- das ist ein
Schluß, der, wenn irgend etwas auf der Welt, von selbst einleuchten muß --
wird der Bundestag feine Sicherung anderweitig, d. h. anderswo, außerhalb
Frankfurt suchen müssen. Das nenne ich einem den Stuhl vor die Thüre
setzen: und der Bundestag ist diesem, in die bekannte lächerliche Bnndesver-
sammlungsphraseologie eingewickelten, ebenso verständigen als verstündlichen
Wink auch nachgekommen. Denn der frankfurter Senat hatte vollkommen
Recht: die Anwesenheit des Bundestags in Frankfurt war nutzlos für das
Ganze, für Frankfurt war sie gefährlich. Wenn jener Vortrag und Antrag
des frankfurter Bundestagsgesandter am 11. Juli einen andern Sinn haben
kann, so mag Herr Kanngießer meiner Thorheit zur Hülfe kommen.

"Der Zorn bringt blinde Junge zur Welt" ist ein altes Wort: und ich
eile, das eben vorgeführte Exemplar eines solchen einer hübschen Sammlung
von Erzeugnissen des partiknlaristischen Zornes einzuverleiben, welche einst
einen werthvollen Theil meines Nachlasses bilden wird. Das zweite, das ich
nunmehr vorführen muß, eignet sich wenigstens nicht zur Einfügung in die
konnsche Abtheilung meiner Sammlung, da die baare Gemeinheit in der That
nichts Komisches hat. Ich sage: ob wirklich einzelne Niederträchtige in Frank¬
furt sich an preußischen Verwundeten vergriffen hätten, möge dahingestellt
bleiben: Herr Kanngießer und meine andern guten Freunde in Frankfurt geberden
sich, als hätte ich zum mindestens gesagt, Senat und Bürgerschaft von Frank¬
furt hätte dergleichen angeordnet. "Hütte sich Dr. I. die geringste Mühe
gegeben, die Wahrheit oder Unwahrheit der von ihm angeführten Behauptung
zu erforschen, so würde er sehr bald gefunden haben, daß niemals etwas Der¬
artiges in Frankfurt vorgekommen ist." Niemals dergleichen vorgekommen ist?
Wo sind denn Auerswald und Lichnowsky umgebracht worden? Und hat diese
glückliche Stadt Frankfurt allein das Privilegium, daß dort niemals ein
weitverbreiteter Haß einzelne Niederträchtige zu schändlichen Hand¬
lungen hinreißt? Daß dies, wie damals -- fälschlich, wie ich Herrn Kanngießer


Grenzboten III. 1377. Is

Schanzen zur Sprache; diese, sagt er, könnten nur die Sicherung Frankfurts
oder des Bundestags bezwecken; Frankfurt sei durch die militärischen Vor¬
kehrungen mehr gefährdet, als durch die Gefahren, gegen welche es durch jene
geschützt werden solle, die beabsichtigte Sicherung des Bundestags jedoch
könne „eine große Schädigung, wenn nicht eine Vernichtung der Stadt zur
Folge haben"; der Senat dürfe aber doch wohl vertrauen, daß die Bundes-
versammlung mit einem solchen Opfer ihre Sicherung nicht werde erkaufen
wollen. Er beantragt demnach die Einstellung und Hinwegziehung der bis
jetzt getroffenen militärischen Anordnungen: beantragt sofortige Entschließung
hoher Versammlung, und „behält vorsorglich dem Senat weitere Entschließung
vor". Also Frankfurt soll nicht vertheidigt werden: folglich — das ist ein
Schluß, der, wenn irgend etwas auf der Welt, von selbst einleuchten muß —
wird der Bundestag feine Sicherung anderweitig, d. h. anderswo, außerhalb
Frankfurt suchen müssen. Das nenne ich einem den Stuhl vor die Thüre
setzen: und der Bundestag ist diesem, in die bekannte lächerliche Bnndesver-
sammlungsphraseologie eingewickelten, ebenso verständigen als verstündlichen
Wink auch nachgekommen. Denn der frankfurter Senat hatte vollkommen
Recht: die Anwesenheit des Bundestags in Frankfurt war nutzlos für das
Ganze, für Frankfurt war sie gefährlich. Wenn jener Vortrag und Antrag
des frankfurter Bundestagsgesandter am 11. Juli einen andern Sinn haben
kann, so mag Herr Kanngießer meiner Thorheit zur Hülfe kommen.

„Der Zorn bringt blinde Junge zur Welt" ist ein altes Wort: und ich
eile, das eben vorgeführte Exemplar eines solchen einer hübschen Sammlung
von Erzeugnissen des partiknlaristischen Zornes einzuverleiben, welche einst
einen werthvollen Theil meines Nachlasses bilden wird. Das zweite, das ich
nunmehr vorführen muß, eignet sich wenigstens nicht zur Einfügung in die
konnsche Abtheilung meiner Sammlung, da die baare Gemeinheit in der That
nichts Komisches hat. Ich sage: ob wirklich einzelne Niederträchtige in Frank¬
furt sich an preußischen Verwundeten vergriffen hätten, möge dahingestellt
bleiben: Herr Kanngießer und meine andern guten Freunde in Frankfurt geberden
sich, als hätte ich zum mindestens gesagt, Senat und Bürgerschaft von Frank¬
furt hätte dergleichen angeordnet. „Hütte sich Dr. I. die geringste Mühe
gegeben, die Wahrheit oder Unwahrheit der von ihm angeführten Behauptung
zu erforschen, so würde er sehr bald gefunden haben, daß niemals etwas Der¬
artiges in Frankfurt vorgekommen ist." Niemals dergleichen vorgekommen ist?
Wo sind denn Auerswald und Lichnowsky umgebracht worden? Und hat diese
glückliche Stadt Frankfurt allein das Privilegium, daß dort niemals ein
weitverbreiteter Haß einzelne Niederträchtige zu schändlichen Hand¬
lungen hinreißt? Daß dies, wie damals — fälschlich, wie ich Herrn Kanngießer


Grenzboten III. 1377. Is
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0121" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138352"/>
          <p xml:id="ID_342" prev="#ID_341"> Schanzen zur Sprache; diese, sagt er, könnten nur die Sicherung Frankfurts<lb/>
oder des Bundestags bezwecken; Frankfurt sei durch die militärischen Vor¬<lb/>
kehrungen mehr gefährdet, als durch die Gefahren, gegen welche es durch jene<lb/>
geschützt werden solle, die beabsichtigte Sicherung des Bundestags jedoch<lb/>
könne &#x201E;eine große Schädigung, wenn nicht eine Vernichtung der Stadt zur<lb/>
Folge haben"; der Senat dürfe aber doch wohl vertrauen, daß die Bundes-<lb/>
versammlung mit einem solchen Opfer ihre Sicherung nicht werde erkaufen<lb/>
wollen. Er beantragt demnach die Einstellung und Hinwegziehung der bis<lb/>
jetzt getroffenen militärischen Anordnungen: beantragt sofortige Entschließung<lb/>
hoher Versammlung, und &#x201E;behält vorsorglich dem Senat weitere Entschließung<lb/>
vor". Also Frankfurt soll nicht vertheidigt werden: folglich &#x2014; das ist ein<lb/>
Schluß, der, wenn irgend etwas auf der Welt, von selbst einleuchten muß &#x2014;<lb/>
wird der Bundestag feine Sicherung anderweitig, d. h. anderswo, außerhalb<lb/>
Frankfurt suchen müssen. Das nenne ich einem den Stuhl vor die Thüre<lb/>
setzen: und der Bundestag ist diesem, in die bekannte lächerliche Bnndesver-<lb/>
sammlungsphraseologie eingewickelten, ebenso verständigen als verstündlichen<lb/>
Wink auch nachgekommen. Denn der frankfurter Senat hatte vollkommen<lb/>
Recht: die Anwesenheit des Bundestags in Frankfurt war nutzlos für das<lb/>
Ganze, für Frankfurt war sie gefährlich. Wenn jener Vortrag und Antrag<lb/>
des frankfurter Bundestagsgesandter am 11. Juli einen andern Sinn haben<lb/>
kann, so mag Herr Kanngießer meiner Thorheit zur Hülfe kommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_343" next="#ID_344"> &#x201E;Der Zorn bringt blinde Junge zur Welt" ist ein altes Wort: und ich<lb/>
eile, das eben vorgeführte Exemplar eines solchen einer hübschen Sammlung<lb/>
von Erzeugnissen des partiknlaristischen Zornes einzuverleiben, welche einst<lb/>
einen werthvollen Theil meines Nachlasses bilden wird. Das zweite, das ich<lb/>
nunmehr vorführen muß, eignet sich wenigstens nicht zur Einfügung in die<lb/>
konnsche Abtheilung meiner Sammlung, da die baare Gemeinheit in der That<lb/>
nichts Komisches hat. Ich sage: ob wirklich einzelne Niederträchtige in Frank¬<lb/>
furt sich an preußischen Verwundeten vergriffen hätten, möge dahingestellt<lb/>
bleiben: Herr Kanngießer und meine andern guten Freunde in Frankfurt geberden<lb/>
sich, als hätte ich zum mindestens gesagt, Senat und Bürgerschaft von Frank¬<lb/>
furt hätte dergleichen angeordnet. &#x201E;Hütte sich Dr. I. die geringste Mühe<lb/>
gegeben, die Wahrheit oder Unwahrheit der von ihm angeführten Behauptung<lb/>
zu erforschen, so würde er sehr bald gefunden haben, daß niemals etwas Der¬<lb/>
artiges in Frankfurt vorgekommen ist." Niemals dergleichen vorgekommen ist?<lb/>
Wo sind denn Auerswald und Lichnowsky umgebracht worden? Und hat diese<lb/>
glückliche Stadt Frankfurt allein das Privilegium, daß dort niemals ein<lb/>
weitverbreiteter Haß einzelne Niederträchtige zu schändlichen Hand¬<lb/>
lungen hinreißt? Daß dies, wie damals &#x2014; fälschlich, wie ich Herrn Kanngießer</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1377. Is</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0121] Schanzen zur Sprache; diese, sagt er, könnten nur die Sicherung Frankfurts oder des Bundestags bezwecken; Frankfurt sei durch die militärischen Vor¬ kehrungen mehr gefährdet, als durch die Gefahren, gegen welche es durch jene geschützt werden solle, die beabsichtigte Sicherung des Bundestags jedoch könne „eine große Schädigung, wenn nicht eine Vernichtung der Stadt zur Folge haben"; der Senat dürfe aber doch wohl vertrauen, daß die Bundes- versammlung mit einem solchen Opfer ihre Sicherung nicht werde erkaufen wollen. Er beantragt demnach die Einstellung und Hinwegziehung der bis jetzt getroffenen militärischen Anordnungen: beantragt sofortige Entschließung hoher Versammlung, und „behält vorsorglich dem Senat weitere Entschließung vor". Also Frankfurt soll nicht vertheidigt werden: folglich — das ist ein Schluß, der, wenn irgend etwas auf der Welt, von selbst einleuchten muß — wird der Bundestag feine Sicherung anderweitig, d. h. anderswo, außerhalb Frankfurt suchen müssen. Das nenne ich einem den Stuhl vor die Thüre setzen: und der Bundestag ist diesem, in die bekannte lächerliche Bnndesver- sammlungsphraseologie eingewickelten, ebenso verständigen als verstündlichen Wink auch nachgekommen. Denn der frankfurter Senat hatte vollkommen Recht: die Anwesenheit des Bundestags in Frankfurt war nutzlos für das Ganze, für Frankfurt war sie gefährlich. Wenn jener Vortrag und Antrag des frankfurter Bundestagsgesandter am 11. Juli einen andern Sinn haben kann, so mag Herr Kanngießer meiner Thorheit zur Hülfe kommen. „Der Zorn bringt blinde Junge zur Welt" ist ein altes Wort: und ich eile, das eben vorgeführte Exemplar eines solchen einer hübschen Sammlung von Erzeugnissen des partiknlaristischen Zornes einzuverleiben, welche einst einen werthvollen Theil meines Nachlasses bilden wird. Das zweite, das ich nunmehr vorführen muß, eignet sich wenigstens nicht zur Einfügung in die konnsche Abtheilung meiner Sammlung, da die baare Gemeinheit in der That nichts Komisches hat. Ich sage: ob wirklich einzelne Niederträchtige in Frank¬ furt sich an preußischen Verwundeten vergriffen hätten, möge dahingestellt bleiben: Herr Kanngießer und meine andern guten Freunde in Frankfurt geberden sich, als hätte ich zum mindestens gesagt, Senat und Bürgerschaft von Frank¬ furt hätte dergleichen angeordnet. „Hütte sich Dr. I. die geringste Mühe gegeben, die Wahrheit oder Unwahrheit der von ihm angeführten Behauptung zu erforschen, so würde er sehr bald gefunden haben, daß niemals etwas Der¬ artiges in Frankfurt vorgekommen ist." Niemals dergleichen vorgekommen ist? Wo sind denn Auerswald und Lichnowsky umgebracht worden? Und hat diese glückliche Stadt Frankfurt allein das Privilegium, daß dort niemals ein weitverbreiteter Haß einzelne Niederträchtige zu schändlichen Hand¬ lungen hinreißt? Daß dies, wie damals — fälschlich, wie ich Herrn Kanngießer Grenzboten III. 1377. Is

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/121
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/121>, abgerufen am 21.10.2024.