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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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geht, dann sind wir auch noch da!" Ja wohl! da waren sie, und da blieben
sie auch, nämlich hinter der Weinflasche, am warmen Ofen. Kein Wunder,
daß die erbitterten Soldaten und Mobilgarden, wenn sie von ihrem beschwer¬
lichen Dienst zurückkehrten, beim Anblick dieser faullenzenden und feigen Burschen
die Gewehre umkehrten, und mit dem Rufe "Es lebe der Friede" in die Stadt
einzogen.

Nun, da es zu spät war, beschloß die Pariser Regierung zu thun, was
im Monat September und Oktober eine richtige Maßregel gewesen wäre: man
wollte diese unruhigen und turbulenter Massen, die fortwährend den Krieg bis
aufs Messer predigten und heroische Ausfälle verlangten, tüchtig an den Feind
bringen, und ihnen einige kräftige Aderlasse appliziren. Schon stieg die Noth
und das Elend ins Ungeheuere. Auf 8238 Todesfälle im Monat November
waren 12885 im Dezember gefolgt. Das Bewußtsein eines nothwendigen
Kapitulationsbeschlusses drängte sich den Leitern der Regierung immer unwider¬
stehlicher auf. Die Furcht vor jenen Schreiern der Straße, die jeden Gedanken an
Frieden als Verrath bekämpften, der ihrem bequemen Leben ein Ende bereitete,
ließ jedoch die schwachen Geister immer wieder zögern mit dem, was doch
kommen mußte. Dafür wollte man aber wenigstens die Vorstadt-Bataillone an
den Feind schicken. In dem Kriegsrath vom 10. Januar 1871 rieth der Ge¬
neral Trochu: "Wenn bei einem großen Ausfall 20- bis 25000 Mann fallen,
wird Paris schon kapituliren!" Man schrie Zeter, aber Trochu ließ sich uicht
irre machen: !"Die Nationalgarde wird schon mürbe werden, wenn sie 10,000
Mann verloren hat!" Einer der Generale bemerkte dagegen sehr richtig: "Es
wird nicht so leicht sein, diese 10,000 Nationalgarten dahin zu bringen, sich
todten zu lassen." Der General Thomas wurde über die Sachlage befragt;
er äußerte sich sehr trocken: "Das ganze Schlachtengebrüll dieser Sorte Natio¬
nalgarde ist reiner Schwindel. Jetzt schon, wo sie nur davon Wind bekommen
haben, daß sie an den Feind sollen, sind sie äußerst klein geworden! Ueber diese
Gesellschaft muß man sich nnr ja keine Illusionen machen!" Das war das
Vorspiel zum Ausfall von Buzenval. Die Ereignisse gaben dem General
Thomas vollkommen Recht. Die Nationalgarde verlor weder 25000, noch
20,000 Mann, sie riß aus, ehe sie tausend Mann verloren hatte. Von hundert
Bataillonen, die zum Ausmarsch kommandirt waren, erschienen nur zwanzig.
Diese geriethen in das Granatfeuer der Korpsartillerie unseres 4. Armeekorps,
die bei Montesson und Chatoü, eine flankirende Aufstellung genommen hatte,
und sie verschwanden schleunigst von der Bildfläche.

Am 22. Januar versuchte die Kommune abermals einen Handstreich; das
Bataillon 101 der Nationalgarde versuchte, sich in Besitz des Stadthauses zu
setzen. Nach wenigen Flintenschüssen liefen die Elenden davon. Ihr Kom-


geht, dann sind wir auch noch da!" Ja wohl! da waren sie, und da blieben
sie auch, nämlich hinter der Weinflasche, am warmen Ofen. Kein Wunder,
daß die erbitterten Soldaten und Mobilgarden, wenn sie von ihrem beschwer¬
lichen Dienst zurückkehrten, beim Anblick dieser faullenzenden und feigen Burschen
die Gewehre umkehrten, und mit dem Rufe „Es lebe der Friede" in die Stadt
einzogen.

Nun, da es zu spät war, beschloß die Pariser Regierung zu thun, was
im Monat September und Oktober eine richtige Maßregel gewesen wäre: man
wollte diese unruhigen und turbulenter Massen, die fortwährend den Krieg bis
aufs Messer predigten und heroische Ausfälle verlangten, tüchtig an den Feind
bringen, und ihnen einige kräftige Aderlasse appliziren. Schon stieg die Noth
und das Elend ins Ungeheuere. Auf 8238 Todesfälle im Monat November
waren 12885 im Dezember gefolgt. Das Bewußtsein eines nothwendigen
Kapitulationsbeschlusses drängte sich den Leitern der Regierung immer unwider¬
stehlicher auf. Die Furcht vor jenen Schreiern der Straße, die jeden Gedanken an
Frieden als Verrath bekämpften, der ihrem bequemen Leben ein Ende bereitete,
ließ jedoch die schwachen Geister immer wieder zögern mit dem, was doch
kommen mußte. Dafür wollte man aber wenigstens die Vorstadt-Bataillone an
den Feind schicken. In dem Kriegsrath vom 10. Januar 1871 rieth der Ge¬
neral Trochu: „Wenn bei einem großen Ausfall 20- bis 25000 Mann fallen,
wird Paris schon kapituliren!" Man schrie Zeter, aber Trochu ließ sich uicht
irre machen: !„Die Nationalgarde wird schon mürbe werden, wenn sie 10,000
Mann verloren hat!" Einer der Generale bemerkte dagegen sehr richtig: „Es
wird nicht so leicht sein, diese 10,000 Nationalgarten dahin zu bringen, sich
todten zu lassen." Der General Thomas wurde über die Sachlage befragt;
er äußerte sich sehr trocken: „Das ganze Schlachtengebrüll dieser Sorte Natio¬
nalgarde ist reiner Schwindel. Jetzt schon, wo sie nur davon Wind bekommen
haben, daß sie an den Feind sollen, sind sie äußerst klein geworden! Ueber diese
Gesellschaft muß man sich nnr ja keine Illusionen machen!" Das war das
Vorspiel zum Ausfall von Buzenval. Die Ereignisse gaben dem General
Thomas vollkommen Recht. Die Nationalgarde verlor weder 25000, noch
20,000 Mann, sie riß aus, ehe sie tausend Mann verloren hatte. Von hundert
Bataillonen, die zum Ausmarsch kommandirt waren, erschienen nur zwanzig.
Diese geriethen in das Granatfeuer der Korpsartillerie unseres 4. Armeekorps,
die bei Montesson und Chatoü, eine flankirende Aufstellung genommen hatte,
und sie verschwanden schleunigst von der Bildfläche.

Am 22. Januar versuchte die Kommune abermals einen Handstreich; das
Bataillon 101 der Nationalgarde versuchte, sich in Besitz des Stadthauses zu
setzen. Nach wenigen Flintenschüssen liefen die Elenden davon. Ihr Kom-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/90>, abgerufen am 19.10.2024.