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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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diese "schrecklichen Patrioten" vor der ersten preußischen Patrouille vom Mont
Valerien weggelaufen waren!

Unglück war auch im Spiel. So gelangte die Nachricht vom Fall von
Metz, der die reizbare Bevölkerung aufs Tiefste erregen mußte, unglücklicher
Weise zuerst in die Hände eines von den Vielen der aus Eitelkeit und verkannter
Genialität halbverrückten Zeitungsschreiber, der diese folgenschwere Nachricht
in so hämischer und vaterlandsfeindlicher Weise in das Volk schleuderte, daß
sie die blutige und doch wieder burleske Emeute vom 30. Oktober herbeiführte,
die auch uns durch die herüberleuchtenden Flammen und herübertönenden
Schüsse den Beweis lieferte, daß der Bürgerkrieg in Paris ausgebrochen sei.
Der General Ducrot sagte später darüber in der Nationalversammlung am
28. Februar 1871: "Niemals werde ich die Erinnerung an das blutige Ver-
hängniß verwinden, das diese Männer der Unordnung der Sache der nationalen
Vertheidigung zugefügt haben, mein Herz hüpft vor Unmuth (douäit Ä'iiuli^-
Nation), wenn ich daran denke, daß ich am 31. Oktober vor den preußischen
Vorposten habe umkehren müssen, um auf das Stadthaus zu eilen. Dabei ist
^ eine entwürdigende Thatsache, daß kein Einziger der Chefs dieser Bewegung
jemals draußen sich hat sehen lassen, um gegen den Feind zu kämpfen!" Das
hört sich gewiß sehr rührend an, aber man sollte denken, der gute General
hätte besser gethan, ein paar Hundert "Männer der Unordnung" niederzu-
kartätschen, selbst auf die Gefahr hin -- unpopulär zu werdeu! Damit hätte
^ jedenfalls der Sache seines Landes mehr genützt, als mit seinem Unmuth
nu Herzen. -- Um der Sache den humoristischen Abschluß zu geben, wendeten
^es die Mitglieder der September-Regierung an die Bevölkerung von Paris,
UM durch ein Plebiscit sich ein Vertrauensvotum geben zu lassen. Moralisch
gestärkt durch die laute und einstimmige Billigung aller ehrenwerthen Elemente
des Volkes von Paris, konnte diese Regierung energisch auftreten gegen die
bösartigen Elemente, die hier zum ersten Male ans Licht der Sonne getreten
sind. Denn am 31. Oktober sind sie greifbar und persönlich herausgetreten,
°is Bataillonskommandeure, Sektionschefs sammt ihren verdächtigen Bataillonen,
jene widerwärtigen Menschen, deren mit Blut und Schmutz besudelte Namen
spater als Führer der Kommune am Pranger der Geschichte stehen sollten.
Aber die Regierung rührte kein Hand nach ihnen. Der Winter naht heran,
'uit ihm die Kälte, der Hunger, Krankheit und Tod: mächtige Bundesgenossen
für die, welche entschlossen waren, durch Irreleitung des niedrigsten Pöbels der
großen Stadt ihre schmutzigen Leidenschaften zu befriedigen. Aber die Regierung
that obsolut Nichts. Weder entwaffnete sie diejenigen Bataillone, welche in
offene Meuterei ausgebrochen waren, noch reinigte sie die verdächtigen Truppen¬
theile von den ihr wohlbekannten gefährlichen Elementen. Am allerwenigsten


diese „schrecklichen Patrioten" vor der ersten preußischen Patrouille vom Mont
Valerien weggelaufen waren!

Unglück war auch im Spiel. So gelangte die Nachricht vom Fall von
Metz, der die reizbare Bevölkerung aufs Tiefste erregen mußte, unglücklicher
Weise zuerst in die Hände eines von den Vielen der aus Eitelkeit und verkannter
Genialität halbverrückten Zeitungsschreiber, der diese folgenschwere Nachricht
in so hämischer und vaterlandsfeindlicher Weise in das Volk schleuderte, daß
sie die blutige und doch wieder burleske Emeute vom 30. Oktober herbeiführte,
die auch uns durch die herüberleuchtenden Flammen und herübertönenden
Schüsse den Beweis lieferte, daß der Bürgerkrieg in Paris ausgebrochen sei.
Der General Ducrot sagte später darüber in der Nationalversammlung am
28. Februar 1871: „Niemals werde ich die Erinnerung an das blutige Ver-
hängniß verwinden, das diese Männer der Unordnung der Sache der nationalen
Vertheidigung zugefügt haben, mein Herz hüpft vor Unmuth (douäit Ä'iiuli^-
Nation), wenn ich daran denke, daß ich am 31. Oktober vor den preußischen
Vorposten habe umkehren müssen, um auf das Stadthaus zu eilen. Dabei ist
^ eine entwürdigende Thatsache, daß kein Einziger der Chefs dieser Bewegung
jemals draußen sich hat sehen lassen, um gegen den Feind zu kämpfen!" Das
hört sich gewiß sehr rührend an, aber man sollte denken, der gute General
hätte besser gethan, ein paar Hundert „Männer der Unordnung" niederzu-
kartätschen, selbst auf die Gefahr hin — unpopulär zu werdeu! Damit hätte
^ jedenfalls der Sache seines Landes mehr genützt, als mit seinem Unmuth
nu Herzen. — Um der Sache den humoristischen Abschluß zu geben, wendeten
^es die Mitglieder der September-Regierung an die Bevölkerung von Paris,
UM durch ein Plebiscit sich ein Vertrauensvotum geben zu lassen. Moralisch
gestärkt durch die laute und einstimmige Billigung aller ehrenwerthen Elemente
des Volkes von Paris, konnte diese Regierung energisch auftreten gegen die
bösartigen Elemente, die hier zum ersten Male ans Licht der Sonne getreten
sind. Denn am 31. Oktober sind sie greifbar und persönlich herausgetreten,
°is Bataillonskommandeure, Sektionschefs sammt ihren verdächtigen Bataillonen,
jene widerwärtigen Menschen, deren mit Blut und Schmutz besudelte Namen
spater als Führer der Kommune am Pranger der Geschichte stehen sollten.
Aber die Regierung rührte kein Hand nach ihnen. Der Winter naht heran,
'uit ihm die Kälte, der Hunger, Krankheit und Tod: mächtige Bundesgenossen
für die, welche entschlossen waren, durch Irreleitung des niedrigsten Pöbels der
großen Stadt ihre schmutzigen Leidenschaften zu befriedigen. Aber die Regierung
that obsolut Nichts. Weder entwaffnete sie diejenigen Bataillone, welche in
offene Meuterei ausgebrochen waren, noch reinigte sie die verdächtigen Truppen¬
theile von den ihr wohlbekannten gefährlichen Elementen. Am allerwenigsten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/87>, abgerufen am 02.10.2024.