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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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denen sich jedoch auch Halbmonde und Sterne befinden und die ihnen die
Stelle der im türkischen Heere üblichen Roßschweife vertreten. Die Kirchenbücher
und Kriegsbeute werden als theuere Andenken aufbewahrt. Der Schatz und
das Arsenal, in welchem sich viele Massen ans verschiedenen Epochen befinden,
sind in zwei Kirchen (Oer'Kiön) untergebracht, während in einer dritten an
Sonn und Feiertagen die Andachten abgehalten werden.

Die Kosaken Nekrassows haben eine vollständig kommunistische Organisation-
Sie bilden eine kriegerische Genossenschaft, deren Mitglieder keinen Grundbesitz
erwerben dürsen. Arbeit und Verdienst werden gleichmäßig vertheilt. Jhnat
Nekrassow sagt in dem von ihm aufgestellten National-Statut: "Auf daß ihr
euren Lebensunterhalt habt, werdet ihr Fische fangen und Handel treiben, aber
dieses nach den vom Ataman und den Aeltesten erlassenen Vorschriften thun.
Der Verdienst wird, nach Abzug der Kosten in drei Theile getheilt: den ersten
"hält die Kirche, der zweite wird als Reserve für militärische Zwecke verwendet,
den dritten erhält derjenige, welcher die Kosten der Unternehmung bestritten
hat." Im Dorfe BinewH sieht man nicht einen Garten, und in seiner Nähe
befindet sich kein bebautes Feld. Rund um die Häuser ist alles Hütung und
alle Felder liegen brach. Trotzdem befassen sich die Kosaken mit Getreide- und
Weinbau, indem sie die Felder und Weinberge der benachbarten griechischen
"ut türkischen Ansiedelungen mit deren Eigenthümern gemeinschaftlich bebauen.
Auf diese Weise verschaffen sie sich das nöthige Getreide, Gemüse und ihren
Wein, ohne selbst Grundbesitzer zu sein. Bei den Behörden in Konstantinopel
pachten sie Seen, in denen Fische und Blutegel im Ueberflusse leben. Solcher
Seen befinden sich viele in der Nähe von Konstantinopel, Smyrna, Burgas
und in der Dobrudscha bei Saloniki, Scunsnn, Brussa, mit einem Worte in
S-anz Rumelien und Anatolien. Die Fische werden eingesalzen, aus dem Rogen
^nviar, aus den Fischblasen die gesuchte Hausenblase gemacht und diese Gegen¬
stände bilden deu eigentliche Handel und Reichthum der Nekrassvwer Kosaken.

Am Tage des heiligen Dimitri versammeln sich sämmtliche Aeltesten unter
dein Vorsitze des kommandirenden Ataman, und vor dieser Versammlung er¬
scheinen diejenigen, welche auf den Fischfang ausziehen wollen. Wenn der
Unternehmer eigene Fonds besitzt, gibt er selber das nöthige Geld zur Pacht
des Sees her; ist er unbemittelt, so wird ihm aus dem Kriegs-Reserve-
fonds eine Anleihe gewährt, sür welche er Prozente zahlen muß.

Der Ataman und die Aeltesten ernennen einen "Ataman Wataschka" (Bor-
gesetzten), einen Zahlmeister und Schreiber sür jeden See, und bestimmen die
Kosaken, welche sich dorthin zur Arbeit zu verfügen haben. Jede Abtheilung,
"Artjel" genannt, hat ihren "Tschausch" (Aufseher über je zehn Mann),
^eder Kosak ist, wenn er das 18. Jahr erreicht und das 50. nicht überschritten


denen sich jedoch auch Halbmonde und Sterne befinden und die ihnen die
Stelle der im türkischen Heere üblichen Roßschweife vertreten. Die Kirchenbücher
und Kriegsbeute werden als theuere Andenken aufbewahrt. Der Schatz und
das Arsenal, in welchem sich viele Massen ans verschiedenen Epochen befinden,
sind in zwei Kirchen (Oer'Kiön) untergebracht, während in einer dritten an
Sonn und Feiertagen die Andachten abgehalten werden.

Die Kosaken Nekrassows haben eine vollständig kommunistische Organisation-
Sie bilden eine kriegerische Genossenschaft, deren Mitglieder keinen Grundbesitz
erwerben dürsen. Arbeit und Verdienst werden gleichmäßig vertheilt. Jhnat
Nekrassow sagt in dem von ihm aufgestellten National-Statut: „Auf daß ihr
euren Lebensunterhalt habt, werdet ihr Fische fangen und Handel treiben, aber
dieses nach den vom Ataman und den Aeltesten erlassenen Vorschriften thun.
Der Verdienst wird, nach Abzug der Kosten in drei Theile getheilt: den ersten
"hält die Kirche, der zweite wird als Reserve für militärische Zwecke verwendet,
den dritten erhält derjenige, welcher die Kosten der Unternehmung bestritten
hat." Im Dorfe BinewH sieht man nicht einen Garten, und in seiner Nähe
befindet sich kein bebautes Feld. Rund um die Häuser ist alles Hütung und
alle Felder liegen brach. Trotzdem befassen sich die Kosaken mit Getreide- und
Weinbau, indem sie die Felder und Weinberge der benachbarten griechischen
"ut türkischen Ansiedelungen mit deren Eigenthümern gemeinschaftlich bebauen.
Auf diese Weise verschaffen sie sich das nöthige Getreide, Gemüse und ihren
Wein, ohne selbst Grundbesitzer zu sein. Bei den Behörden in Konstantinopel
pachten sie Seen, in denen Fische und Blutegel im Ueberflusse leben. Solcher
Seen befinden sich viele in der Nähe von Konstantinopel, Smyrna, Burgas
und in der Dobrudscha bei Saloniki, Scunsnn, Brussa, mit einem Worte in
S-anz Rumelien und Anatolien. Die Fische werden eingesalzen, aus dem Rogen
^nviar, aus den Fischblasen die gesuchte Hausenblase gemacht und diese Gegen¬
stände bilden deu eigentliche Handel und Reichthum der Nekrassvwer Kosaken.

Am Tage des heiligen Dimitri versammeln sich sämmtliche Aeltesten unter
dein Vorsitze des kommandirenden Ataman, und vor dieser Versammlung er¬
scheinen diejenigen, welche auf den Fischfang ausziehen wollen. Wenn der
Unternehmer eigene Fonds besitzt, gibt er selber das nöthige Geld zur Pacht
des Sees her; ist er unbemittelt, so wird ihm aus dem Kriegs-Reserve-
fonds eine Anleihe gewährt, sür welche er Prozente zahlen muß.

Der Ataman und die Aeltesten ernennen einen „Ataman Wataschka" (Bor-
gesetzten), einen Zahlmeister und Schreiber sür jeden See, und bestimmen die
Kosaken, welche sich dorthin zur Arbeit zu verfügen haben. Jede Abtheilung,
"Artjel" genannt, hat ihren „Tschausch" (Aufseher über je zehn Mann),
^eder Kosak ist, wenn er das 18. Jahr erreicht und das 50. nicht überschritten


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[0071] denen sich jedoch auch Halbmonde und Sterne befinden und die ihnen die Stelle der im türkischen Heere üblichen Roßschweife vertreten. Die Kirchenbücher und Kriegsbeute werden als theuere Andenken aufbewahrt. Der Schatz und das Arsenal, in welchem sich viele Massen ans verschiedenen Epochen befinden, sind in zwei Kirchen (Oer'Kiön) untergebracht, während in einer dritten an Sonn und Feiertagen die Andachten abgehalten werden. Die Kosaken Nekrassows haben eine vollständig kommunistische Organisation- Sie bilden eine kriegerische Genossenschaft, deren Mitglieder keinen Grundbesitz erwerben dürsen. Arbeit und Verdienst werden gleichmäßig vertheilt. Jhnat Nekrassow sagt in dem von ihm aufgestellten National-Statut: „Auf daß ihr euren Lebensunterhalt habt, werdet ihr Fische fangen und Handel treiben, aber dieses nach den vom Ataman und den Aeltesten erlassenen Vorschriften thun. Der Verdienst wird, nach Abzug der Kosten in drei Theile getheilt: den ersten "hält die Kirche, der zweite wird als Reserve für militärische Zwecke verwendet, den dritten erhält derjenige, welcher die Kosten der Unternehmung bestritten hat." Im Dorfe BinewH sieht man nicht einen Garten, und in seiner Nähe befindet sich kein bebautes Feld. Rund um die Häuser ist alles Hütung und alle Felder liegen brach. Trotzdem befassen sich die Kosaken mit Getreide- und Weinbau, indem sie die Felder und Weinberge der benachbarten griechischen "ut türkischen Ansiedelungen mit deren Eigenthümern gemeinschaftlich bebauen. Auf diese Weise verschaffen sie sich das nöthige Getreide, Gemüse und ihren Wein, ohne selbst Grundbesitzer zu sein. Bei den Behörden in Konstantinopel pachten sie Seen, in denen Fische und Blutegel im Ueberflusse leben. Solcher Seen befinden sich viele in der Nähe von Konstantinopel, Smyrna, Burgas und in der Dobrudscha bei Saloniki, Scunsnn, Brussa, mit einem Worte in S-anz Rumelien und Anatolien. Die Fische werden eingesalzen, aus dem Rogen ^nviar, aus den Fischblasen die gesuchte Hausenblase gemacht und diese Gegen¬ stände bilden deu eigentliche Handel und Reichthum der Nekrassvwer Kosaken. Am Tage des heiligen Dimitri versammeln sich sämmtliche Aeltesten unter dein Vorsitze des kommandirenden Ataman, und vor dieser Versammlung er¬ scheinen diejenigen, welche auf den Fischfang ausziehen wollen. Wenn der Unternehmer eigene Fonds besitzt, gibt er selber das nöthige Geld zur Pacht des Sees her; ist er unbemittelt, so wird ihm aus dem Kriegs-Reserve- fonds eine Anleihe gewährt, sür welche er Prozente zahlen muß. Der Ataman und die Aeltesten ernennen einen „Ataman Wataschka" (Bor- gesetzten), einen Zahlmeister und Schreiber sür jeden See, und bestimmen die Kosaken, welche sich dorthin zur Arbeit zu verfügen haben. Jede Abtheilung, "Artjel" genannt, hat ihren „Tschausch" (Aufseher über je zehn Mann), ^eder Kosak ist, wenn er das 18. Jahr erreicht und das 50. nicht überschritten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/71>, abgerufen am 22.07.2024.