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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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werden zu können. Auch heute noch darf in Rußlaiw der orthodoxe oder staats-
kirchliche Christ nicht zu einem andern Bekenntnisse übertreten; er muß in
orthodoxer oder wie man sagt "staatsschatzlicher" (Xasenionn^) Manier in den
Himmel oder in die Hölle gelangen. Nur der Abfall von andern Bekenntnissen
zum orthodoxen ist gestattet, und wird nicht erst im schönen Jenseits, sondern
häufig schon in diesem Jammerthals -- aus dem Staatsschatze belohnt. Der
russische Stamm, mit welchem in diesem Artikel der Leser bekannt gemacht
werden soll, heißt: "Nekrassower Kosaken."

Dieselben sind derzeit in Asien, im Sandschack von Brussa, im Kreise
Äauderma, im Dorfe Binewl angesiedelt, das gegen tausend Hünser zählt und
am See Manios liegt und deßhalb anch die "Ansiedelung von Manios"
genannt wird. Neben dem Namen Nekrassower Kosaken, führen sie unter anderen
auch die Bezeichnung Mich allitsch er Kosaken. Die letztere erhielten sie von
der am Marmorcimeere gelegenen Stadt Micha'Wscha, von der die Kosaken¬
ansiedelung Binewl gegen zehn Stunden Wegs entfernt ist. Diese Kosaken
stammen aus der Gegend des Don, und haben ihr Vaterland unter der Führung
Sicula Rasyn's zur Zeit der Kaiserin Katharina I. wegen religiöser Verfolgungen,
-- sie gehörten und gehören noch zur Sekte der Altgläubigen (Lwro^sro^)*)
-- verlassen. Nach langen und blutigen Kämpfen, welche sie am Ural und an
der Wolga mit den russischen Truppen zu bestehen hatten, traten sie in die
Dienste des Khans! der Krim. Damals führte sie schon der Nachfolger
Rasyn's, Jhnat Burjan, welchen die Russen, weil er in den Kriegsdienst
eines ungläubigen Fürsten gegen die rechtgläubige Kaiserin getreten war,
"Nekrassow" (den Nichtschönen) nannten und uoch nennen. Der Spitzname
des Hetmanns Nekrassow wurde von den Kosaken als Ehrentitel angenommen,
ihm wurde die Stadt Araya als Residenz übergeben, und seinen Kosaken
die ganze Linie des Kuban bis zu seiner Mündung in die Laba zur Ver¬
theidigung überwiesen; daher führen sie den Namen "Nekrassower", resp-
"Knbanische Kosaken." Unter diesen emigrirten Kosaken befinden sich die ange-



") Die Seele der Stnrowjercen datirt aus dem Jahre 1633, d, i. aus der Zeit, in
welcher der Patriarch und die Geistlichkeit die geistliche Gewalt dem Großfürsten Jour
übergaben, welcher sogleich in Moskau eine Synode einsetzte. Peter der Große ernannte
"ach dein Tode des Patriarchen Adrian (>7N4) keinen neuen Patriarchen. Als er von der
Geistlichkeit aufgefordert wurde, einen solchen zu ernennen, schlug sich Peter vor die Stirn
und rief: "Hier eure Kirche, hier euer Patriarch, ja sogar euer Gott!" Diese Blasphemie
hatte viele Gläubige beleidigt und nur um so enger mit der schon seit 1633 bestehenden
Seete der Starowjercen, welche einen Patriarchen haben, verbunden. Eigentlich sind also
die Stnrowjereen eine Partei, welche die Machtvollkommenheit der Zaren in geistlichen
Dingen verwirft. Dies ist zugleich die Erklärung für die Verfolgung, welche sie von der
russischen Regierung zu dulden haben.

werden zu können. Auch heute noch darf in Rußlaiw der orthodoxe oder staats-
kirchliche Christ nicht zu einem andern Bekenntnisse übertreten; er muß in
orthodoxer oder wie man sagt „staatsschatzlicher" (Xasenionn^) Manier in den
Himmel oder in die Hölle gelangen. Nur der Abfall von andern Bekenntnissen
zum orthodoxen ist gestattet, und wird nicht erst im schönen Jenseits, sondern
häufig schon in diesem Jammerthals — aus dem Staatsschatze belohnt. Der
russische Stamm, mit welchem in diesem Artikel der Leser bekannt gemacht
werden soll, heißt: „Nekrassower Kosaken."

Dieselben sind derzeit in Asien, im Sandschack von Brussa, im Kreise
Äauderma, im Dorfe Binewl angesiedelt, das gegen tausend Hünser zählt und
am See Manios liegt und deßhalb anch die „Ansiedelung von Manios"
genannt wird. Neben dem Namen Nekrassower Kosaken, führen sie unter anderen
auch die Bezeichnung Mich allitsch er Kosaken. Die letztere erhielten sie von
der am Marmorcimeere gelegenen Stadt Micha'Wscha, von der die Kosaken¬
ansiedelung Binewl gegen zehn Stunden Wegs entfernt ist. Diese Kosaken
stammen aus der Gegend des Don, und haben ihr Vaterland unter der Führung
Sicula Rasyn's zur Zeit der Kaiserin Katharina I. wegen religiöser Verfolgungen,
— sie gehörten und gehören noch zur Sekte der Altgläubigen (Lwro^sro^)*)
— verlassen. Nach langen und blutigen Kämpfen, welche sie am Ural und an
der Wolga mit den russischen Truppen zu bestehen hatten, traten sie in die
Dienste des Khans! der Krim. Damals führte sie schon der Nachfolger
Rasyn's, Jhnat Burjan, welchen die Russen, weil er in den Kriegsdienst
eines ungläubigen Fürsten gegen die rechtgläubige Kaiserin getreten war,
„Nekrassow" (den Nichtschönen) nannten und uoch nennen. Der Spitzname
des Hetmanns Nekrassow wurde von den Kosaken als Ehrentitel angenommen,
ihm wurde die Stadt Araya als Residenz übergeben, und seinen Kosaken
die ganze Linie des Kuban bis zu seiner Mündung in die Laba zur Ver¬
theidigung überwiesen; daher führen sie den Namen „Nekrassower", resp-
„Knbanische Kosaken." Unter diesen emigrirten Kosaken befinden sich die ange-



") Die Seele der Stnrowjercen datirt aus dem Jahre 1633, d, i. aus der Zeit, in
welcher der Patriarch und die Geistlichkeit die geistliche Gewalt dem Großfürsten Jour
übergaben, welcher sogleich in Moskau eine Synode einsetzte. Peter der Große ernannte
»ach dein Tode des Patriarchen Adrian (>7N4) keinen neuen Patriarchen. Als er von der
Geistlichkeit aufgefordert wurde, einen solchen zu ernennen, schlug sich Peter vor die Stirn
und rief: „Hier eure Kirche, hier euer Patriarch, ja sogar euer Gott!" Diese Blasphemie
hatte viele Gläubige beleidigt und nur um so enger mit der schon seit 1633 bestehenden
Seete der Starowjercen, welche einen Patriarchen haben, verbunden. Eigentlich sind also
die Stnrowjereen eine Partei, welche die Machtvollkommenheit der Zaren in geistlichen
Dingen verwirft. Dies ist zugleich die Erklärung für die Verfolgung, welche sie von der
russischen Regierung zu dulden haben.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/68>, abgerufen am 01.07.2024.