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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Durchlauchtigster Herzog, Gnädigster Fürst und Herr,

Mein Gesundheitszustand ist eine Zeit über so schlecht gewesen, daß ich an
mir selbst kein rechtes Interesse mehr genommen habe; denn eine Existenz ohne
Folge bedeutet nicht viel; und entschiedn" Physische Kränklichkeit ist in Ansehung
menschlicher Verbindungen ebenso auflösend, wie moralische. Denn sobald ich
selbst nicht Muth und Kraft zu leben mehr fühle, muß ich auch nicht wollen,
daß irgend jemand sich ferner für mich interessiere, sondern muß ruhig, ohne
Klage, mit Austande, untergehn, damit etwas Neues und Besseres emporsteige.

Wider Vermuthen ist die Lebenskraft noch einmal bei mir wieder einge¬
treten, und ich fühle mich nun im Stande, Ew. Hochfürstlicheu Durchlaucht für
Ihre gnädige Theilnehmung an meinem Schicksale den ehrfurchtsvollsten und
aufrichtigsten Dank, mit ganzer Seele, abzustatten; weil ich mir doch nun wieder
eine Folge des Lebens denke, worinn ich mich dieser Theilnehmung immer mehr
würdig zeigen kann. -- Denn auf ein solches Anspornen muß Uvah ja die
Theilnehmung an menschlichen Schicksalen abzwecken.

Mein Besuch bei dem Kronprinzen*) hat zur Folge gehabt, daß ich ihm,
ehe er auf Reisen geht, ein Reisekollegium lesen soll, weil die übrigen bestimmten
Stunden alle durch den Professor Engel und andere schon besetzt sind. Der
Kronprinz äußerte den Wunsch gegen mich, daß ich eine italienische Reisebe¬
schreibung herausgeben möchte; er habe die Englische mit vielem Vergnügen
gelesen. Ich will diß Buch, wenn ich es ausgearbeitet habe, ihm zueignen;
man kann in einer solchen Schrift viel Nützliches gelegentlich sagen, und sie
könnte zugleich eine Vorbereitung auf das Reisekollegium seyn, welches denn
auch zu manchen nützlichem Unterredungen Veranlassung geben könnte. Ich
wünschte daher wohl, daß dieß zu Stande käme. Während meiner Unterredung
mit dem Prinzen habe ich ihm oft ins Auge geblickt, das Geistige herrscht doch
hier gewiß über die Masse, und das ist immer tröstlich.

Die Gore's haben mir während meinem kränklichen Zustande viel Höflichkeit
erwiesen: auch haben Sie mir einen englischen Artzt geschickt. Nichts kann
treffender seyn, als die Charakterisierung der Engländer von Ew. Durchlaucht
durch das Bild vou der festgewvbnen Leinwand mit Aufzug und Einschlag im
geraden Winkel; das Bild pointirt gleichsam alle die Gesichter auf einen Fleck
zusammen, die man in dieser Art gesehen hat, und sieht. Mir kommt es oft
vor, als habe die englische Nation ihren Vollendungspunkt nun einmal erreicht;
bei ihnen ist alles entwickelt, fertig, und so wie es seyn soll; sie sind nun alles,
was sie seyn können, und haben ihren Lohn dafür.




*) Friedrich Wilhelm VI., geb. 1770.
**> Die Familie des reichen und gebildeten Engländers Charles Gore, die dem Wei¬
marischen Hofe sehr nahe stand.
Durchlauchtigster Herzog, Gnädigster Fürst und Herr,

Mein Gesundheitszustand ist eine Zeit über so schlecht gewesen, daß ich an
mir selbst kein rechtes Interesse mehr genommen habe; denn eine Existenz ohne
Folge bedeutet nicht viel; und entschiedn« Physische Kränklichkeit ist in Ansehung
menschlicher Verbindungen ebenso auflösend, wie moralische. Denn sobald ich
selbst nicht Muth und Kraft zu leben mehr fühle, muß ich auch nicht wollen,
daß irgend jemand sich ferner für mich interessiere, sondern muß ruhig, ohne
Klage, mit Austande, untergehn, damit etwas Neues und Besseres emporsteige.

Wider Vermuthen ist die Lebenskraft noch einmal bei mir wieder einge¬
treten, und ich fühle mich nun im Stande, Ew. Hochfürstlicheu Durchlaucht für
Ihre gnädige Theilnehmung an meinem Schicksale den ehrfurchtsvollsten und
aufrichtigsten Dank, mit ganzer Seele, abzustatten; weil ich mir doch nun wieder
eine Folge des Lebens denke, worinn ich mich dieser Theilnehmung immer mehr
würdig zeigen kann. — Denn auf ein solches Anspornen muß Uvah ja die
Theilnehmung an menschlichen Schicksalen abzwecken.

Mein Besuch bei dem Kronprinzen*) hat zur Folge gehabt, daß ich ihm,
ehe er auf Reisen geht, ein Reisekollegium lesen soll, weil die übrigen bestimmten
Stunden alle durch den Professor Engel und andere schon besetzt sind. Der
Kronprinz äußerte den Wunsch gegen mich, daß ich eine italienische Reisebe¬
schreibung herausgeben möchte; er habe die Englische mit vielem Vergnügen
gelesen. Ich will diß Buch, wenn ich es ausgearbeitet habe, ihm zueignen;
man kann in einer solchen Schrift viel Nützliches gelegentlich sagen, und sie
könnte zugleich eine Vorbereitung auf das Reisekollegium seyn, welches denn
auch zu manchen nützlichem Unterredungen Veranlassung geben könnte. Ich
wünschte daher wohl, daß dieß zu Stande käme. Während meiner Unterredung
mit dem Prinzen habe ich ihm oft ins Auge geblickt, das Geistige herrscht doch
hier gewiß über die Masse, und das ist immer tröstlich.

Die Gore's haben mir während meinem kränklichen Zustande viel Höflichkeit
erwiesen: auch haben Sie mir einen englischen Artzt geschickt. Nichts kann
treffender seyn, als die Charakterisierung der Engländer von Ew. Durchlaucht
durch das Bild vou der festgewvbnen Leinwand mit Aufzug und Einschlag im
geraden Winkel; das Bild pointirt gleichsam alle die Gesichter auf einen Fleck
zusammen, die man in dieser Art gesehen hat, und sieht. Mir kommt es oft
vor, als habe die englische Nation ihren Vollendungspunkt nun einmal erreicht;
bei ihnen ist alles entwickelt, fertig, und so wie es seyn soll; sie sind nun alles,
was sie seyn können, und haben ihren Lohn dafür.




*) Friedrich Wilhelm VI., geb. 1770.
**> Die Familie des reichen und gebildeten Engländers Charles Gore, die dem Wei¬
marischen Hofe sehr nahe stand.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/521>, abgerufen am 22.07.2024.