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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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der Aufeuthaltsgemeinde zur Last fallen solle, aber nur -- und hiermit wird
der zweite Grundgedanke eingeführt -- insoweit diese Aufenthaltsgemeinde bereits
zum Voraus durch dort gewährte wirthschaftliche Leistungen des zu Unter¬
stützenden einigermaßen ein Aequivalent erhalten habe. Der Gesetzgeber hat
diese Gedanken legislatorisch dahin ausgestaltet, daß er verfügte: unterftützungs-
Pflichtig ist die Gemeinde des Unterstützungswohnsitzes, d. i. derjenige Orts¬
armenverband, innerhalb dessen der jetzt Hilfsbedürftige nach zurückgelegtem
24. Lebensjahre zwei Jahre lang ununterbrochen seinen gewöhnlichen Aufent¬
halt gehabt hat. Verloren wird der Unterstützungswohnsitz durch zweijährige
ununterbrochene Abwesenheit; der Lauf der zweijährigen Frist ruht während
der Dauer der von einem Armenverband gewährten öffentlichen Unterstützung;
er wird unterbrochen: durch den gemäß Z 5 des Freizügigkeitsgesetzes gestellten
Antrag auf Anerkennung der Verpflichtung zur Uebernahme eines Hilfsbe¬
dürftigen (N.-U.-W.-G. ß 10 ff.); hat der Unterstützte keinen Unterstützungs¬
wohnsitz, so ist derjenige Landarmenverband (in Baden der Kreis) nntcrstützungs-
pflichtig, in dessen Bezirk der zu Unterstützende sich bei dem Eintritt der
Hilfsbedürftigkeit befand (R.-U.-W.-G. Z 30 d). Durch diese Bestimmungen
fühlt man sich von Seiten der Armenverbände beschwert und es sind die lebhaftesten
Klagen laut geworden.

In erster Linie beschweren sich die Städte, welche die während zwei
Jahren innerhalb ihres Bezirks bethätigte wirthschaftliche Leistung der massenhaft
zuströmenden Arbeiterbevölkerung nicht als ein entsprechendes Aequivalent ansehen,
für die darauf folgende Verpflichtung, den Hilfsbedürftigen unter Umständen
viele Jahre lang zu unterstützen. Das in Folge dieser Verpflichtung jährlich
wachsende Armenbndget werde -- so hat man von jener Seite aus behauptet
-- schließlich die Städte finanziell ruiniren. Daß die Armenverbände eine
vorgeschlagene Gesetzesänderung vor Allem auch unter dem speziellen Gesichts¬
punkt der Erhöhung oder der Minderung ihrer Armenlast betrachten, finden
wir begreiflich, ja es ist das ganz am Platze. Aber der einzige Gesichtspunkt
darf das nicht sein, und jedenfalls steht der Gesetzgeber "auf einer höher'n
Warte, als auf den Zinnen der Partei." Was das Anwachsen der städtischen
Armenbudgets betrifft, so beziehen wir uns zunächst auf das oben über das
Anwachsen der Armenbudgets überhaupt Gesagte, es ist dies vollständig auch
hierher zu ziehen, insbesondere die Bemerkung hinsichtlich des gleichzeitig
gewachsenen, zur Armenlast beitragspflichtigen Stellerkapitals. Aber auch wenn
wirklich das Armenbudget der Städte selbstverständlich sind zunächst nur die
größeren Städte, von den kleineren vorwiegend nur die industrielle" Städte
in's Auge gefaßt -- mehr als nur im Verhältniß zu dem erhöhten Stener-
kapital gestiegen sein sollte, so müßte man eben einfach sagen, daß die Städte


der Aufeuthaltsgemeinde zur Last fallen solle, aber nur — und hiermit wird
der zweite Grundgedanke eingeführt — insoweit diese Aufenthaltsgemeinde bereits
zum Voraus durch dort gewährte wirthschaftliche Leistungen des zu Unter¬
stützenden einigermaßen ein Aequivalent erhalten habe. Der Gesetzgeber hat
diese Gedanken legislatorisch dahin ausgestaltet, daß er verfügte: unterftützungs-
Pflichtig ist die Gemeinde des Unterstützungswohnsitzes, d. i. derjenige Orts¬
armenverband, innerhalb dessen der jetzt Hilfsbedürftige nach zurückgelegtem
24. Lebensjahre zwei Jahre lang ununterbrochen seinen gewöhnlichen Aufent¬
halt gehabt hat. Verloren wird der Unterstützungswohnsitz durch zweijährige
ununterbrochene Abwesenheit; der Lauf der zweijährigen Frist ruht während
der Dauer der von einem Armenverband gewährten öffentlichen Unterstützung;
er wird unterbrochen: durch den gemäß Z 5 des Freizügigkeitsgesetzes gestellten
Antrag auf Anerkennung der Verpflichtung zur Uebernahme eines Hilfsbe¬
dürftigen (N.-U.-W.-G. ß 10 ff.); hat der Unterstützte keinen Unterstützungs¬
wohnsitz, so ist derjenige Landarmenverband (in Baden der Kreis) nntcrstützungs-
pflichtig, in dessen Bezirk der zu Unterstützende sich bei dem Eintritt der
Hilfsbedürftigkeit befand (R.-U.-W.-G. Z 30 d). Durch diese Bestimmungen
fühlt man sich von Seiten der Armenverbände beschwert und es sind die lebhaftesten
Klagen laut geworden.

In erster Linie beschweren sich die Städte, welche die während zwei
Jahren innerhalb ihres Bezirks bethätigte wirthschaftliche Leistung der massenhaft
zuströmenden Arbeiterbevölkerung nicht als ein entsprechendes Aequivalent ansehen,
für die darauf folgende Verpflichtung, den Hilfsbedürftigen unter Umständen
viele Jahre lang zu unterstützen. Das in Folge dieser Verpflichtung jährlich
wachsende Armenbndget werde — so hat man von jener Seite aus behauptet
— schließlich die Städte finanziell ruiniren. Daß die Armenverbände eine
vorgeschlagene Gesetzesänderung vor Allem auch unter dem speziellen Gesichts¬
punkt der Erhöhung oder der Minderung ihrer Armenlast betrachten, finden
wir begreiflich, ja es ist das ganz am Platze. Aber der einzige Gesichtspunkt
darf das nicht sein, und jedenfalls steht der Gesetzgeber „auf einer höher'n
Warte, als auf den Zinnen der Partei." Was das Anwachsen der städtischen
Armenbudgets betrifft, so beziehen wir uns zunächst auf das oben über das
Anwachsen der Armenbudgets überhaupt Gesagte, es ist dies vollständig auch
hierher zu ziehen, insbesondere die Bemerkung hinsichtlich des gleichzeitig
gewachsenen, zur Armenlast beitragspflichtigen Stellerkapitals. Aber auch wenn
wirklich das Armenbudget der Städte selbstverständlich sind zunächst nur die
größeren Städte, von den kleineren vorwiegend nur die industrielle» Städte
in's Auge gefaßt — mehr als nur im Verhältniß zu dem erhöhten Stener-
kapital gestiegen sein sollte, so müßte man eben einfach sagen, daß die Städte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/50>, abgerufen am 25.08.2024.