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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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zu ersetzen strebte? Die englischen Soldaten hatten weder Zeit noch Kraft auf
die mit Schafpelz gefütterten Mäntel zu warten, -- sie starben!

So brachte sich der Tod in der einen oder der andern Gestalt, auf dem
Krankenlager, auf dem Schlachtfelde oder in den Laufgräben, täglich in Erin¬
nerung. Es gehörte eine gewisse Seelengröße, ein hoher Grad von Pflichtreue
und Regsination dazu, um unter solchen Umständen sich noch einen frischen
Soldatenmuth zu bewahren. Das Verhalten der Truppen in, wie vor Seba-
stopol war im großen Ganzen über Alles Lob erhaben. Daß jedoch bei jeder
Armee, auch der besten, nicht alle Glieder von dem Holze sind, aus denen man
Helden schneidet, daß es überall sogenannte Drücker giebt, das wird der am
besten wissen, der je eine Kampagne mitgemacht. Das kräftigste Mittel gegen
jede solche Schwächeanwandlung ist das Ehrgefühl, wesentlich ein Produkt der
Erziehung. Dies vorausgeschickt, darf es uicht Wunder nehmen, daß es auch
in der französischen Armee Leute gab, die mittelst Täuschungen aller Art Mittel
und Wege fanden, um als krank nach der Heimath evakuirt zu werden. -- Wohl
aber ist es eine höchst bedenkliche und Besorgniß erregende Erscheinung, wenn
auch Offiziere so weit die Ehre vergessen können, daß sie ohne zwingenden
Grund den Kriegsschauplatz verlassen. Solch' böses Beispiel gaben aber fran¬
zösische Officire und zwar nicht nur in vereinzelten Füllen. Daß dem so war,
dafür geben mehrfache Berichte des Generals Canrobert Zeugniß. So schreibt
er unter dem 12. Dezember an den Marsch all Vaillant: "Eine neue so eben er¬
haltene offizielle Meldung von einem unserer Generale, der am 30. November
noch in Marseille war, bestätigt, daß diese Stadt, ebenso wie Toulon, täglich
das traurige Schauspiel von Pflicht- und ehrvergessenen Offizieren darbietet, die
ohne triftigen Grund den Posten der Gefahr, wo ihre Soldaten noch aushalten,
verlassen haben." Er fügt dann noch hinzu, daß viele dieser traurigen Subjekte
sich nicht scheuten, in Kneipen, Kaffeehäusern und an anderen öffentlichen Orten
die Zustände bei der Krim-Armee in den düstersten Farben zu schildern, wodurch
ein höchst nachtheiliger Einfluß ausgeübt werde. An einer andern Stelle spricht
sich General Canrobert über die Gründe jener traurigen Erscheinung folgender¬
maßen ans: "So sehr auch das Verhalten dieser Offiziere, die sich vom Kriegs¬
schauplatz entfernen, zu beklagen ist, verwundern darf man sich kaum darüber.
Für viele derselben ist der Kriegsdienst nur ein Handwerk, das seinen Mann
nährt. Umsonst würde man bei ihnen eine Gesinnung suchen, die in der Fa¬
milie groß geworden, durch gute Erziehung befestigt, den militärischen Beruf
adelt und diesen zum Träger der Ehre und Vaterlandsliebe macht." Sicher
eine heilsame Lehre und Warnung für alle Diejenigen, soweit sie für Belehrung
überhaupt noch zugänglich, welche die Armee, speciell deren Offizierscorps, auf
einer möglichst breiten demokratischen Grundlage organisirt wissen möchten.


zu ersetzen strebte? Die englischen Soldaten hatten weder Zeit noch Kraft auf
die mit Schafpelz gefütterten Mäntel zu warten, — sie starben!

So brachte sich der Tod in der einen oder der andern Gestalt, auf dem
Krankenlager, auf dem Schlachtfelde oder in den Laufgräben, täglich in Erin¬
nerung. Es gehörte eine gewisse Seelengröße, ein hoher Grad von Pflichtreue
und Regsination dazu, um unter solchen Umständen sich noch einen frischen
Soldatenmuth zu bewahren. Das Verhalten der Truppen in, wie vor Seba-
stopol war im großen Ganzen über Alles Lob erhaben. Daß jedoch bei jeder
Armee, auch der besten, nicht alle Glieder von dem Holze sind, aus denen man
Helden schneidet, daß es überall sogenannte Drücker giebt, das wird der am
besten wissen, der je eine Kampagne mitgemacht. Das kräftigste Mittel gegen
jede solche Schwächeanwandlung ist das Ehrgefühl, wesentlich ein Produkt der
Erziehung. Dies vorausgeschickt, darf es uicht Wunder nehmen, daß es auch
in der französischen Armee Leute gab, die mittelst Täuschungen aller Art Mittel
und Wege fanden, um als krank nach der Heimath evakuirt zu werden. — Wohl
aber ist es eine höchst bedenkliche und Besorgniß erregende Erscheinung, wenn
auch Offiziere so weit die Ehre vergessen können, daß sie ohne zwingenden
Grund den Kriegsschauplatz verlassen. Solch' böses Beispiel gaben aber fran¬
zösische Officire und zwar nicht nur in vereinzelten Füllen. Daß dem so war,
dafür geben mehrfache Berichte des Generals Canrobert Zeugniß. So schreibt
er unter dem 12. Dezember an den Marsch all Vaillant: „Eine neue so eben er¬
haltene offizielle Meldung von einem unserer Generale, der am 30. November
noch in Marseille war, bestätigt, daß diese Stadt, ebenso wie Toulon, täglich
das traurige Schauspiel von Pflicht- und ehrvergessenen Offizieren darbietet, die
ohne triftigen Grund den Posten der Gefahr, wo ihre Soldaten noch aushalten,
verlassen haben." Er fügt dann noch hinzu, daß viele dieser traurigen Subjekte
sich nicht scheuten, in Kneipen, Kaffeehäusern und an anderen öffentlichen Orten
die Zustände bei der Krim-Armee in den düstersten Farben zu schildern, wodurch
ein höchst nachtheiliger Einfluß ausgeübt werde. An einer andern Stelle spricht
sich General Canrobert über die Gründe jener traurigen Erscheinung folgender¬
maßen ans: „So sehr auch das Verhalten dieser Offiziere, die sich vom Kriegs¬
schauplatz entfernen, zu beklagen ist, verwundern darf man sich kaum darüber.
Für viele derselben ist der Kriegsdienst nur ein Handwerk, das seinen Mann
nährt. Umsonst würde man bei ihnen eine Gesinnung suchen, die in der Fa¬
milie groß geworden, durch gute Erziehung befestigt, den militärischen Beruf
adelt und diesen zum Träger der Ehre und Vaterlandsliebe macht." Sicher
eine heilsame Lehre und Warnung für alle Diejenigen, soweit sie für Belehrung
überhaupt noch zugänglich, welche die Armee, speciell deren Offizierscorps, auf
einer möglichst breiten demokratischen Grundlage organisirt wissen möchten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/492>, abgerufen am 23.07.2024.