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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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wo ja die Stürme heimisch siud, keine, solche Prüfung zu erdulden gehabt.
Oben am bleifarbenen, verengten Horizont jagten die niederhängenden Wolken,
welche den Boden beinahe streiften, mit der Schnelligkeit des Blitzes vorüber.
Nichts konnte gegen den gewaltigen Orkan Stand halten. Von einer unwider¬
stehlichen Gewalt davongetragen, sah man ganze Barackenwände und Zeltfetzen
davonfliegen. In Hohlwege hineingebaut, und dadurch mehr geschützt, konnten
einige Feldlazaretts vor der allgemeinen Zerstörung gerettet werden, aber nicht
alle. Viele der Verwundeten und Kranken waren allen Unbilden des Wetters,
dem strömenden Regen und dem peitschcndn Sturme preisgegeben. Ohne die
wahrhaft heldenmüthige und rührende Aufopferung ihrer Kameraden, würden
die Unglücklichen unfehlbar umgekommen sein. Gleich wie bei einem Erdbeben
wankten die festesten Bauwerke. Das Kloster Se. Georg hätte, mit Kartätschen
beschossen, nicht ärger verwüstet werden können. Ganze Unifassungsmauern
desselben wurden umgeworfen und das eiserne Krenz auf der Höhe der Kapelle,
am Stamme gleich einer Weidenruthe zusammengedreht, blieb, auf seinem Sockel
geneigt, hängen. In Sebastopol waren sast alle Dächer verschwunden und die
großen Marine-Magazine vollständig abgedeckt. Die mit unendlicher Mühe und
Arbeit hergestellten Belagerungsarbeiten, die Brustwehren und Laufgräben, waren
von den Sturzbächen weggerissen oder mit Wasser gefüllt, so daß man kaum zu
den Batterien gelangen konnte. Diesmal war die Natur stärker als die Men¬
schen und versetzte diese in die Unmöglichkeit, sich einander zu schaden. Auf
dem Lande gab es mehr Verwirrung, als wirkliche Gefahr, auf der See aber war
die Aufregung nicht geringer, die Gefahr aber weit größer. Niemals hatte der
Euxinus seinen Ruf mehr gerechtfertigt. Die Meereswellen rollten riesengroß
von Süd-Westen heran und ihre tiefen Höhlungen verschwanden immer wieder
unter dem Staubregen, zu welchem der gewaltige Athem des Sturmes die Wo-
genkämme auflöste. Durch das Aechzen und Krachen der sich überstürzenden
Wasserberge, durch das Pfeifen der Windsbraut hörte man den dumpfen Schall
der Lärmkanonen, das waren die. Hülferufe vieler Schiffe."

Die Verluste der vereinigten Marine:, waren sehr bedeutend, am schlimmsten
bei den Engländern auf der Rhede von Balaklciva. Eilf Schiffe derselben
gingen vollkommen zu Grunde, sieben verloren Masten und Taue. Am meisten
beklagt wurde der Verlust des Schraubendampfers "Prince". Derselbe hatte eine
halbe Million Pfund in goldenen Sovereigns und, was unter damaligen Um¬
ständen noch viel wichtiger war, eine große Sendung wollener Winterbekleidung
für die englische Armee geladen. Das Schiff ging mit dieser ganzen Ladung
mit Mann und Maus unter. Man beklagte die Menschen, man seufzte dem
Gelde nach, aber noch mehr den warmen Mänteln und Röcken. Was half es,
daß mau in England, als der Verlust bekannt wurde, mit allen Kräften ihn


wo ja die Stürme heimisch siud, keine, solche Prüfung zu erdulden gehabt.
Oben am bleifarbenen, verengten Horizont jagten die niederhängenden Wolken,
welche den Boden beinahe streiften, mit der Schnelligkeit des Blitzes vorüber.
Nichts konnte gegen den gewaltigen Orkan Stand halten. Von einer unwider¬
stehlichen Gewalt davongetragen, sah man ganze Barackenwände und Zeltfetzen
davonfliegen. In Hohlwege hineingebaut, und dadurch mehr geschützt, konnten
einige Feldlazaretts vor der allgemeinen Zerstörung gerettet werden, aber nicht
alle. Viele der Verwundeten und Kranken waren allen Unbilden des Wetters,
dem strömenden Regen und dem peitschcndn Sturme preisgegeben. Ohne die
wahrhaft heldenmüthige und rührende Aufopferung ihrer Kameraden, würden
die Unglücklichen unfehlbar umgekommen sein. Gleich wie bei einem Erdbeben
wankten die festesten Bauwerke. Das Kloster Se. Georg hätte, mit Kartätschen
beschossen, nicht ärger verwüstet werden können. Ganze Unifassungsmauern
desselben wurden umgeworfen und das eiserne Krenz auf der Höhe der Kapelle,
am Stamme gleich einer Weidenruthe zusammengedreht, blieb, auf seinem Sockel
geneigt, hängen. In Sebastopol waren sast alle Dächer verschwunden und die
großen Marine-Magazine vollständig abgedeckt. Die mit unendlicher Mühe und
Arbeit hergestellten Belagerungsarbeiten, die Brustwehren und Laufgräben, waren
von den Sturzbächen weggerissen oder mit Wasser gefüllt, so daß man kaum zu
den Batterien gelangen konnte. Diesmal war die Natur stärker als die Men¬
schen und versetzte diese in die Unmöglichkeit, sich einander zu schaden. Auf
dem Lande gab es mehr Verwirrung, als wirkliche Gefahr, auf der See aber war
die Aufregung nicht geringer, die Gefahr aber weit größer. Niemals hatte der
Euxinus seinen Ruf mehr gerechtfertigt. Die Meereswellen rollten riesengroß
von Süd-Westen heran und ihre tiefen Höhlungen verschwanden immer wieder
unter dem Staubregen, zu welchem der gewaltige Athem des Sturmes die Wo-
genkämme auflöste. Durch das Aechzen und Krachen der sich überstürzenden
Wasserberge, durch das Pfeifen der Windsbraut hörte man den dumpfen Schall
der Lärmkanonen, das waren die. Hülferufe vieler Schiffe."

Die Verluste der vereinigten Marine:, waren sehr bedeutend, am schlimmsten
bei den Engländern auf der Rhede von Balaklciva. Eilf Schiffe derselben
gingen vollkommen zu Grunde, sieben verloren Masten und Taue. Am meisten
beklagt wurde der Verlust des Schraubendampfers „Prince". Derselbe hatte eine
halbe Million Pfund in goldenen Sovereigns und, was unter damaligen Um¬
ständen noch viel wichtiger war, eine große Sendung wollener Winterbekleidung
für die englische Armee geladen. Das Schiff ging mit dieser ganzen Ladung
mit Mann und Maus unter. Man beklagte die Menschen, man seufzte dem
Gelde nach, aber noch mehr den warmen Mänteln und Röcken. Was half es,
daß mau in England, als der Verlust bekannt wurde, mit allen Kräften ihn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/491>, abgerufen am 23.07.2024.