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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Kriegsplan hatte gefehlt, man stand eben unter dem Einfluß wechselnder
politischer Erwägungen. --

Nachdem am 27. Juni d. I. der Uebergang der russischen Armee über die
Donau begonnen hatte, streiften schon am 25. Juli Gurkos Kosaken und
Dragoner im Maritza-Thale. Der mittlere Balkan und alles Vorgelände
nördlich bis zur Donau, südlich bis zur Maritza, schien um diese Zeit für die
Türken verloren. Vergegmwärtigeu wir uns jedoch jetzt mit kühler Ruhe die
Situation, wie sie Mitte Juli auf dem Kriegstheater stattfand: nachdem die
Russen Nicopolis erobert hatten, besaßen sie am rechten Donauufer eine Basis,
die, cirka 13 Meilen breit, vom Einflüsse der Osma bis zur Mündung des
Loin reichte. Alle festen Plätze am rechten Donauufer waren noch in Händen
der Türken, namentlich Rustschuk in höchst unbequemer Nachbarschaft der russischen
linken Flanke. Ebenso bedrohlich für diese war die türkische Armee, welche sich
bei Rasgrad sammelte und verschanzte. Was sich nun in dieser Zeit in West-
bulgarien jenseits des Wid zutrug, darüber war man im russischen Haupt¬
quartier in voller Unkenntnis?, denn erst am 17. Juli Abends ging dort die erste
Meldung ein, daß größere feindliche Streitkräfte gegen Plewna in Anmarsch
wären. Schon um diese Zeit hatte sich die russische Armee auf einem großen
Nächenraum zersplittert. Man wollte Rustschuk bezwingen und gleichzeitig über
den Balkan gegen Adrianopel operiren. Dazu hätte es aber zweier großen,
lelbstständigen und von einander unabhängigen Armeen bedurft. Ganz abgesehen
von der unterlassener rechtzeitigen Besetzung Plewna's, dessen Bedeutung von
den Russen zu spät erkannt wurde, dursten sie an weit ausgreifende Operationen
nach dem Süden nicht eher denken, bis die Armee bei Rasgrad aus dem Felde
geschlagen und Rustschuk in ihren Händen war. Die Natur des Kriegsschau¬
platzes mit seiner Unwegsamkeit, der Mangel an Subsistenz- und Transport-
untteln in den bereits hart mitgenommenen Landschaften, die Schwierigkeiten
der Verpflegung und des Truppennachschubs von rückwärts, dies Alles wies
^f eine systematische, wenn auch langwierige Kriegführung hin. Man rechnete
iedoch auf eine allgemeine, nachhaltige Erhebung Bulgariens, man glaubte
^en kranken Mann bereits in den letzten Zügen und unterschätzte die Wider¬
standsfähigkeit der fanatisirten türkischen Armee im offenen Felde. Die Folgen
wieder Täuschungen und falscher Combinationen haben wir erst kürzlich erlebt.

Diese und ähnliche Betrachtungen überkamen uns, als wir vor kurzem das
Ueueste Werk über den Krimkrieg, ,M8tvirs as 1a Ausrrs Ah Oiinös xar vainills
oussßi^ wir dürfen gleich vorweg sagen, mit dem höchsten Interesse lasen.
^ ist dies ein vortrefflich geschriebenes Buch, das schon mit Rücksicht auf die
^rsteheud gemachten Andeutungen, der allseitigen Beachtung empfohlen werden
^n, ganz speciell aber den militärischen Kreisen. Es zeichnet sich aus durch


Kriegsplan hatte gefehlt, man stand eben unter dem Einfluß wechselnder
politischer Erwägungen. —

Nachdem am 27. Juni d. I. der Uebergang der russischen Armee über die
Donau begonnen hatte, streiften schon am 25. Juli Gurkos Kosaken und
Dragoner im Maritza-Thale. Der mittlere Balkan und alles Vorgelände
nördlich bis zur Donau, südlich bis zur Maritza, schien um diese Zeit für die
Türken verloren. Vergegmwärtigeu wir uns jedoch jetzt mit kühler Ruhe die
Situation, wie sie Mitte Juli auf dem Kriegstheater stattfand: nachdem die
Russen Nicopolis erobert hatten, besaßen sie am rechten Donauufer eine Basis,
die, cirka 13 Meilen breit, vom Einflüsse der Osma bis zur Mündung des
Loin reichte. Alle festen Plätze am rechten Donauufer waren noch in Händen
der Türken, namentlich Rustschuk in höchst unbequemer Nachbarschaft der russischen
linken Flanke. Ebenso bedrohlich für diese war die türkische Armee, welche sich
bei Rasgrad sammelte und verschanzte. Was sich nun in dieser Zeit in West-
bulgarien jenseits des Wid zutrug, darüber war man im russischen Haupt¬
quartier in voller Unkenntnis?, denn erst am 17. Juli Abends ging dort die erste
Meldung ein, daß größere feindliche Streitkräfte gegen Plewna in Anmarsch
wären. Schon um diese Zeit hatte sich die russische Armee auf einem großen
Nächenraum zersplittert. Man wollte Rustschuk bezwingen und gleichzeitig über
den Balkan gegen Adrianopel operiren. Dazu hätte es aber zweier großen,
lelbstständigen und von einander unabhängigen Armeen bedurft. Ganz abgesehen
von der unterlassener rechtzeitigen Besetzung Plewna's, dessen Bedeutung von
den Russen zu spät erkannt wurde, dursten sie an weit ausgreifende Operationen
nach dem Süden nicht eher denken, bis die Armee bei Rasgrad aus dem Felde
geschlagen und Rustschuk in ihren Händen war. Die Natur des Kriegsschau¬
platzes mit seiner Unwegsamkeit, der Mangel an Subsistenz- und Transport-
untteln in den bereits hart mitgenommenen Landschaften, die Schwierigkeiten
der Verpflegung und des Truppennachschubs von rückwärts, dies Alles wies
^f eine systematische, wenn auch langwierige Kriegführung hin. Man rechnete
iedoch auf eine allgemeine, nachhaltige Erhebung Bulgariens, man glaubte
^en kranken Mann bereits in den letzten Zügen und unterschätzte die Wider¬
standsfähigkeit der fanatisirten türkischen Armee im offenen Felde. Die Folgen
wieder Täuschungen und falscher Combinationen haben wir erst kürzlich erlebt.

Diese und ähnliche Betrachtungen überkamen uns, als wir vor kurzem das
Ueueste Werk über den Krimkrieg, ,M8tvirs as 1a Ausrrs Ah Oiinös xar vainills
oussßi^ wir dürfen gleich vorweg sagen, mit dem höchsten Interesse lasen.
^ ist dies ein vortrefflich geschriebenes Buch, das schon mit Rücksicht auf die
^rsteheud gemachten Andeutungen, der allseitigen Beachtung empfohlen werden
^n, ganz speciell aber den militärischen Kreisen. Es zeichnet sich aus durch


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[0487] Kriegsplan hatte gefehlt, man stand eben unter dem Einfluß wechselnder politischer Erwägungen. — Nachdem am 27. Juni d. I. der Uebergang der russischen Armee über die Donau begonnen hatte, streiften schon am 25. Juli Gurkos Kosaken und Dragoner im Maritza-Thale. Der mittlere Balkan und alles Vorgelände nördlich bis zur Donau, südlich bis zur Maritza, schien um diese Zeit für die Türken verloren. Vergegmwärtigeu wir uns jedoch jetzt mit kühler Ruhe die Situation, wie sie Mitte Juli auf dem Kriegstheater stattfand: nachdem die Russen Nicopolis erobert hatten, besaßen sie am rechten Donauufer eine Basis, die, cirka 13 Meilen breit, vom Einflüsse der Osma bis zur Mündung des Loin reichte. Alle festen Plätze am rechten Donauufer waren noch in Händen der Türken, namentlich Rustschuk in höchst unbequemer Nachbarschaft der russischen linken Flanke. Ebenso bedrohlich für diese war die türkische Armee, welche sich bei Rasgrad sammelte und verschanzte. Was sich nun in dieser Zeit in West- bulgarien jenseits des Wid zutrug, darüber war man im russischen Haupt¬ quartier in voller Unkenntnis?, denn erst am 17. Juli Abends ging dort die erste Meldung ein, daß größere feindliche Streitkräfte gegen Plewna in Anmarsch wären. Schon um diese Zeit hatte sich die russische Armee auf einem großen Nächenraum zersplittert. Man wollte Rustschuk bezwingen und gleichzeitig über den Balkan gegen Adrianopel operiren. Dazu hätte es aber zweier großen, lelbstständigen und von einander unabhängigen Armeen bedurft. Ganz abgesehen von der unterlassener rechtzeitigen Besetzung Plewna's, dessen Bedeutung von den Russen zu spät erkannt wurde, dursten sie an weit ausgreifende Operationen nach dem Süden nicht eher denken, bis die Armee bei Rasgrad aus dem Felde geschlagen und Rustschuk in ihren Händen war. Die Natur des Kriegsschau¬ platzes mit seiner Unwegsamkeit, der Mangel an Subsistenz- und Transport- untteln in den bereits hart mitgenommenen Landschaften, die Schwierigkeiten der Verpflegung und des Truppennachschubs von rückwärts, dies Alles wies ^f eine systematische, wenn auch langwierige Kriegführung hin. Man rechnete iedoch auf eine allgemeine, nachhaltige Erhebung Bulgariens, man glaubte ^en kranken Mann bereits in den letzten Zügen und unterschätzte die Wider¬ standsfähigkeit der fanatisirten türkischen Armee im offenen Felde. Die Folgen wieder Täuschungen und falscher Combinationen haben wir erst kürzlich erlebt. Diese und ähnliche Betrachtungen überkamen uns, als wir vor kurzem das Ueueste Werk über den Krimkrieg, ,M8tvirs as 1a Ausrrs Ah Oiinös xar vainills oussßi^ wir dürfen gleich vorweg sagen, mit dem höchsten Interesse lasen. ^ ist dies ein vortrefflich geschriebenes Buch, das schon mit Rücksicht auf die ^rsteheud gemachten Andeutungen, der allseitigen Beachtung empfohlen werden ^n, ganz speciell aber den militärischen Kreisen. Es zeichnet sich aus durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/487>, abgerufen am 23.07.2024.