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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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mit Sophia, wie mit Widdiu abgeschnitten worden ist, hat sich allerdings die
Situation wesentlich verändert/") Nichtsdestoweniger lassen sich noch eine Menge
von Vergleichungspunkten zwischen damals und jetzt aufstellen und sie bestätigen
in vielen Stücken den bekannten Ausspruch, daß es nichts Neues uuter der
Sonue giebt.

Wenn wir Deutschen auch vorläufig dem großen Duelle, das im Orient
ciusgefvchten wird, mit einer gewissen Seelenruhe zuschauen können und uns
vor allen Dingen durch das Gespenst des Panslavismus nicht graulich machen
lassen sollten, so ist doch heute wie damals die äußerlich neutrale Welt in zwei
Parteien gespalten, in Russophileu und Turkophilen. Wie speciell ein Deutscher
sich an: Halbmond, mit all' seinem geborgten Licht erwärmen kann, ist uns
allerdings, vom historische" wie sittliche" Standpunkte aus, schwer verständlich.
Wenn es Leute giebt, welche für Ulemas und Sofias eine gewisse Zärtlichkeit
empfinden, so ist das nur ein Beweis, welche Geister- und Gemüthsverwirrungen
der Kulturkampf bereits zu Wege gebracht hat. Gerade sie, die geistlichen
Janitscharen des Osmanenreichs, sind es, welche immer wieder die Gemüther
umfangen und den heiligen Krieg predigen, welche eine, wenn auch nur geduldete
Gleichberechtigung der christlichen Weltanschauung, unter der Herrschaft des
Hcilbmoudes unmöglich machen. Als am 31. Juli 1853 durch die sogenannte
Wiener Note den Russen eine goldene Rückzugsbrücke gebaut werden sollte,
da verhinderten jene Koranausleger die Annahme eines Vergleichs. Am Vor¬
abende des Beiramfestes drangen sie in die geheiligten Gemächer des Großherren
und stellten ihm die Wahl zwischen Abdankung und Krieg. Und der Krieg
ward erklärt! Erinnern wir uns an das jüngst Erlebte, und es bedarf keines
weiteren Kommentars.

Auch in Bezug auf die anfängliche Kriegführung der Russen in beiden
Feldzügen finden wir solche Analogien, insofern nicht bestimmte strategische
Erwägungen, sondern vielfach andere Rücksichten auf die Operationen doniim-
renden Einfluß gewannen.

Am 2. Juli 1853 gingen die Russen mit 80,000 Mann über den Pruth,
um die Moldau und Walachei in Pfandbesitz zu nehmen. Nach der Kriegs¬
erklärung der Pforte operirten sie zögernd am linken Ufer der Donau old
fochten unglücklich bei Kalaphat und Olteuizza. Erst im März 1854 wagte"
sie, die Donau zu überschreiten; es erfolgte die Belagerung von Silistria, jedoch
schon Ende Juli wurde sie wieder aufgegeben; und in Folge der drohenden
Haltung Oestereichs ging die ganze russische Armee wieder über die Donau
zurück und räumte die Fürstentümer. Ein bestimmter, klar in's Auge gefaßter



"°) Pl D. Red. cwna ist während des Druckes dieses Artikels gefallen.

mit Sophia, wie mit Widdiu abgeschnitten worden ist, hat sich allerdings die
Situation wesentlich verändert/") Nichtsdestoweniger lassen sich noch eine Menge
von Vergleichungspunkten zwischen damals und jetzt aufstellen und sie bestätigen
in vielen Stücken den bekannten Ausspruch, daß es nichts Neues uuter der
Sonue giebt.

Wenn wir Deutschen auch vorläufig dem großen Duelle, das im Orient
ciusgefvchten wird, mit einer gewissen Seelenruhe zuschauen können und uns
vor allen Dingen durch das Gespenst des Panslavismus nicht graulich machen
lassen sollten, so ist doch heute wie damals die äußerlich neutrale Welt in zwei
Parteien gespalten, in Russophileu und Turkophilen. Wie speciell ein Deutscher
sich an: Halbmond, mit all' seinem geborgten Licht erwärmen kann, ist uns
allerdings, vom historische» wie sittliche» Standpunkte aus, schwer verständlich.
Wenn es Leute giebt, welche für Ulemas und Sofias eine gewisse Zärtlichkeit
empfinden, so ist das nur ein Beweis, welche Geister- und Gemüthsverwirrungen
der Kulturkampf bereits zu Wege gebracht hat. Gerade sie, die geistlichen
Janitscharen des Osmanenreichs, sind es, welche immer wieder die Gemüther
umfangen und den heiligen Krieg predigen, welche eine, wenn auch nur geduldete
Gleichberechtigung der christlichen Weltanschauung, unter der Herrschaft des
Hcilbmoudes unmöglich machen. Als am 31. Juli 1853 durch die sogenannte
Wiener Note den Russen eine goldene Rückzugsbrücke gebaut werden sollte,
da verhinderten jene Koranausleger die Annahme eines Vergleichs. Am Vor¬
abende des Beiramfestes drangen sie in die geheiligten Gemächer des Großherren
und stellten ihm die Wahl zwischen Abdankung und Krieg. Und der Krieg
ward erklärt! Erinnern wir uns an das jüngst Erlebte, und es bedarf keines
weiteren Kommentars.

Auch in Bezug auf die anfängliche Kriegführung der Russen in beiden
Feldzügen finden wir solche Analogien, insofern nicht bestimmte strategische
Erwägungen, sondern vielfach andere Rücksichten auf die Operationen doniim-
renden Einfluß gewannen.

Am 2. Juli 1853 gingen die Russen mit 80,000 Mann über den Pruth,
um die Moldau und Walachei in Pfandbesitz zu nehmen. Nach der Kriegs¬
erklärung der Pforte operirten sie zögernd am linken Ufer der Donau old
fochten unglücklich bei Kalaphat und Olteuizza. Erst im März 1854 wagte"
sie, die Donau zu überschreiten; es erfolgte die Belagerung von Silistria, jedoch
schon Ende Juli wurde sie wieder aufgegeben; und in Folge der drohenden
Haltung Oestereichs ging die ganze russische Armee wieder über die Donau
zurück und räumte die Fürstentümer. Ein bestimmter, klar in's Auge gefaßter



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[0486] mit Sophia, wie mit Widdiu abgeschnitten worden ist, hat sich allerdings die Situation wesentlich verändert/") Nichtsdestoweniger lassen sich noch eine Menge von Vergleichungspunkten zwischen damals und jetzt aufstellen und sie bestätigen in vielen Stücken den bekannten Ausspruch, daß es nichts Neues uuter der Sonue giebt. Wenn wir Deutschen auch vorläufig dem großen Duelle, das im Orient ciusgefvchten wird, mit einer gewissen Seelenruhe zuschauen können und uns vor allen Dingen durch das Gespenst des Panslavismus nicht graulich machen lassen sollten, so ist doch heute wie damals die äußerlich neutrale Welt in zwei Parteien gespalten, in Russophileu und Turkophilen. Wie speciell ein Deutscher sich an: Halbmond, mit all' seinem geborgten Licht erwärmen kann, ist uns allerdings, vom historische» wie sittliche» Standpunkte aus, schwer verständlich. Wenn es Leute giebt, welche für Ulemas und Sofias eine gewisse Zärtlichkeit empfinden, so ist das nur ein Beweis, welche Geister- und Gemüthsverwirrungen der Kulturkampf bereits zu Wege gebracht hat. Gerade sie, die geistlichen Janitscharen des Osmanenreichs, sind es, welche immer wieder die Gemüther umfangen und den heiligen Krieg predigen, welche eine, wenn auch nur geduldete Gleichberechtigung der christlichen Weltanschauung, unter der Herrschaft des Hcilbmoudes unmöglich machen. Als am 31. Juli 1853 durch die sogenannte Wiener Note den Russen eine goldene Rückzugsbrücke gebaut werden sollte, da verhinderten jene Koranausleger die Annahme eines Vergleichs. Am Vor¬ abende des Beiramfestes drangen sie in die geheiligten Gemächer des Großherren und stellten ihm die Wahl zwischen Abdankung und Krieg. Und der Krieg ward erklärt! Erinnern wir uns an das jüngst Erlebte, und es bedarf keines weiteren Kommentars. Auch in Bezug auf die anfängliche Kriegführung der Russen in beiden Feldzügen finden wir solche Analogien, insofern nicht bestimmte strategische Erwägungen, sondern vielfach andere Rücksichten auf die Operationen doniim- renden Einfluß gewannen. Am 2. Juli 1853 gingen die Russen mit 80,000 Mann über den Pruth, um die Moldau und Walachei in Pfandbesitz zu nehmen. Nach der Kriegs¬ erklärung der Pforte operirten sie zögernd am linken Ufer der Donau old fochten unglücklich bei Kalaphat und Olteuizza. Erst im März 1854 wagte" sie, die Donau zu überschreiten; es erfolgte die Belagerung von Silistria, jedoch schon Ende Juli wurde sie wieder aufgegeben; und in Folge der drohenden Haltung Oestereichs ging die ganze russische Armee wieder über die Donau zurück und räumte die Fürstentümer. Ein bestimmter, klar in's Auge gefaßter "°) Pl D. Red. cwna ist während des Druckes dieses Artikels gefallen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/486>, abgerufen am 05.02.2025.