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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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hüten besorgt der Defterdar. Den Spitzen der Verwaltung steht ein Pro-
vinzial-Conseil zur Seite, dessen Mitglieder theils durch die Bewohner erwählt
werden, theils ans den religiösen Chefs der verschiedenen Kulten bestehen. --

Der Defterdar hat die Steuern zu erheben und die Ausgaben der Pro¬
vinzen zu bestreiten, den Ueberschuß hat er nach Konstantinopel abzuführen.
In den letzten Jahren wurden aber die Ausgaben für die Provinzen immer
mehr beschränkt und schließlich nur noch die Ausgaben für die Erbauung von
Schuldgefängnissen gestattet, deren Insassen fast ausschließlich aus solchen Per¬
sonen bestanden, welche dem Staate Steuern schulde". Die Zahl dieser Un¬
glücklichen, welche im Schuldgefängniß für Steuern schmachten, betrug in der
Zeit vor Ausbruch des Krieges, wie an einer andern Stelle des Buches be¬
rechnet wird, 40,000. Die Zehnten, seit 1874 auf 12'/z Prozent erhöht,
sind meistens an reiche Kapitalisten verpachtet, welche den Pachtschilling im
Voraus zahlen. Jedes Jahr werden die Zehnten von neuem verpachtet. Der
Meistbietende soll den Vorzug erhalten. Aber das Höchstgebot wird nach
Stambul berichtet, von dort erfolgt regelmäßig die Weisung, noch mehr her-
auszupressen. Durch das Hin- und Herschreiben geht kostbare Zeit verloren.
Die Ernte rückt heran und noch ist kein Zehutenpächter bekannt -- und der
Pächter muß doch, wie einzelne offen eingestanden haben, nicht blos 10 und
sondern mindestens 18 Prozent einliefern. In wessen Tasche die
überschießenden fünf bis acht Prozent fallen, geht freilich so wenig aus den
Budgets des Finanzministers, als aus den Büchern der Banane Ottomane
hervor. Man kann sich aber denken, wie die Steuerpflichtigen bedrückt wer¬
den! Dazu dient vor Allem der späte Abschluß des Kontrakts mit dem
Steuerpächter. Dieser hat wieder eine Masse Unterpächter, der Unterpächter
wieder Abpächter für jedes einzelne Dorf u. f. w. zu ernennen. Der Bauer
darf sein Getreide nicht eher in die Scheune bringen, bis der Zehnten ent¬
richtet ist. Der Pächter beeilt sich durchaus nicht mit seinem Geschäft und fast
jedes Jahr wird daher bald in dieser, bald in jener Provinz der Erntesegen
durch Regengüsse vernichtet. Ohne jeden Schutz steht der arme Bauer dieser
himmelschreienden menschlichen Bosheit gegenüber. Wenn nun endlich der
Pächter seinen Einzug mit all' seinem Gefolge hält, muß er umsonst verpflegt
werde". Es ist zwar strenger Befehl, daß er und seine Leute baar bezahlen.
Aber wehe dem Dorfe, wo man Bezahlung verlangen würde. Er hat tausend
Mittel, um es dafür zu peinigen. Es steht ja ganz in seinem Belieben, ob
^ den Zehnten in Natur oder in Geld einfordern will. Verlangt er Geld,
so setzt er den Marktpreis des Getreides nicht fest nach der Preisscala der
Provinz, sondern nach derjenigen von Konstantinopel! Kurz, der Zehnten¬
pächter ist die wahre Geißel des Landmanns, eine der vornehmsten Ursachen


hüten besorgt der Defterdar. Den Spitzen der Verwaltung steht ein Pro-
vinzial-Conseil zur Seite, dessen Mitglieder theils durch die Bewohner erwählt
werden, theils ans den religiösen Chefs der verschiedenen Kulten bestehen. —

Der Defterdar hat die Steuern zu erheben und die Ausgaben der Pro¬
vinzen zu bestreiten, den Ueberschuß hat er nach Konstantinopel abzuführen.
In den letzten Jahren wurden aber die Ausgaben für die Provinzen immer
mehr beschränkt und schließlich nur noch die Ausgaben für die Erbauung von
Schuldgefängnissen gestattet, deren Insassen fast ausschließlich aus solchen Per¬
sonen bestanden, welche dem Staate Steuern schulde». Die Zahl dieser Un¬
glücklichen, welche im Schuldgefängniß für Steuern schmachten, betrug in der
Zeit vor Ausbruch des Krieges, wie an einer andern Stelle des Buches be¬
rechnet wird, 40,000. Die Zehnten, seit 1874 auf 12'/z Prozent erhöht,
sind meistens an reiche Kapitalisten verpachtet, welche den Pachtschilling im
Voraus zahlen. Jedes Jahr werden die Zehnten von neuem verpachtet. Der
Meistbietende soll den Vorzug erhalten. Aber das Höchstgebot wird nach
Stambul berichtet, von dort erfolgt regelmäßig die Weisung, noch mehr her-
auszupressen. Durch das Hin- und Herschreiben geht kostbare Zeit verloren.
Die Ernte rückt heran und noch ist kein Zehutenpächter bekannt — und der
Pächter muß doch, wie einzelne offen eingestanden haben, nicht blos 10 und
sondern mindestens 18 Prozent einliefern. In wessen Tasche die
überschießenden fünf bis acht Prozent fallen, geht freilich so wenig aus den
Budgets des Finanzministers, als aus den Büchern der Banane Ottomane
hervor. Man kann sich aber denken, wie die Steuerpflichtigen bedrückt wer¬
den! Dazu dient vor Allem der späte Abschluß des Kontrakts mit dem
Steuerpächter. Dieser hat wieder eine Masse Unterpächter, der Unterpächter
wieder Abpächter für jedes einzelne Dorf u. f. w. zu ernennen. Der Bauer
darf sein Getreide nicht eher in die Scheune bringen, bis der Zehnten ent¬
richtet ist. Der Pächter beeilt sich durchaus nicht mit seinem Geschäft und fast
jedes Jahr wird daher bald in dieser, bald in jener Provinz der Erntesegen
durch Regengüsse vernichtet. Ohne jeden Schutz steht der arme Bauer dieser
himmelschreienden menschlichen Bosheit gegenüber. Wenn nun endlich der
Pächter seinen Einzug mit all' seinem Gefolge hält, muß er umsonst verpflegt
werde». Es ist zwar strenger Befehl, daß er und seine Leute baar bezahlen.
Aber wehe dem Dorfe, wo man Bezahlung verlangen würde. Er hat tausend
Mittel, um es dafür zu peinigen. Es steht ja ganz in seinem Belieben, ob
^ den Zehnten in Natur oder in Geld einfordern will. Verlangt er Geld,
so setzt er den Marktpreis des Getreides nicht fest nach der Preisscala der
Provinz, sondern nach derjenigen von Konstantinopel! Kurz, der Zehnten¬
pächter ist die wahre Geißel des Landmanns, eine der vornehmsten Ursachen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/473>, abgerufen am 22.07.2024.