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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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keinen höheren Werth. Und gewiß hegte die große Mehrzahl der Eingeweihten
einen derartigen Glauben, wie denn in keiner Religion den Menschen die Nei¬
gung hat benommen werden können, sich auf ein äußerliches Werk zu stützen nud
das Bedürfniß der Heiligung damit zu befriedigen, an Stelle der wirklich
schweren und der Natur antipathischen inneren Heiligung. Aber die Orphiker
hatten selbst, wie Platon anführt, den Vers: Viele sind Narthexträger, doch
wenige giebt es der Baechen, das heißt, viele machen den Gottesdienst äußerlich
mit und tragen den Narthex oder Doldenstengel dem Dionysos zu Ehren;
aber derer sind wenige, die innerlich ergriffen sind und sich dem Gotte wirklich
hingeben. Und diese Wenigen konnten auch in den oben angegebenen Sym¬
bolen etwas sehr tiefes finden. Die äußerliche Reinigung und Weihe ist das
Abbild der inneren; wer ohne diese und innerlich unrein zur andern Welt ab¬
scheidet, hat in derselben ein entsprechendes Loos und kommt in entsprechende
Gesellschaft, gleichwie Platon einmal sagt, daß dies das ewige und nie ge¬
brochene Gesetz der göttlichen Weltregierung sei: wie beschaffen die Seele, so
beschaffen der Ort, an den sie nach Abschluß des Lebens kommt. So ist auch
der Schlamm nur das der inneren Unreinheit entsprechende Symbol, und
ebenso symbolisch die blumige Ane in der Nähe der Götter; niemand, der diese
transscendenten Dinge anschaulich hat darstellen wollen, hat solcher Symbolik
entrathen können, und der Schlammpfuhl findet sich auch bei Dante als Höl-
lenstrafe für die niedrigsten Sünder, die welche den Freuden der Schlemmerei
ergeben gewesen. Es gab für das Schicksal der Ungeweihten im Hades auch
noch ein anderes Symbol, welches Polygnvtos der Maler in seine großartige
Darstellung vom Schattenreiche, die sich in Delphi befand, aufgenommen, und
welches auch Platon einmal benutzt: sie müssen nämlich in einem Siebe Wasser
in ein durchlöchertes Faß tragen, oder nach Polygnvtos in zerbrochenen irdenen
Gefäßen. Dies beruht zunächst ans einem Wortspiele: sie haben eine erfolg¬
lose Arbeit, und erfolglos und ungeweiht ist im Griechischen dasselbe Wort
("r^L<7r<)5). Der Gedanke aber ist, daß das Leben der Ungeweihten ebenso
fruchtlos und zwecklos ist wie solches Wasserträger; mit dem Tode ist alles
für sie dahin.

Das sind also die Gedanken, die ein frommes Gemüth mit dem in Eleusis
Geschauten verbinden konnte. Welcher Art aber war nnn dies Geschaute?
Setzen wir uns zusammen, was hie und da bei alten Schriftstellern ausge¬
sprochen oder angedeutet wird, so können wir das zunächst erkennen, daß den
Geweihten die Unterwelt gezeigt wurde. Die Feier war des Nachts; die
Mysten wurden an die Pforte des inneren Tempelhofes geführt, und gelangten
durch dieselbe, wie nach demi Befund der Baulichkeit anzunehmen, gewiß nicht
"uf gewöhnliche Weise, sondern vermittelst einer Maschinerie, welche die Vor-


keinen höheren Werth. Und gewiß hegte die große Mehrzahl der Eingeweihten
einen derartigen Glauben, wie denn in keiner Religion den Menschen die Nei¬
gung hat benommen werden können, sich auf ein äußerliches Werk zu stützen nud
das Bedürfniß der Heiligung damit zu befriedigen, an Stelle der wirklich
schweren und der Natur antipathischen inneren Heiligung. Aber die Orphiker
hatten selbst, wie Platon anführt, den Vers: Viele sind Narthexträger, doch
wenige giebt es der Baechen, das heißt, viele machen den Gottesdienst äußerlich
mit und tragen den Narthex oder Doldenstengel dem Dionysos zu Ehren;
aber derer sind wenige, die innerlich ergriffen sind und sich dem Gotte wirklich
hingeben. Und diese Wenigen konnten auch in den oben angegebenen Sym¬
bolen etwas sehr tiefes finden. Die äußerliche Reinigung und Weihe ist das
Abbild der inneren; wer ohne diese und innerlich unrein zur andern Welt ab¬
scheidet, hat in derselben ein entsprechendes Loos und kommt in entsprechende
Gesellschaft, gleichwie Platon einmal sagt, daß dies das ewige und nie ge¬
brochene Gesetz der göttlichen Weltregierung sei: wie beschaffen die Seele, so
beschaffen der Ort, an den sie nach Abschluß des Lebens kommt. So ist auch
der Schlamm nur das der inneren Unreinheit entsprechende Symbol, und
ebenso symbolisch die blumige Ane in der Nähe der Götter; niemand, der diese
transscendenten Dinge anschaulich hat darstellen wollen, hat solcher Symbolik
entrathen können, und der Schlammpfuhl findet sich auch bei Dante als Höl-
lenstrafe für die niedrigsten Sünder, die welche den Freuden der Schlemmerei
ergeben gewesen. Es gab für das Schicksal der Ungeweihten im Hades auch
noch ein anderes Symbol, welches Polygnvtos der Maler in seine großartige
Darstellung vom Schattenreiche, die sich in Delphi befand, aufgenommen, und
welches auch Platon einmal benutzt: sie müssen nämlich in einem Siebe Wasser
in ein durchlöchertes Faß tragen, oder nach Polygnvtos in zerbrochenen irdenen
Gefäßen. Dies beruht zunächst ans einem Wortspiele: sie haben eine erfolg¬
lose Arbeit, und erfolglos und ungeweiht ist im Griechischen dasselbe Wort
(«r^L<7r<)5). Der Gedanke aber ist, daß das Leben der Ungeweihten ebenso
fruchtlos und zwecklos ist wie solches Wasserträger; mit dem Tode ist alles
für sie dahin.

Das sind also die Gedanken, die ein frommes Gemüth mit dem in Eleusis
Geschauten verbinden konnte. Welcher Art aber war nnn dies Geschaute?
Setzen wir uns zusammen, was hie und da bei alten Schriftstellern ausge¬
sprochen oder angedeutet wird, so können wir das zunächst erkennen, daß den
Geweihten die Unterwelt gezeigt wurde. Die Feier war des Nachts; die
Mysten wurden an die Pforte des inneren Tempelhofes geführt, und gelangten
durch dieselbe, wie nach demi Befund der Baulichkeit anzunehmen, gewiß nicht
"uf gewöhnliche Weise, sondern vermittelst einer Maschinerie, welche die Vor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/379>, abgerufen am 25.08.2024.