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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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sagt durch einen Traum. Die Feier war hauptsächlich Nachtfeier; bei Tage fasteten
die Mysten; nach Sonnenuntergang durften sie Speise zu sich nehmen, und
wahrscheinlich an dem Abende, wo die eigentliche Weihe stattzufinden hatte,
wurde vorher ein Mischtrank aus Wasser, Mehl und Pökel eingenommen. Von
einem christlichen Schriftsteller werdeu uns als das Erkennungszeichen der
Mysten die Worte mitgetheilt: "ich habe gefastet; ich habe den Mischtrank ge¬
trunken; ich nahm ans der Kiste; nachdem ich gekostet, legte ich es in den Korb
und aus dem Korbe in die Kiste/' Als äußerliches Kennzeichen dienten anßer
dem Myrtenkranze Fäden, die um den rechten Arm und um den linken Fuß
gebunden waren. Das Fasten und der Mischtrank und die gesammte Vorfeier
sollten Demeter's Thun wiederholen, die nach dem Raub ihrer Tochter neun
Tage lang suchend mit Fackeln die Erde durchirrte und nicht Speise noch Trank
kostete, bis sie in Eleusis im Hause des Keleos zuerst den Mischtrank annahm,
erheitert durch die Scherze der Hausmagd Jambe. Also auch diese Scherze
und Possenreißereien, fein oder unfein, mußten sich bei der andächtigen Ge¬
meinde wiederholen, und die Nachtfeier unter Fackelglanz stellte das Suchen
der Demeter dar. Wir finden nun in Aristophanes' Lustspiel, den Fröschen,
eine ideale Darstellung des Lebens der seligen Mysten in der Unterwelt, einiger¬
maßen nachgebildet der wirklichen Feier, soweit dieselbe nicht geheim war, und
insbesondere das Jacchoslied des Aristophanes ist geeignet, uns etwas von dem
ekstatischen Geiste dieser Feier mitzutheilen. Es lautet in bekannter Über¬
setzung:


Jacchos, der du nah hier an dem vielherrlichen Sitz weilst,
Jacchos, o Jacchos I

Komm hierher auf der Bachwiese zu tanzen,

in dem Festschwarm der Geweihten,

und den Myrtenkranz voll Beeren,

der ums Haupt dir schwillt, zu schütteln

mit dem Lockenhaar, und keck stampf, daß der Grund dröhnt.

mit dem Fuße den Takt uns

zu dem neckischen Lusttanz,

der sich reizvoll um dich her schlingt,

der dich fromm lauter umjauchzet,

der geweihten Mysten Chorreihn.


Und weiter:


Wohlauf jetzt! in der Hand schwingend die helllodernde Fackel
Erscheint er, Jacchos,

Stern des Lichts, der den Tag bringt zu den Nachtweihn.

Und von Glanz erglüht die Wiese,

und den Greisen wird das Knie leicht,

und sie schütteln ab das Leiden

und die Alterslast, die vieljährige, heute

in der heiligen Festlust.


sagt durch einen Traum. Die Feier war hauptsächlich Nachtfeier; bei Tage fasteten
die Mysten; nach Sonnenuntergang durften sie Speise zu sich nehmen, und
wahrscheinlich an dem Abende, wo die eigentliche Weihe stattzufinden hatte,
wurde vorher ein Mischtrank aus Wasser, Mehl und Pökel eingenommen. Von
einem christlichen Schriftsteller werdeu uns als das Erkennungszeichen der
Mysten die Worte mitgetheilt: „ich habe gefastet; ich habe den Mischtrank ge¬
trunken; ich nahm ans der Kiste; nachdem ich gekostet, legte ich es in den Korb
und aus dem Korbe in die Kiste/' Als äußerliches Kennzeichen dienten anßer
dem Myrtenkranze Fäden, die um den rechten Arm und um den linken Fuß
gebunden waren. Das Fasten und der Mischtrank und die gesammte Vorfeier
sollten Demeter's Thun wiederholen, die nach dem Raub ihrer Tochter neun
Tage lang suchend mit Fackeln die Erde durchirrte und nicht Speise noch Trank
kostete, bis sie in Eleusis im Hause des Keleos zuerst den Mischtrank annahm,
erheitert durch die Scherze der Hausmagd Jambe. Also auch diese Scherze
und Possenreißereien, fein oder unfein, mußten sich bei der andächtigen Ge¬
meinde wiederholen, und die Nachtfeier unter Fackelglanz stellte das Suchen
der Demeter dar. Wir finden nun in Aristophanes' Lustspiel, den Fröschen,
eine ideale Darstellung des Lebens der seligen Mysten in der Unterwelt, einiger¬
maßen nachgebildet der wirklichen Feier, soweit dieselbe nicht geheim war, und
insbesondere das Jacchoslied des Aristophanes ist geeignet, uns etwas von dem
ekstatischen Geiste dieser Feier mitzutheilen. Es lautet in bekannter Über¬
setzung:


Jacchos, der du nah hier an dem vielherrlichen Sitz weilst,
Jacchos, o Jacchos I

Komm hierher auf der Bachwiese zu tanzen,

in dem Festschwarm der Geweihten,

und den Myrtenkranz voll Beeren,

der ums Haupt dir schwillt, zu schütteln

mit dem Lockenhaar, und keck stampf, daß der Grund dröhnt.

mit dem Fuße den Takt uns

zu dem neckischen Lusttanz,

der sich reizvoll um dich her schlingt,

der dich fromm lauter umjauchzet,

der geweihten Mysten Chorreihn.


Und weiter:


Wohlauf jetzt! in der Hand schwingend die helllodernde Fackel
Erscheint er, Jacchos,

Stern des Lichts, der den Tag bringt zu den Nachtweihn.

Und von Glanz erglüht die Wiese,

und den Greisen wird das Knie leicht,

und sie schütteln ab das Leiden

und die Alterslast, die vieljährige, heute

in der heiligen Festlust.


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[0374] sagt durch einen Traum. Die Feier war hauptsächlich Nachtfeier; bei Tage fasteten die Mysten; nach Sonnenuntergang durften sie Speise zu sich nehmen, und wahrscheinlich an dem Abende, wo die eigentliche Weihe stattzufinden hatte, wurde vorher ein Mischtrank aus Wasser, Mehl und Pökel eingenommen. Von einem christlichen Schriftsteller werdeu uns als das Erkennungszeichen der Mysten die Worte mitgetheilt: „ich habe gefastet; ich habe den Mischtrank ge¬ trunken; ich nahm ans der Kiste; nachdem ich gekostet, legte ich es in den Korb und aus dem Korbe in die Kiste/' Als äußerliches Kennzeichen dienten anßer dem Myrtenkranze Fäden, die um den rechten Arm und um den linken Fuß gebunden waren. Das Fasten und der Mischtrank und die gesammte Vorfeier sollten Demeter's Thun wiederholen, die nach dem Raub ihrer Tochter neun Tage lang suchend mit Fackeln die Erde durchirrte und nicht Speise noch Trank kostete, bis sie in Eleusis im Hause des Keleos zuerst den Mischtrank annahm, erheitert durch die Scherze der Hausmagd Jambe. Also auch diese Scherze und Possenreißereien, fein oder unfein, mußten sich bei der andächtigen Ge¬ meinde wiederholen, und die Nachtfeier unter Fackelglanz stellte das Suchen der Demeter dar. Wir finden nun in Aristophanes' Lustspiel, den Fröschen, eine ideale Darstellung des Lebens der seligen Mysten in der Unterwelt, einiger¬ maßen nachgebildet der wirklichen Feier, soweit dieselbe nicht geheim war, und insbesondere das Jacchoslied des Aristophanes ist geeignet, uns etwas von dem ekstatischen Geiste dieser Feier mitzutheilen. Es lautet in bekannter Über¬ setzung: Jacchos, der du nah hier an dem vielherrlichen Sitz weilst, Jacchos, o Jacchos I Komm hierher auf der Bachwiese zu tanzen, in dem Festschwarm der Geweihten, und den Myrtenkranz voll Beeren, der ums Haupt dir schwillt, zu schütteln mit dem Lockenhaar, und keck stampf, daß der Grund dröhnt. mit dem Fuße den Takt uns zu dem neckischen Lusttanz, der sich reizvoll um dich her schlingt, der dich fromm lauter umjauchzet, der geweihten Mysten Chorreihn. Und weiter: Wohlauf jetzt! in der Hand schwingend die helllodernde Fackel Erscheint er, Jacchos, Stern des Lichts, der den Tag bringt zu den Nachtweihn. Und von Glanz erglüht die Wiese, und den Greisen wird das Knie leicht, und sie schütteln ab das Leiden und die Alterslast, die vieljährige, heute in der heiligen Festlust.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/374>, abgerufen am 25.08.2024.