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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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sterien im Monat Anthesterion, d. i. Februar, zur Zeit des ersten Frühlings,
und den großen Mysterien im Boödromion, d. i. September, nach abgeschlossener
Ernte und nicht lange vor Einbruch des Wiuters. Jene wurden nicht in
Eleusis, sondern an einem Orte nahe bei Athen Namens Agrai gefeiert, zu
Ehren der Persephone und des Jacchos; wir wissen wenig darüber, doch mußte
der Einweihung in die großen Mysterien eine solche in die kleinen vorausgehen.
Bedingungen aber waren für die Zulassung keine anderen vorhanden, als die
von Blutschuld reinen Hände und die griechische Sprache. In alten Zeiten sollen
die Athener nur Bürger zugelassen haben; späterhin war die Stadt, wie eben
Jsokrates rühmt, so menschenfreundlich, daß sie keinen fremden Hellenen zurück¬
wies, der einen Bürger als seinen Mystagvgos fand; dieser Mystagogos hatte
ihn dem Priester vorzustellen und ihm weiterhin Führer und Leiter bei der
Weihe zu sein. Die Ausschließung der Barbaren hatte nach Jsokrates ihren
Grund in dem Hasse gegen die Perser, welche die athenischen und eleusinischen
Heiligthümer freventlich zerstört; wirklich mag diese Bestimmung erst nach den
Perserkriegen aufgekommen sein, indem früher, wo das Fest nicht viel mehr als
eine lokale Berühmtheit hatte, kaum Anlaß dazu war. Den Barbaren aber
kennzeichnete nicht die Abkunft, sondern die Sprache: dem Lyder oder Phönizier,
der in Athen ansässig war und griechisch verstand, wird die Weihe kaum ver¬
sagt sein, und ebensowenig dem aus dem Barbarenlande gekauften Sklaven,
nachdem er in der Sprache zum Hellenen geworden. Denn auch das ist ein
echt attischer, humaner Zug, daß nach dem Stande, ob Sklave oder Freier,
nicht gefragt wurde, und hiernach ist es überflüssig zu bemerken, daß das'Ge¬
schlecht und das Alter vollends keinen Grund zur Ausschließung abgaben, und
somit manche, wenn es der Wunsch der Eltern war, schon als Kinder einge¬
weiht wurden.

Es drängt sich hier die Frage ans, in welchem Maße von der so liberal
ertheilten Erlaubniß thatsächlich Gebrauch gemacht worden sei. Von namhaften
Athenern sind Sophokles und Platon gewiß eingeweiht gewesen; von Aischylos
glauben Manche nach einer Stelle des Aristoteles das Gegentheil, doch ist
das gerade bei ihm, dem Eleusinier, unmöglich anzunehmen, zumal da ihn Ari-
stophanes also betend einführt: "Demeter, du Pflegerin meines Geistes, laß mich
Deiner Mysterien würdig sein." Eingeweide waren auch die Redner Andokides
und Lysias, und überhaupt, sollte man meinen, die meisten Athener von guter
Familie, indeß darum noch nicht die Masse der bürgerlichen Bevölkerung über¬
haupt. In eiuer Komödie des Aristophanes bittet ein Athener, der mit dem
Tode bedroht wird, ihm noch die Zeit zu gewähren, sich einweihen zu lassen;
so mochten manche diese Ceremonie aufschieben, theils der gar nicht geringen
Unbequemlichkeiten wegen, theils der Kosten, wenn auch nach eben dieser Stelle


sterien im Monat Anthesterion, d. i. Februar, zur Zeit des ersten Frühlings,
und den großen Mysterien im Boödromion, d. i. September, nach abgeschlossener
Ernte und nicht lange vor Einbruch des Wiuters. Jene wurden nicht in
Eleusis, sondern an einem Orte nahe bei Athen Namens Agrai gefeiert, zu
Ehren der Persephone und des Jacchos; wir wissen wenig darüber, doch mußte
der Einweihung in die großen Mysterien eine solche in die kleinen vorausgehen.
Bedingungen aber waren für die Zulassung keine anderen vorhanden, als die
von Blutschuld reinen Hände und die griechische Sprache. In alten Zeiten sollen
die Athener nur Bürger zugelassen haben; späterhin war die Stadt, wie eben
Jsokrates rühmt, so menschenfreundlich, daß sie keinen fremden Hellenen zurück¬
wies, der einen Bürger als seinen Mystagvgos fand; dieser Mystagogos hatte
ihn dem Priester vorzustellen und ihm weiterhin Führer und Leiter bei der
Weihe zu sein. Die Ausschließung der Barbaren hatte nach Jsokrates ihren
Grund in dem Hasse gegen die Perser, welche die athenischen und eleusinischen
Heiligthümer freventlich zerstört; wirklich mag diese Bestimmung erst nach den
Perserkriegen aufgekommen sein, indem früher, wo das Fest nicht viel mehr als
eine lokale Berühmtheit hatte, kaum Anlaß dazu war. Den Barbaren aber
kennzeichnete nicht die Abkunft, sondern die Sprache: dem Lyder oder Phönizier,
der in Athen ansässig war und griechisch verstand, wird die Weihe kaum ver¬
sagt sein, und ebensowenig dem aus dem Barbarenlande gekauften Sklaven,
nachdem er in der Sprache zum Hellenen geworden. Denn auch das ist ein
echt attischer, humaner Zug, daß nach dem Stande, ob Sklave oder Freier,
nicht gefragt wurde, und hiernach ist es überflüssig zu bemerken, daß das'Ge¬
schlecht und das Alter vollends keinen Grund zur Ausschließung abgaben, und
somit manche, wenn es der Wunsch der Eltern war, schon als Kinder einge¬
weiht wurden.

Es drängt sich hier die Frage ans, in welchem Maße von der so liberal
ertheilten Erlaubniß thatsächlich Gebrauch gemacht worden sei. Von namhaften
Athenern sind Sophokles und Platon gewiß eingeweiht gewesen; von Aischylos
glauben Manche nach einer Stelle des Aristoteles das Gegentheil, doch ist
das gerade bei ihm, dem Eleusinier, unmöglich anzunehmen, zumal da ihn Ari-
stophanes also betend einführt: „Demeter, du Pflegerin meines Geistes, laß mich
Deiner Mysterien würdig sein." Eingeweide waren auch die Redner Andokides
und Lysias, und überhaupt, sollte man meinen, die meisten Athener von guter
Familie, indeß darum noch nicht die Masse der bürgerlichen Bevölkerung über¬
haupt. In eiuer Komödie des Aristophanes bittet ein Athener, der mit dem
Tode bedroht wird, ihm noch die Zeit zu gewähren, sich einweihen zu lassen;
so mochten manche diese Ceremonie aufschieben, theils der gar nicht geringen
Unbequemlichkeiten wegen, theils der Kosten, wenn auch nach eben dieser Stelle


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[0370] sterien im Monat Anthesterion, d. i. Februar, zur Zeit des ersten Frühlings, und den großen Mysterien im Boödromion, d. i. September, nach abgeschlossener Ernte und nicht lange vor Einbruch des Wiuters. Jene wurden nicht in Eleusis, sondern an einem Orte nahe bei Athen Namens Agrai gefeiert, zu Ehren der Persephone und des Jacchos; wir wissen wenig darüber, doch mußte der Einweihung in die großen Mysterien eine solche in die kleinen vorausgehen. Bedingungen aber waren für die Zulassung keine anderen vorhanden, als die von Blutschuld reinen Hände und die griechische Sprache. In alten Zeiten sollen die Athener nur Bürger zugelassen haben; späterhin war die Stadt, wie eben Jsokrates rühmt, so menschenfreundlich, daß sie keinen fremden Hellenen zurück¬ wies, der einen Bürger als seinen Mystagvgos fand; dieser Mystagogos hatte ihn dem Priester vorzustellen und ihm weiterhin Führer und Leiter bei der Weihe zu sein. Die Ausschließung der Barbaren hatte nach Jsokrates ihren Grund in dem Hasse gegen die Perser, welche die athenischen und eleusinischen Heiligthümer freventlich zerstört; wirklich mag diese Bestimmung erst nach den Perserkriegen aufgekommen sein, indem früher, wo das Fest nicht viel mehr als eine lokale Berühmtheit hatte, kaum Anlaß dazu war. Den Barbaren aber kennzeichnete nicht die Abkunft, sondern die Sprache: dem Lyder oder Phönizier, der in Athen ansässig war und griechisch verstand, wird die Weihe kaum ver¬ sagt sein, und ebensowenig dem aus dem Barbarenlande gekauften Sklaven, nachdem er in der Sprache zum Hellenen geworden. Denn auch das ist ein echt attischer, humaner Zug, daß nach dem Stande, ob Sklave oder Freier, nicht gefragt wurde, und hiernach ist es überflüssig zu bemerken, daß das'Ge¬ schlecht und das Alter vollends keinen Grund zur Ausschließung abgaben, und somit manche, wenn es der Wunsch der Eltern war, schon als Kinder einge¬ weiht wurden. Es drängt sich hier die Frage ans, in welchem Maße von der so liberal ertheilten Erlaubniß thatsächlich Gebrauch gemacht worden sei. Von namhaften Athenern sind Sophokles und Platon gewiß eingeweiht gewesen; von Aischylos glauben Manche nach einer Stelle des Aristoteles das Gegentheil, doch ist das gerade bei ihm, dem Eleusinier, unmöglich anzunehmen, zumal da ihn Ari- stophanes also betend einführt: „Demeter, du Pflegerin meines Geistes, laß mich Deiner Mysterien würdig sein." Eingeweide waren auch die Redner Andokides und Lysias, und überhaupt, sollte man meinen, die meisten Athener von guter Familie, indeß darum noch nicht die Masse der bürgerlichen Bevölkerung über¬ haupt. In eiuer Komödie des Aristophanes bittet ein Athener, der mit dem Tode bedroht wird, ihm noch die Zeit zu gewähren, sich einweihen zu lassen; so mochten manche diese Ceremonie aufschieben, theils der gar nicht geringen Unbequemlichkeiten wegen, theils der Kosten, wenn auch nach eben dieser Stelle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/370>, abgerufen am 25.08.2024.