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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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eigentlich nur Zu seiner und unserer Beruhigung da sind, fast nnr Szenen
bieten, die wir schon öster und nicht selten besser gelesen haben.

Nachdem nämlich Lynde längere Zeit hindurch nach dem Pantöffelchen
geschmachtet hat, welches die Königin von Saba auf ihrem Ritt verloren und
das er bei seiner Rückkehr nach Rivermouth gefunden hat, gibt er diese
Schwärmerei, da sie vermuthlich auch "hoffnungslos" ist, ganz auf, und ist
eben im Begriff nichts als der zweite Kassirer der Nautilus-Bank in Rivermouth
zu sein, als Onkel David stirbt und ihn mit einem ansehnlichen Vermögen
bedenkt, so daß sich Lynde unbedenklich eine Reise nach Europa leisten kann.
In Genf trifft er "in der ersten Dämmerstunde eines Juliabends im Jahre
1875" seinen Freund John Flemming, der eben von Egypten kommt. Dieser
Freund kommt ebenso gelegen, wie der Confident der sogenannten klassischen
französischen Tragödie -- denn es ist eine Portion Vergangenheit zu erzählen,
die der Leser einnehmen muß. In demselben Hotel mit Lynde in Genf wohnen
nämlich die Damen Denham, Tante und Nichte, von welchen die letztere genau
so aussieht wie die Königin von Saba, nnr drei Jahre älter, und von tadel¬
loser Vernünftigkeit. Sie ist Amerikanerin, in Paris erzogen, spricht vier
Sprachen, ist sehr hübsch, Lynde liebt sie leidenschaftlich. Ein Diner, welches
die Damen, dem amerikanischen Komment entsprechend, auf dem Hotelzimmer
Lyndes in Gesellschaft Flemming's einnehmen, fördert über die wichtige Frage
der Identität von Ruth Denham mit der Königin von Saba nichts zu Tage.
Flemming reist ab. Lynde begleitet die Damen allein nach Chamouny. Unter¬
wegs versucht er sich Ruth zu erklären, sie weicht aus. Sie verbietet ihm ein
zweites Mal geradezu, seine Liebeserklärung zu beendigen, als Lynde sie. allein
die Tante hat glücklicherweise Kopfschmerzen -- nach Montanvert begleitet.
Wir können uns gar keinen Grund dieses Verbotes denken, da sie ihn offenbar
auch liebt. Wenn sie wüßte, daß sie früher einmal wahnsinnig gewesen, wäre
die Zurückhaltung erklärlich. Aber sie hat keine Ahnung davon -- ihr Wahn¬
sinn war die rasch beseitigte Folge eines Nervenfiebers. Ruth erkältet sich
fürchterlich auf dem Rückweg von Montanvert nach Chamonny und legt sich
an einer Lungenentzündung. In erster Linie fürchten wir natürlich unter be-
wandten Umständen für ihren Verstand, aber diese Befürchtung ist unbegründet.
In der entscheidenden Krisis verlangt sie nach Lynde und wir erfahren durch
Dritte, daß sein Erscheinen das Rezept zu ihrer Genesung war. Ohne daß
auch nur eine entscheidende Aussprache zwischen den Liebesleuten stattfindet,
kutschiren sie, vermuthlich als Eheleute, im letzten Kapitel von Chamouny
nach Genf.

Verglichen mit dem ersten Roman Aldrichs, bezeichnet seine Königin von
Saba, trotz des vorzüglichen Eingangs, einen wesentlichen Rückschritt. In


eigentlich nur Zu seiner und unserer Beruhigung da sind, fast nnr Szenen
bieten, die wir schon öster und nicht selten besser gelesen haben.

Nachdem nämlich Lynde längere Zeit hindurch nach dem Pantöffelchen
geschmachtet hat, welches die Königin von Saba auf ihrem Ritt verloren und
das er bei seiner Rückkehr nach Rivermouth gefunden hat, gibt er diese
Schwärmerei, da sie vermuthlich auch „hoffnungslos" ist, ganz auf, und ist
eben im Begriff nichts als der zweite Kassirer der Nautilus-Bank in Rivermouth
zu sein, als Onkel David stirbt und ihn mit einem ansehnlichen Vermögen
bedenkt, so daß sich Lynde unbedenklich eine Reise nach Europa leisten kann.
In Genf trifft er „in der ersten Dämmerstunde eines Juliabends im Jahre
1875" seinen Freund John Flemming, der eben von Egypten kommt. Dieser
Freund kommt ebenso gelegen, wie der Confident der sogenannten klassischen
französischen Tragödie — denn es ist eine Portion Vergangenheit zu erzählen,
die der Leser einnehmen muß. In demselben Hotel mit Lynde in Genf wohnen
nämlich die Damen Denham, Tante und Nichte, von welchen die letztere genau
so aussieht wie die Königin von Saba, nnr drei Jahre älter, und von tadel¬
loser Vernünftigkeit. Sie ist Amerikanerin, in Paris erzogen, spricht vier
Sprachen, ist sehr hübsch, Lynde liebt sie leidenschaftlich. Ein Diner, welches
die Damen, dem amerikanischen Komment entsprechend, auf dem Hotelzimmer
Lyndes in Gesellschaft Flemming's einnehmen, fördert über die wichtige Frage
der Identität von Ruth Denham mit der Königin von Saba nichts zu Tage.
Flemming reist ab. Lynde begleitet die Damen allein nach Chamouny. Unter¬
wegs versucht er sich Ruth zu erklären, sie weicht aus. Sie verbietet ihm ein
zweites Mal geradezu, seine Liebeserklärung zu beendigen, als Lynde sie. allein
die Tante hat glücklicherweise Kopfschmerzen — nach Montanvert begleitet.
Wir können uns gar keinen Grund dieses Verbotes denken, da sie ihn offenbar
auch liebt. Wenn sie wüßte, daß sie früher einmal wahnsinnig gewesen, wäre
die Zurückhaltung erklärlich. Aber sie hat keine Ahnung davon — ihr Wahn¬
sinn war die rasch beseitigte Folge eines Nervenfiebers. Ruth erkältet sich
fürchterlich auf dem Rückweg von Montanvert nach Chamonny und legt sich
an einer Lungenentzündung. In erster Linie fürchten wir natürlich unter be-
wandten Umständen für ihren Verstand, aber diese Befürchtung ist unbegründet.
In der entscheidenden Krisis verlangt sie nach Lynde und wir erfahren durch
Dritte, daß sein Erscheinen das Rezept zu ihrer Genesung war. Ohne daß
auch nur eine entscheidende Aussprache zwischen den Liebesleuten stattfindet,
kutschiren sie, vermuthlich als Eheleute, im letzten Kapitel von Chamouny
nach Genf.

Verglichen mit dem ersten Roman Aldrichs, bezeichnet seine Königin von
Saba, trotz des vorzüglichen Eingangs, einen wesentlichen Rückschritt. In


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/351>, abgerufen am 24.08.2024.