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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Wurde jeder Zweifel ein der herrschenden Lehre als vom Satan ausgehend
hingestellt, umsonst die Ketzerei der Albigenser und Wcildenser durch ein Blut¬
bad zu ersticken gesucht. Wem: auch viele die Zweifel als Eingebungen des
Satans in sich zu unterdrücken trachteten, wenn auch Mouche durch Aderlässe,
Geißelungen und dergl. dein Uebel zu steuern trachteten, der Fortschritt der
Wissenschaften und Philosophie und deren Verbreitung !war nicht zu hemmen,
und rüttelte unablässig an dem mit immer größerer Starrheit ansteche erhaltenen
Gebäude der Kirche. Papst Innocenz III- richtete zu Anfang des 13. Jahr¬
hunderts die Inquisitor ein, und das Priesterthum predigte aller Orten über
die furchtbare Gewalt des Teufels, und erfüllte das Volk durch seine War¬
nungen, Geißelungen und Verdammungen mit großer Angst vor dessen Gegenwart
und Macht. So haben wir hier zunächst eine Wirkung der Reaktion gegen
die erwachende Selbstthätigkeit der Vernunft. Die Hinrichtungen der Inquisition
verstärkten noch den Eindruck, und nach und nach richtete sich die Phantasie
des Volks mit großer Energie auf diese Seite, und exaltirte und gemüthskranke
Personen kamen dadurch leicht zu der Einbildung, sie hätten eine Gemeinschaft
Mit dem Teufel. Das Elend, welches die vielen bürgerlichen und anderen
Kriege, sowie manche staatliche Einrichtungen über viele Menschen brachte, und
manchen bis zur Verzweiflung trieb, steigerte die Empfänglichkeit für solche
Lehren und steigerte das Verlangen, sich Hülfe zu schaffen, sei es auch durch
den Beistand des Teufels. Die Inquisitoren haben konstatirt, daß die besessenen
Frauen meistens ein Leben hinter sich hatten, welches durch irgend einen ge¬
waltigen Kummer getrübt war. Zu all dem Unglück kam nun im 14. Jahr¬
hundert noch die furchtbare Pest, der schwarze Tod, ein Ereigniß, welches die
damalige Welt bis auf den Grund erschütterte. Man schätzt, daß sie in ihrer
sechsjährigen Dauer fast den vierten Theil der Bevölkerung Europas dahin
prasst habe. Manche Städte verloren die Hälfte ihrer Bewohner, ganze Fa¬
milien starben aus. Wir haben gesehen, daß schon früher alle furchtbaren
Erscheinungen dem Teufel zugeschrieben wurden, jetzt entsetzte man sich, daß
die Beschwörungen der Kirche, daß ihr Zcmberapparat von Weihwasser und
Reliquien über diese Ereignisse gar nichts vermochten. Dies furchtbare Sterben
wurde nun erst recht als ein Werk des Satans oder als die Strafe Gottes
fUr die Hingabe an ihn betrachtet, die vorzüglich in der Ketzerei, Hexerei und
""deren Gottlosigkeiteu gesehen wurde. Zu deu letzteren wurden dann freilich
die lächerlichsten Dinge gerechnet, z. B. die Erfindung der Schnabelschnhe,
welche deu Allmächtigen über die Maaßen geärgert haben sollte. Bußprediger
und Geißelbrüder (Flagellanten) durchzogen alle Lande. Die Hexenprozesse
nahmen unermeßlich zu, besonders als auch uoch die Krankheit des Se. Veits¬
tanzes auftrat, welche wahrscheinlich eine Folge der allgemeinen nervösen Auf-


Wurde jeder Zweifel ein der herrschenden Lehre als vom Satan ausgehend
hingestellt, umsonst die Ketzerei der Albigenser und Wcildenser durch ein Blut¬
bad zu ersticken gesucht. Wem: auch viele die Zweifel als Eingebungen des
Satans in sich zu unterdrücken trachteten, wenn auch Mouche durch Aderlässe,
Geißelungen und dergl. dein Uebel zu steuern trachteten, der Fortschritt der
Wissenschaften und Philosophie und deren Verbreitung !war nicht zu hemmen,
und rüttelte unablässig an dem mit immer größerer Starrheit ansteche erhaltenen
Gebäude der Kirche. Papst Innocenz III- richtete zu Anfang des 13. Jahr¬
hunderts die Inquisitor ein, und das Priesterthum predigte aller Orten über
die furchtbare Gewalt des Teufels, und erfüllte das Volk durch seine War¬
nungen, Geißelungen und Verdammungen mit großer Angst vor dessen Gegenwart
und Macht. So haben wir hier zunächst eine Wirkung der Reaktion gegen
die erwachende Selbstthätigkeit der Vernunft. Die Hinrichtungen der Inquisition
verstärkten noch den Eindruck, und nach und nach richtete sich die Phantasie
des Volks mit großer Energie auf diese Seite, und exaltirte und gemüthskranke
Personen kamen dadurch leicht zu der Einbildung, sie hätten eine Gemeinschaft
Mit dem Teufel. Das Elend, welches die vielen bürgerlichen und anderen
Kriege, sowie manche staatliche Einrichtungen über viele Menschen brachte, und
manchen bis zur Verzweiflung trieb, steigerte die Empfänglichkeit für solche
Lehren und steigerte das Verlangen, sich Hülfe zu schaffen, sei es auch durch
den Beistand des Teufels. Die Inquisitoren haben konstatirt, daß die besessenen
Frauen meistens ein Leben hinter sich hatten, welches durch irgend einen ge¬
waltigen Kummer getrübt war. Zu all dem Unglück kam nun im 14. Jahr¬
hundert noch die furchtbare Pest, der schwarze Tod, ein Ereigniß, welches die
damalige Welt bis auf den Grund erschütterte. Man schätzt, daß sie in ihrer
sechsjährigen Dauer fast den vierten Theil der Bevölkerung Europas dahin
prasst habe. Manche Städte verloren die Hälfte ihrer Bewohner, ganze Fa¬
milien starben aus. Wir haben gesehen, daß schon früher alle furchtbaren
Erscheinungen dem Teufel zugeschrieben wurden, jetzt entsetzte man sich, daß
die Beschwörungen der Kirche, daß ihr Zcmberapparat von Weihwasser und
Reliquien über diese Ereignisse gar nichts vermochten. Dies furchtbare Sterben
wurde nun erst recht als ein Werk des Satans oder als die Strafe Gottes
fUr die Hingabe an ihn betrachtet, die vorzüglich in der Ketzerei, Hexerei und
»»deren Gottlosigkeiteu gesehen wurde. Zu deu letzteren wurden dann freilich
die lächerlichsten Dinge gerechnet, z. B. die Erfindung der Schnabelschnhe,
welche deu Allmächtigen über die Maaßen geärgert haben sollte. Bußprediger
und Geißelbrüder (Flagellanten) durchzogen alle Lande. Die Hexenprozesse
nahmen unermeßlich zu, besonders als auch uoch die Krankheit des Se. Veits¬
tanzes auftrat, welche wahrscheinlich eine Folge der allgemeinen nervösen Auf-


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[0291] Wurde jeder Zweifel ein der herrschenden Lehre als vom Satan ausgehend hingestellt, umsonst die Ketzerei der Albigenser und Wcildenser durch ein Blut¬ bad zu ersticken gesucht. Wem: auch viele die Zweifel als Eingebungen des Satans in sich zu unterdrücken trachteten, wenn auch Mouche durch Aderlässe, Geißelungen und dergl. dein Uebel zu steuern trachteten, der Fortschritt der Wissenschaften und Philosophie und deren Verbreitung !war nicht zu hemmen, und rüttelte unablässig an dem mit immer größerer Starrheit ansteche erhaltenen Gebäude der Kirche. Papst Innocenz III- richtete zu Anfang des 13. Jahr¬ hunderts die Inquisitor ein, und das Priesterthum predigte aller Orten über die furchtbare Gewalt des Teufels, und erfüllte das Volk durch seine War¬ nungen, Geißelungen und Verdammungen mit großer Angst vor dessen Gegenwart und Macht. So haben wir hier zunächst eine Wirkung der Reaktion gegen die erwachende Selbstthätigkeit der Vernunft. Die Hinrichtungen der Inquisition verstärkten noch den Eindruck, und nach und nach richtete sich die Phantasie des Volks mit großer Energie auf diese Seite, und exaltirte und gemüthskranke Personen kamen dadurch leicht zu der Einbildung, sie hätten eine Gemeinschaft Mit dem Teufel. Das Elend, welches die vielen bürgerlichen und anderen Kriege, sowie manche staatliche Einrichtungen über viele Menschen brachte, und manchen bis zur Verzweiflung trieb, steigerte die Empfänglichkeit für solche Lehren und steigerte das Verlangen, sich Hülfe zu schaffen, sei es auch durch den Beistand des Teufels. Die Inquisitoren haben konstatirt, daß die besessenen Frauen meistens ein Leben hinter sich hatten, welches durch irgend einen ge¬ waltigen Kummer getrübt war. Zu all dem Unglück kam nun im 14. Jahr¬ hundert noch die furchtbare Pest, der schwarze Tod, ein Ereigniß, welches die damalige Welt bis auf den Grund erschütterte. Man schätzt, daß sie in ihrer sechsjährigen Dauer fast den vierten Theil der Bevölkerung Europas dahin prasst habe. Manche Städte verloren die Hälfte ihrer Bewohner, ganze Fa¬ milien starben aus. Wir haben gesehen, daß schon früher alle furchtbaren Erscheinungen dem Teufel zugeschrieben wurden, jetzt entsetzte man sich, daß die Beschwörungen der Kirche, daß ihr Zcmberapparat von Weihwasser und Reliquien über diese Ereignisse gar nichts vermochten. Dies furchtbare Sterben wurde nun erst recht als ein Werk des Satans oder als die Strafe Gottes fUr die Hingabe an ihn betrachtet, die vorzüglich in der Ketzerei, Hexerei und »»deren Gottlosigkeiteu gesehen wurde. Zu deu letzteren wurden dann freilich die lächerlichsten Dinge gerechnet, z. B. die Erfindung der Schnabelschnhe, welche deu Allmächtigen über die Maaßen geärgert haben sollte. Bußprediger und Geißelbrüder (Flagellanten) durchzogen alle Lande. Die Hexenprozesse nahmen unermeßlich zu, besonders als auch uoch die Krankheit des Se. Veits¬ tanzes auftrat, welche wahrscheinlich eine Folge der allgemeinen nervösen Auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/291>, abgerufen am 19.10.2024.