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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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und verachtet wurde. Die Olircmiquö Mlunl^lLuse jener Zeit Hut übrigens die
Ursachen verzeichnet, welche Nikolaus I. bewogen haben, den als "W>..la,-
totMdmK" (ein Ausdruck, der unübersetzbar ist, aber so viel wie käufliche
Seele bedeutet) bekannten und berüchtigten Kleiumichel, in seiner Nähe zu
halten und ihm sein Wohlwollen zu bezeugen.

Niemand litt darunter mehr als der Generalpostdireetor, dessen Pferde
und Wagen auf den schlechten Wegen vernichtet wurden. Graf Kleinmichel
ließ jedoch die Wege nicht repariren, sondern steckte das hierzu bestimmte Geld
in die eigene Tasche. Trotzdem sah man auf dem Gesichte des Grafen Adler-
berg nie ein Zeichen der Unzufriedenheit; er war stets mit seinem Collegen
zufrieden, beschwerte sich nie über ihn, trotzdem dieser den Kaiser abhielt, wäh¬
rend zwanzig Jahren Eisenbahnen zu bauen, und als er den Bau der Bahn
von Petersburg uach Moskau, der theuersten Bahn auf der Welt, nicht hinter¬
treiben konnte, ebeu so viel an ihr zu verdienen wußte, als sie thatsächlich
kostete. Hin und wieder baute Kleinmichel sogenannte Chausseen, d. h. er ließ
einen neuen Weg mit Kies befahren; doch auch diese Wege waren nur ans
strategischen Rücksichten angelegt. "Wir bauen für Schuster, Schneider und
Krämer keine kaiserlichen Wege," sagte der Minister der öffentlichen Bauten
sehr häufig öffentlich und deshalb vermieden auch diese neuen Wege geflissentlich
alle Städte. Aber auch diese Wege wurden nie beendet, und wenn es sich
doch ausnahmsweise ereignete, so kosteten sie Millionen. Trotzdem machten
die Bauunternehmer immer die schlechtesten Geschäfte, denn Kleiumichel ver¬
stand es nur für sich zu rechnen.

I." roi est. mort, vivo it; roi! Nikolaus I. starb, ob aus Unmuth wegen
des Mißlingens des Krieges von 1854 oder an Gift, ist bis jetzt noch nicht
entschieden: er hatte den Bankrott seines Systems gesehen. Alexander II. ver¬
kündete bei seiner Thronbesteigung eine neue Aera. Die Welt war alt geworden
und sollte durch großartige Reformen verjüngt werden. Graf Adlerberg war
jung geblieben und sah wie ein Lientennnt aus. Das schwarze Haar, der
Bart, die ebenmäßige Taille schienen der Zeit getrotzt zu haben; aber anch der
Geist des Grafen war von der Zeit nicht berührt worden; er stand da, wo er
als Gespiele der beiden Großfürsten gestanden. Der Graf erstattete alle Tage
dem Kaiser seinen unmittelbaren Rapport, besuchte hierauf die von den ver-
schiedenen Mitgliedern der kaiserlichen Familie besuchten Paläste, trank Nach¬
mittag bei Mina Jwanvwua Kaffee, schmückte Abends dnrch seine Anwesenheit
das Theater, kehrte dann in den kaiserlichen Palast zurück, um rin seinem
kaiserlichen Gönner Thee zu trinken und Whist-?rMnmcu zu spielen. Der
erprobte Patriot blieb ebenso in der Gunst des liberalen Sohnes, wie er in
der Gnade des hvchevnservativen Vaters gestanden, der ihn testamentarisch


und verachtet wurde. Die Olircmiquö Mlunl^lLuse jener Zeit Hut übrigens die
Ursachen verzeichnet, welche Nikolaus I. bewogen haben, den als „W>..la,-
totMdmK" (ein Ausdruck, der unübersetzbar ist, aber so viel wie käufliche
Seele bedeutet) bekannten und berüchtigten Kleiumichel, in seiner Nähe zu
halten und ihm sein Wohlwollen zu bezeugen.

Niemand litt darunter mehr als der Generalpostdireetor, dessen Pferde
und Wagen auf den schlechten Wegen vernichtet wurden. Graf Kleinmichel
ließ jedoch die Wege nicht repariren, sondern steckte das hierzu bestimmte Geld
in die eigene Tasche. Trotzdem sah man auf dem Gesichte des Grafen Adler-
berg nie ein Zeichen der Unzufriedenheit; er war stets mit seinem Collegen
zufrieden, beschwerte sich nie über ihn, trotzdem dieser den Kaiser abhielt, wäh¬
rend zwanzig Jahren Eisenbahnen zu bauen, und als er den Bau der Bahn
von Petersburg uach Moskau, der theuersten Bahn auf der Welt, nicht hinter¬
treiben konnte, ebeu so viel an ihr zu verdienen wußte, als sie thatsächlich
kostete. Hin und wieder baute Kleinmichel sogenannte Chausseen, d. h. er ließ
einen neuen Weg mit Kies befahren; doch auch diese Wege waren nur ans
strategischen Rücksichten angelegt. „Wir bauen für Schuster, Schneider und
Krämer keine kaiserlichen Wege," sagte der Minister der öffentlichen Bauten
sehr häufig öffentlich und deshalb vermieden auch diese neuen Wege geflissentlich
alle Städte. Aber auch diese Wege wurden nie beendet, und wenn es sich
doch ausnahmsweise ereignete, so kosteten sie Millionen. Trotzdem machten
die Bauunternehmer immer die schlechtesten Geschäfte, denn Kleiumichel ver¬
stand es nur für sich zu rechnen.

I.« roi est. mort, vivo it; roi! Nikolaus I. starb, ob aus Unmuth wegen
des Mißlingens des Krieges von 1854 oder an Gift, ist bis jetzt noch nicht
entschieden: er hatte den Bankrott seines Systems gesehen. Alexander II. ver¬
kündete bei seiner Thronbesteigung eine neue Aera. Die Welt war alt geworden
und sollte durch großartige Reformen verjüngt werden. Graf Adlerberg war
jung geblieben und sah wie ein Lientennnt aus. Das schwarze Haar, der
Bart, die ebenmäßige Taille schienen der Zeit getrotzt zu haben; aber anch der
Geist des Grafen war von der Zeit nicht berührt worden; er stand da, wo er
als Gespiele der beiden Großfürsten gestanden. Der Graf erstattete alle Tage
dem Kaiser seinen unmittelbaren Rapport, besuchte hierauf die von den ver-
schiedenen Mitgliedern der kaiserlichen Familie besuchten Paläste, trank Nach¬
mittag bei Mina Jwanvwua Kaffee, schmückte Abends dnrch seine Anwesenheit
das Theater, kehrte dann in den kaiserlichen Palast zurück, um rin seinem
kaiserlichen Gönner Thee zu trinken und Whist-?rMnmcu zu spielen. Der
erprobte Patriot blieb ebenso in der Gunst des liberalen Sohnes, wie er in
der Gnade des hvchevnservativen Vaters gestanden, der ihn testamentarisch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/28>, abgerufen am 26.06.2024.