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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Leben der Welt als fertiger, für seinen Beruf völlig ausgerüsteter Beamter,
Arzt, Lehrer u. s. w. eintritt. Vielmehr hat die Universität die Aufgabe, die
Erziehung des Geistes zur Urtheilsfähigkeit, wie sie im Gymnasium begonnen
wurde, in bestimmter Richtung und mit besonderer Berücksichtigung des von
dem Lernenden gewählten Berufs fortzuführen. Zur Erfüllung dieses Zweckes
A aber das, was man etwas spöttelnd Kathederweisheit genannt, nicht das
einzige Mittel: und der, welcher ans dem Katheder thront, hat sich daran zu
erinnern, daß es außer dem Katheder noch andere geistige Brennpunkte in dem
Leben der Welt giebt, welche er die Pflicht hat, bei dem Unterricht zu berück¬
sichtigen. So ist es für uns nothwendig, aber auch heute nicht mehr allzu¬
schwer, daß wir unsere Arbeit, welche uns dnrch Arbeitstheilung überkommen
ist, zwar für uns, aber doch auch in lebendiger Verbindung mit anderen, uns
verwandten Arbeitskreisen verrichten.

Aber -- so kann man mir hier einwerfen - wäre es nicht besser, für
das verschlungene Getriebe des heutigen und künftigen öffentlichen Lebens die
Lehranfgaben möglichst eng zu fassen, damit der einzelne Lernende wenigstens
fiir eine einzelne, beschränkte Aufgabe streng geschult und von vornherein
leistungsfähig eintreten kann? Man vergleicht so oft das Leben eines Volks,
eines Staats mit dem Getriebe einer kunstvollen Maschine. Weshalb sollte
sich der Universitätsunterricht nicht damit begnügen, daß er passende Rädchen
forme, welche an richtiger Stelle frisch eingesetzt, ihre Arbeit wie die alten ver¬
rauchten Rädchen weiter verrichten? Eine solche Beschränkung der Aufgabe
^ der grundliegende Gedanke für diejenigen, welche die Einheit der Univer¬
sität in eine Mehrheit von Fachschulen fertigen 'vollen. Nun, diesen Feinden
der Universitäten kann man einfach erwidern: weder Staat noch Wissenschaft
sind Maschinen, beide sind lebendige Wesen, beide beruhen auf lebendiger Kraft
und beide erzengen lebendige Kraft. Unnütz ist es, in das Getriebe des Staats-
"ut Volkslebens rein mechanische Gebilde einsetzen zu wollen, und die Wissen¬
schaft ist unfähig, sie zu formen. Der Gedanke, das Urtheil, die geistige Arbeit
^ das sind die lebendigen Kräfte, deren das Staatsgetriebe bedarf, und das
sind die Kräfte, an deren Bildung die Universitäten mitzuwirken berufen sind.
S° ist es heute, und so hoffen wir, wird es in Zukunft bleiben. Will man
fortschreitender Theilung der Lehrarbeit die Aufgaben erniedrigen und daun
°uf vereinzelte Fachschulen vertheilen, so gehören hierzu Bedingungen, welche
"ut dem gesunden Leben eines Volks unvereinbar sind und welche hoffentlich
unserem Volk erspart bleiben, dem Volk, das sich rühmen darf, das Leben der
Universitäten so kräftig und segensreich entwickelt zu haben, wie kein anderes.

Nun darf ich mich noch mit einem besonderen Wort an unsere jüngeren,
lernenden Commilitonen wenden. Auch sie haben mitzukämpfen gegen eine


Grenzbote" IV. 1877.

Leben der Welt als fertiger, für seinen Beruf völlig ausgerüsteter Beamter,
Arzt, Lehrer u. s. w. eintritt. Vielmehr hat die Universität die Aufgabe, die
Erziehung des Geistes zur Urtheilsfähigkeit, wie sie im Gymnasium begonnen
wurde, in bestimmter Richtung und mit besonderer Berücksichtigung des von
dem Lernenden gewählten Berufs fortzuführen. Zur Erfüllung dieses Zweckes
A aber das, was man etwas spöttelnd Kathederweisheit genannt, nicht das
einzige Mittel: und der, welcher ans dem Katheder thront, hat sich daran zu
erinnern, daß es außer dem Katheder noch andere geistige Brennpunkte in dem
Leben der Welt giebt, welche er die Pflicht hat, bei dem Unterricht zu berück¬
sichtigen. So ist es für uns nothwendig, aber auch heute nicht mehr allzu¬
schwer, daß wir unsere Arbeit, welche uns dnrch Arbeitstheilung überkommen
ist, zwar für uns, aber doch auch in lebendiger Verbindung mit anderen, uns
verwandten Arbeitskreisen verrichten.

Aber — so kann man mir hier einwerfen - wäre es nicht besser, für
das verschlungene Getriebe des heutigen und künftigen öffentlichen Lebens die
Lehranfgaben möglichst eng zu fassen, damit der einzelne Lernende wenigstens
fiir eine einzelne, beschränkte Aufgabe streng geschult und von vornherein
leistungsfähig eintreten kann? Man vergleicht so oft das Leben eines Volks,
eines Staats mit dem Getriebe einer kunstvollen Maschine. Weshalb sollte
sich der Universitätsunterricht nicht damit begnügen, daß er passende Rädchen
forme, welche an richtiger Stelle frisch eingesetzt, ihre Arbeit wie die alten ver¬
rauchten Rädchen weiter verrichten? Eine solche Beschränkung der Aufgabe
^ der grundliegende Gedanke für diejenigen, welche die Einheit der Univer¬
sität in eine Mehrheit von Fachschulen fertigen 'vollen. Nun, diesen Feinden
der Universitäten kann man einfach erwidern: weder Staat noch Wissenschaft
sind Maschinen, beide sind lebendige Wesen, beide beruhen auf lebendiger Kraft
und beide erzengen lebendige Kraft. Unnütz ist es, in das Getriebe des Staats-
"ut Volkslebens rein mechanische Gebilde einsetzen zu wollen, und die Wissen¬
schaft ist unfähig, sie zu formen. Der Gedanke, das Urtheil, die geistige Arbeit
^ das sind die lebendigen Kräfte, deren das Staatsgetriebe bedarf, und das
sind die Kräfte, an deren Bildung die Universitäten mitzuwirken berufen sind.
S° ist es heute, und so hoffen wir, wird es in Zukunft bleiben. Will man
fortschreitender Theilung der Lehrarbeit die Aufgaben erniedrigen und daun
°uf vereinzelte Fachschulen vertheilen, so gehören hierzu Bedingungen, welche
"ut dem gesunden Leben eines Volks unvereinbar sind und welche hoffentlich
unserem Volk erspart bleiben, dem Volk, das sich rühmen darf, das Leben der
Universitäten so kräftig und segensreich entwickelt zu haben, wie kein anderes.

Nun darf ich mich noch mit einem besonderen Wort an unsere jüngeren,
lernenden Commilitonen wenden. Auch sie haben mitzukämpfen gegen eine


Grenzbote» IV. 1877.
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[0229] Leben der Welt als fertiger, für seinen Beruf völlig ausgerüsteter Beamter, Arzt, Lehrer u. s. w. eintritt. Vielmehr hat die Universität die Aufgabe, die Erziehung des Geistes zur Urtheilsfähigkeit, wie sie im Gymnasium begonnen wurde, in bestimmter Richtung und mit besonderer Berücksichtigung des von dem Lernenden gewählten Berufs fortzuführen. Zur Erfüllung dieses Zweckes A aber das, was man etwas spöttelnd Kathederweisheit genannt, nicht das einzige Mittel: und der, welcher ans dem Katheder thront, hat sich daran zu erinnern, daß es außer dem Katheder noch andere geistige Brennpunkte in dem Leben der Welt giebt, welche er die Pflicht hat, bei dem Unterricht zu berück¬ sichtigen. So ist es für uns nothwendig, aber auch heute nicht mehr allzu¬ schwer, daß wir unsere Arbeit, welche uns dnrch Arbeitstheilung überkommen ist, zwar für uns, aber doch auch in lebendiger Verbindung mit anderen, uns verwandten Arbeitskreisen verrichten. Aber — so kann man mir hier einwerfen - wäre es nicht besser, für das verschlungene Getriebe des heutigen und künftigen öffentlichen Lebens die Lehranfgaben möglichst eng zu fassen, damit der einzelne Lernende wenigstens fiir eine einzelne, beschränkte Aufgabe streng geschult und von vornherein leistungsfähig eintreten kann? Man vergleicht so oft das Leben eines Volks, eines Staats mit dem Getriebe einer kunstvollen Maschine. Weshalb sollte sich der Universitätsunterricht nicht damit begnügen, daß er passende Rädchen forme, welche an richtiger Stelle frisch eingesetzt, ihre Arbeit wie die alten ver¬ rauchten Rädchen weiter verrichten? Eine solche Beschränkung der Aufgabe ^ der grundliegende Gedanke für diejenigen, welche die Einheit der Univer¬ sität in eine Mehrheit von Fachschulen fertigen 'vollen. Nun, diesen Feinden der Universitäten kann man einfach erwidern: weder Staat noch Wissenschaft sind Maschinen, beide sind lebendige Wesen, beide beruhen auf lebendiger Kraft und beide erzengen lebendige Kraft. Unnütz ist es, in das Getriebe des Staats- "ut Volkslebens rein mechanische Gebilde einsetzen zu wollen, und die Wissen¬ schaft ist unfähig, sie zu formen. Der Gedanke, das Urtheil, die geistige Arbeit ^ das sind die lebendigen Kräfte, deren das Staatsgetriebe bedarf, und das sind die Kräfte, an deren Bildung die Universitäten mitzuwirken berufen sind. S° ist es heute, und so hoffen wir, wird es in Zukunft bleiben. Will man fortschreitender Theilung der Lehrarbeit die Aufgaben erniedrigen und daun °uf vereinzelte Fachschulen vertheilen, so gehören hierzu Bedingungen, welche "ut dem gesunden Leben eines Volks unvereinbar sind und welche hoffentlich unserem Volk erspart bleiben, dem Volk, das sich rühmen darf, das Leben der Universitäten so kräftig und segensreich entwickelt zu haben, wie kein anderes. Nun darf ich mich noch mit einem besonderen Wort an unsere jüngeren, lernenden Commilitonen wenden. Auch sie haben mitzukämpfen gegen eine Grenzbote» IV. 1877.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/229>, abgerufen am 02.10.2024.