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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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i-Djedid d. h. neue Ordnung zu schaffen versuchte. Gerade diese Neuerung
war es aber, welche die Janitscharen in Verbindung mit der Hefe des Volkes
und im Einvernehmen mit den Ulemas zu blutiger Empörung trieb. Selim
wurde zum Märtyrer seiner Sache. Nur ein Jahr überlebte er als Harem¬
gefangener feinen Sturz. Als sich die Anhänger Selims zu seiner Befreiung
anschickten, wurde er auf Befehl seines Vetters und Nachfolgers Mustapha IV.
ermordet. Jedoch die Sühne blieb nicht aus, denn auch diesen ereilte bald
dasselbe Schicksal. Sein jüngerer Bruder und Nachfolger Mahmud II.
(1808--39) konnte nnr dadurch seinen Thron, ja vielleicht sein Leben retten,
daß er alle Rechte und Privilegien der Janitscharen feierlich bestätigte.

Unter so trüben Auspicien begann die Regierung eines Sultans, dessen
eisernes Bestreben es war, der Reformator seines Volkes zu sein und der es
sich namentlich auch zum Ziel gesetzt hatte, die von Selim III. beabsichtigte
Reorganisation des Heeres durchzusetzen. Durch Erfahrung belehrt, ging er
jedoch mit mehr Vorsicht zu Werke. Die Vorsehung kam ihm dabei zu
Hülfe. Kriege und Aufstände in rascher Folge bezeichnen die Regierungszeit
Mahmud II. und überall, namentlich gegen die Russen und Serben,' fechten die
Janitscharen unglücklich. Als im Jahre 1821 der griechische Befreiungskampf
begann, waren sie nicht im Stande den Aufstand zu unterdrücken, unterlagen
vielmehr schmachvoll in drei Feldzügen. Es blieb dem Sultan kein anderes
Mittel übrig, als die Macht des Paschas von Aegypten Mehmet Ali, der seine
Armee auf europäischem Fuß reorganisirt hatte, zu Lande und zu Wasser gegen
die Griechen zu entbieten. Mehmet Ali nahm sich mit Wärme der Interessen
!eines Oberherren an und es unterliegt keinem Zweifel, daß ihm die Unter¬
drückung des Aufstandes gelungen sein würde, hätten sich nicht die europäischen
Mächte des geknechteten Volkes angenommen. Alle diese Umstände trugen dazu
bei, das Ansehen der Janitscharen beim Volke immer mehr zu untergraben,
und, wie das Beispiel der ägyptischen Truppen gezeigt, die Vorzüge europäischer
Schulung in's Licht zu stellen.

Der Sultan hatte bei allem Kriegsnnglück sein Ziel nie aus dem Auge
verloren und für die einflußreichsten Aemter Persönlichkeiten ausfindig gemacht,
welche nicht nur auf seine Pläne eingingen, sondern auch mit ihm deren Folgen
on tragen bereit waren. Schon vor Jahren war einer der ärgsten Unruhstifter
der Janitscharen, Hussein, ein Mann von athletischer Körperkraft und wilder
Tapferkeit, heimlich von Mahmud gewonnen und trotz völligen Mangels an
wissenschaftlicher Bildung, unter dem Jubelruf seiner Raufgefährten, zum Aga
^r Janitscharen erhoben worden. Kaum in dieser hohen Stellung, hob er
iedoch alle Gemeinschaft mit seinen früheren Kampfgenossen auf, ließ es sich
vielmehr angelegen sein, die sämmtlichen höheren Officierchargen, namentlich


Grenzboten IV. 1377. 26

i-Djedid d. h. neue Ordnung zu schaffen versuchte. Gerade diese Neuerung
war es aber, welche die Janitscharen in Verbindung mit der Hefe des Volkes
und im Einvernehmen mit den Ulemas zu blutiger Empörung trieb. Selim
wurde zum Märtyrer seiner Sache. Nur ein Jahr überlebte er als Harem¬
gefangener feinen Sturz. Als sich die Anhänger Selims zu seiner Befreiung
anschickten, wurde er auf Befehl seines Vetters und Nachfolgers Mustapha IV.
ermordet. Jedoch die Sühne blieb nicht aus, denn auch diesen ereilte bald
dasselbe Schicksal. Sein jüngerer Bruder und Nachfolger Mahmud II.
(1808—39) konnte nnr dadurch seinen Thron, ja vielleicht sein Leben retten,
daß er alle Rechte und Privilegien der Janitscharen feierlich bestätigte.

Unter so trüben Auspicien begann die Regierung eines Sultans, dessen
eisernes Bestreben es war, der Reformator seines Volkes zu sein und der es
sich namentlich auch zum Ziel gesetzt hatte, die von Selim III. beabsichtigte
Reorganisation des Heeres durchzusetzen. Durch Erfahrung belehrt, ging er
jedoch mit mehr Vorsicht zu Werke. Die Vorsehung kam ihm dabei zu
Hülfe. Kriege und Aufstände in rascher Folge bezeichnen die Regierungszeit
Mahmud II. und überall, namentlich gegen die Russen und Serben,' fechten die
Janitscharen unglücklich. Als im Jahre 1821 der griechische Befreiungskampf
begann, waren sie nicht im Stande den Aufstand zu unterdrücken, unterlagen
vielmehr schmachvoll in drei Feldzügen. Es blieb dem Sultan kein anderes
Mittel übrig, als die Macht des Paschas von Aegypten Mehmet Ali, der seine
Armee auf europäischem Fuß reorganisirt hatte, zu Lande und zu Wasser gegen
die Griechen zu entbieten. Mehmet Ali nahm sich mit Wärme der Interessen
!eines Oberherren an und es unterliegt keinem Zweifel, daß ihm die Unter¬
drückung des Aufstandes gelungen sein würde, hätten sich nicht die europäischen
Mächte des geknechteten Volkes angenommen. Alle diese Umstände trugen dazu
bei, das Ansehen der Janitscharen beim Volke immer mehr zu untergraben,
und, wie das Beispiel der ägyptischen Truppen gezeigt, die Vorzüge europäischer
Schulung in's Licht zu stellen.

Der Sultan hatte bei allem Kriegsnnglück sein Ziel nie aus dem Auge
verloren und für die einflußreichsten Aemter Persönlichkeiten ausfindig gemacht,
welche nicht nur auf seine Pläne eingingen, sondern auch mit ihm deren Folgen
on tragen bereit waren. Schon vor Jahren war einer der ärgsten Unruhstifter
der Janitscharen, Hussein, ein Mann von athletischer Körperkraft und wilder
Tapferkeit, heimlich von Mahmud gewonnen und trotz völligen Mangels an
wissenschaftlicher Bildung, unter dem Jubelruf seiner Raufgefährten, zum Aga
^r Janitscharen erhoben worden. Kaum in dieser hohen Stellung, hob er
iedoch alle Gemeinschaft mit seinen früheren Kampfgenossen auf, ließ es sich
vielmehr angelegen sein, die sämmtlichen höheren Officierchargen, namentlich


Grenzboten IV. 1377. 26
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/197>, abgerufen am 24.08.2024.