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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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spräche, auch der letzte Rest jenes kriegerischen Geistes ans ihren Reihen, der
sie einst zum Schrecken ihrer Feinde gemacht hatte.

Gleichwohl blieb es immer noch eine Ehrensache, Janitschar zu sein, zumal
da schon seit Suleiman des Großen Zeit der Sultan selbst als solcher in ihren
Registern verzeichnet war. Und was noch mehr war, das Janitscharen-Korps
blieb selbst noch als Ruine, mitten unter dem fortschreitenden Verfall des
Türkenreichs, doch noch eine Macht, eine Macht furchtbarer Art, die mehr als
einmal den osmanischen Thron in seinen Grundfesten wanken machte.

Nachdem wir einzelne der wesentlichsten äußeren Ursachen des Verfalls
der Janitscharen angegeben haben, würde es zu weit führen, diesen Verfall bis
zum endlichen Untergange Schritt vor Schritt zu verfolgen. Es ist dies eine
Geschichte von Empörung, Blut und Mord. Begnügen wir uns mit einigen
historischen Notizen.

Nach der Abdankung Murad II. im Jahre 1440, also etwa 100 Jahre
nach Errichtung der Janitscharen, gaben diese zum ersten Male in höchst ge¬
fährlicher Weise ihrem Mißvergnügen Ausdruck, indem sie gegen den Nach¬
folger Muhcuned II. die Waffen erhoben und an mehreren Orten Konstanti¬
nopels Feuer anlegten. Jedenfalls setzten sie die Rückberufung Murad II-
durch und, wie bei fast allen dergleichen Aufständen, erlangten sie eine Erhöhung
des Soldes. Schon Osman II. ging mit dem Plane um, die Janitscharen zu
vernichten, er mußte jedoch sein Vorhaben mit dem Tode, in Folge eines Auf¬
standes 1623, büßen. Unter seines Nachfolgers Murad IV. kraftvoller Regie¬
rung bis 1640, wurde zum ersten Mal der Versuch gemacht, zu reformiren.
Gelang es auch wirklich, einzelne der schlimmsten Mißbräuche abzuschaffen, so
blieb dies doch immer nur ein geringer Erfolg, denn der alte Geist der Zucht
und des Gehorsames war nicht wieder zu erwecken. Schon sein Nachfolger
Ibrahim ward wiederum in Folge eines Janitscharen-Aufstandes entthront
und ermordet. Seit dieser Zeit mehrten sich die Zeichen des Verfalls von
Jahr zu Jahr. Je mehr die Kriegszucht schwand, desto mehr wuchs der Ueber¬
muth gegen die friedlichen Mitbürger, wohingegen sie den auswärtigen Feinden
gegenüber nicht mehr Stand zu halten vermochten. Eine Provinz nach der
anderen ging verloren und gegen Ende des vorigen Jahrhunderts schien die
Auflösung des türkischen Reiches nahe bevorzustehen.

Da endlich, nachdem vor mehr denn 150 Jahren Murad IV. die ersten
Reformversuche gemacht hatte, bestieg Selim III. den Thron (1789--4807),
mit dem festen Willen diese Versuche wieder aufzunehmen und durchzuführen.
Er unterschätzte jedoch die noch immer gewaltige Macht der Janitscharen, deren
Widerstand doch zunächst gebrochen werden mußte. Als Mittel hierzu sollte
ihm eine europäisch einexerzirte Miliz dienen, die er unter dem Namen NizaM


spräche, auch der letzte Rest jenes kriegerischen Geistes ans ihren Reihen, der
sie einst zum Schrecken ihrer Feinde gemacht hatte.

Gleichwohl blieb es immer noch eine Ehrensache, Janitschar zu sein, zumal
da schon seit Suleiman des Großen Zeit der Sultan selbst als solcher in ihren
Registern verzeichnet war. Und was noch mehr war, das Janitscharen-Korps
blieb selbst noch als Ruine, mitten unter dem fortschreitenden Verfall des
Türkenreichs, doch noch eine Macht, eine Macht furchtbarer Art, die mehr als
einmal den osmanischen Thron in seinen Grundfesten wanken machte.

Nachdem wir einzelne der wesentlichsten äußeren Ursachen des Verfalls
der Janitscharen angegeben haben, würde es zu weit führen, diesen Verfall bis
zum endlichen Untergange Schritt vor Schritt zu verfolgen. Es ist dies eine
Geschichte von Empörung, Blut und Mord. Begnügen wir uns mit einigen
historischen Notizen.

Nach der Abdankung Murad II. im Jahre 1440, also etwa 100 Jahre
nach Errichtung der Janitscharen, gaben diese zum ersten Male in höchst ge¬
fährlicher Weise ihrem Mißvergnügen Ausdruck, indem sie gegen den Nach¬
folger Muhcuned II. die Waffen erhoben und an mehreren Orten Konstanti¬
nopels Feuer anlegten. Jedenfalls setzten sie die Rückberufung Murad II-
durch und, wie bei fast allen dergleichen Aufständen, erlangten sie eine Erhöhung
des Soldes. Schon Osman II. ging mit dem Plane um, die Janitscharen zu
vernichten, er mußte jedoch sein Vorhaben mit dem Tode, in Folge eines Auf¬
standes 1623, büßen. Unter seines Nachfolgers Murad IV. kraftvoller Regie¬
rung bis 1640, wurde zum ersten Mal der Versuch gemacht, zu reformiren.
Gelang es auch wirklich, einzelne der schlimmsten Mißbräuche abzuschaffen, so
blieb dies doch immer nur ein geringer Erfolg, denn der alte Geist der Zucht
und des Gehorsames war nicht wieder zu erwecken. Schon sein Nachfolger
Ibrahim ward wiederum in Folge eines Janitscharen-Aufstandes entthront
und ermordet. Seit dieser Zeit mehrten sich die Zeichen des Verfalls von
Jahr zu Jahr. Je mehr die Kriegszucht schwand, desto mehr wuchs der Ueber¬
muth gegen die friedlichen Mitbürger, wohingegen sie den auswärtigen Feinden
gegenüber nicht mehr Stand zu halten vermochten. Eine Provinz nach der
anderen ging verloren und gegen Ende des vorigen Jahrhunderts schien die
Auflösung des türkischen Reiches nahe bevorzustehen.

Da endlich, nachdem vor mehr denn 150 Jahren Murad IV. die ersten
Reformversuche gemacht hatte, bestieg Selim III. den Thron (1789—4807),
mit dem festen Willen diese Versuche wieder aufzunehmen und durchzuführen.
Er unterschätzte jedoch die noch immer gewaltige Macht der Janitscharen, deren
Widerstand doch zunächst gebrochen werden mußte. Als Mittel hierzu sollte
ihm eine europäisch einexerzirte Miliz dienen, die er unter dem Namen NizaM


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/196>, abgerufen am 24.08.2024.