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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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berg's Erzählung in den Denkwürdigkeiten, will uns glauben machen, daß er
die Nothwendigkeit vertreten an der Politik des 3. Dezember festzuhalten -
das hätte Krieg gegen Napoleon bedeutet; dagegen geht aus den Akten nur
hervor, daß er gegen die einfache Annahme des Haugwitz'schen Vertrages votirte
und daß er Abänderungen desselben für wünschenswerth erklärte. Duncker's
scharfe Kritik seines Verhaltens trifft aber hier sicher das Richtige; er meint,
daß der von Hardenberg gebilligte Mittelweg, die Annahme des Vertrages mit
Modifikationen eine Verschlechterung der preußischen Haltung bedeutete; es war
der Weg, auf dem man allmälig in den Abgrund des Verderbens hinabglitt.
Hardenberg sowohl als Haugwitz wiegten sich in der Illusion, als ob Napoleon
die preußischen Modifikationen, des Schönbrunner Vertrages annehmen würde.
Man muß der irreleitenden Darstellung der Denkwürdigkeiten gegenüber diesen
Sachverhalt ganz bestimmt betonen: anch Hardenberg theilte diese grundlose
Ansicht, die auf einer ganz falschen Darstellung von Napoleon's Charakter be¬
ruhte (Ranke I. 564, vgl. Duncker 630). Haugwitz wurde dann aufs Neue
zu Napoleon geschickt, diese Angelegenheit persönlich noch zu betreiben. In¬
zwischen wurde in Berlin eine sehr zweideutige Depesche des französischen
Ministers Tallayrcmd bekannt, welche man so auslegte, als ob Napoleon sein
EinVerständniß mit den preußischen Wünschen ausgedrückt hätte. Es war wie¬
derum eine ganz grundlose Ansicht, die man in den Kreisen der preußischen
Staatsleitung adoptirte. -- Fraglich ist hierbei nur, ob der Uebermittler der¬
selben der Gesandte Laforest selbst von seinem Minister getäuscht wurde um die
Preußen zu täuschen, oder ob er in geschicktem Spiele die Intentionen desselben
unterstützte. Jedenfalls in Berlin lief man ohne Zandern in die gestellte
Falle hinein; auf diese Nachrichten hin wurde am 24. Januar die Abrüstung
des preußischen Heeres verfügt.

Der Beschluß war verhängnisvoll. Wehrlos stand Preußen jetzt dein
gerüsteten Frankreich gegenüber: jetzt war man gezwungen, die weiteren
Demüthigungen die Napoleon in dem Pariser Traktat vom 15. Februar 1806
Haugwitz diktirte auf sich zu nehmen; man hatte sich selbst in die Unmöglich¬
keit versetzt Widerstand zu leisten. Wenige Wochen nach dem Beschluß des
24. Januar war es Hardenberg schon klar, welchen Fehler man mit demselben
begangen: schon am 24. Februar desselben Jahres äußerte er sich in diesem
Sinne (II 492): "zu seinem Bedauern sei die Demobilisiruug beschlossen worden,
aber er habe seine Ansicht nicht aussprechen können weil er nicht befragt worden
und den Beschluß erst erfahren habe nachdem die Befehle an das Heer schon
ergangen" (vergl. seine übereinstimmende Behauptung 17. März, II. 512). Und
die Denkwürdigkeiten von 1808 führen diesen Satz mit großer Lebhaftigkeit
aus (II 436); sie wissen sogar vou "Gegenvorstellungen" zu berichten, die er


berg's Erzählung in den Denkwürdigkeiten, will uns glauben machen, daß er
die Nothwendigkeit vertreten an der Politik des 3. Dezember festzuhalten -
das hätte Krieg gegen Napoleon bedeutet; dagegen geht aus den Akten nur
hervor, daß er gegen die einfache Annahme des Haugwitz'schen Vertrages votirte
und daß er Abänderungen desselben für wünschenswerth erklärte. Duncker's
scharfe Kritik seines Verhaltens trifft aber hier sicher das Richtige; er meint,
daß der von Hardenberg gebilligte Mittelweg, die Annahme des Vertrages mit
Modifikationen eine Verschlechterung der preußischen Haltung bedeutete; es war
der Weg, auf dem man allmälig in den Abgrund des Verderbens hinabglitt.
Hardenberg sowohl als Haugwitz wiegten sich in der Illusion, als ob Napoleon
die preußischen Modifikationen, des Schönbrunner Vertrages annehmen würde.
Man muß der irreleitenden Darstellung der Denkwürdigkeiten gegenüber diesen
Sachverhalt ganz bestimmt betonen: anch Hardenberg theilte diese grundlose
Ansicht, die auf einer ganz falschen Darstellung von Napoleon's Charakter be¬
ruhte (Ranke I. 564, vgl. Duncker 630). Haugwitz wurde dann aufs Neue
zu Napoleon geschickt, diese Angelegenheit persönlich noch zu betreiben. In¬
zwischen wurde in Berlin eine sehr zweideutige Depesche des französischen
Ministers Tallayrcmd bekannt, welche man so auslegte, als ob Napoleon sein
EinVerständniß mit den preußischen Wünschen ausgedrückt hätte. Es war wie¬
derum eine ganz grundlose Ansicht, die man in den Kreisen der preußischen
Staatsleitung adoptirte. — Fraglich ist hierbei nur, ob der Uebermittler der¬
selben der Gesandte Laforest selbst von seinem Minister getäuscht wurde um die
Preußen zu täuschen, oder ob er in geschicktem Spiele die Intentionen desselben
unterstützte. Jedenfalls in Berlin lief man ohne Zandern in die gestellte
Falle hinein; auf diese Nachrichten hin wurde am 24. Januar die Abrüstung
des preußischen Heeres verfügt.

Der Beschluß war verhängnisvoll. Wehrlos stand Preußen jetzt dein
gerüsteten Frankreich gegenüber: jetzt war man gezwungen, die weiteren
Demüthigungen die Napoleon in dem Pariser Traktat vom 15. Februar 1806
Haugwitz diktirte auf sich zu nehmen; man hatte sich selbst in die Unmöglich¬
keit versetzt Widerstand zu leisten. Wenige Wochen nach dem Beschluß des
24. Januar war es Hardenberg schon klar, welchen Fehler man mit demselben
begangen: schon am 24. Februar desselben Jahres äußerte er sich in diesem
Sinne (II 492): „zu seinem Bedauern sei die Demobilisiruug beschlossen worden,
aber er habe seine Ansicht nicht aussprechen können weil er nicht befragt worden
und den Beschluß erst erfahren habe nachdem die Befehle an das Heer schon
ergangen" (vergl. seine übereinstimmende Behauptung 17. März, II. 512). Und
die Denkwürdigkeiten von 1808 führen diesen Satz mit großer Lebhaftigkeit
aus (II 436); sie wissen sogar vou „Gegenvorstellungen" zu berichten, die er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/18>, abgerufen am 23.07.2024.