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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Verpflichtungen der antifranzösischen Allianz ihren Staat wieder zu befreien
und zur Neutralität zurückzukehren. Wie aber stand der König zu dieser
Frage? Es liegen Andeutungen vor, als ob der König mit Haugwitz eines
Sinnes gewesen; Lombard, Hardenberg und Haugwitz gehen bei ihren Dar¬
stellungen von dieser Annahme aus; die Berichte des französischen Gesandten
Laforest behaupten es; die russische,: und österreichischen Diplomaten berichten
das Gegentheil. Eine klare beweisende Aeußerung des Königes selbst existirt
nicht oder ist nicht bekannt geworden. Keinensalls aber dürfen wir es Harden¬
berg verdenken, wenn er ans der Ueberschau der Ereignisse zu der Annahme
hinneigt, als ob in der That Friedrich Wilhelm III. die hinhaltenden, zögern¬
den und dem Krieg so lange als möglich ausweichenden Schritte von Haugwitz
gebilligt habe. So schwer es wird, dies Urtheil auszusprechen, -- ich sehe
nur eine geringe Möglichkeit, ihm zu entgehen; denn höchstens durfte man an¬
nehmen, daß der König zuerst von dem kriegerischen Aufschwung sich habe fort¬
reißen und ins russische Bündniß hineinziehen lassen, daß er dann aber wieder
bedenklich geworden und Haugwitz' eutgegenstrebendeu Tendenzen sich wieder¬
um angeschlossen habe. Daß Haugwitz nicht ohne das Bewußtsein eines
Rückhaltes in der Gesinnung seines königlichen Herrn gehandelt hat, -- zu
dieser Annahme zwingt meines Erachtens eine objektive Erwägung aller ein¬
zelnen Zeugnisse.

Haugwitz, der zu Napoleon geschickt war, die Kriegserklärung diplomatisch
vorzubereiten, schloß nach der russisch - österreichischen Niederlage von Austerlitz
den Bündnisvertrag von Schönbrunn mit Napoleon, in einer Zeit, während
man in Berlin zuerst noch bei dem antisranzösischen System geblieben, dann
aber sich wenigstens eine Entscheidung "nach den Umständen" vorbehalten hatte
(Duncker 624). Erst als Haugwitz (25. Dezember) mit seinem Traktat nach
Berlin zurückgekehrt war, hatte man an höchster Stelle die Wahl zu treffen
zwischen der antifranzösischen Politik, der man im Oktober und November
beigetreten, und der neuen Wendung, durch welche Haugwitz aus der bisher
von ihm vertretenen Neutralität eine Allianz mit Frankreich gemacht hatte;
es war die Entscheidung zwischen Krieg und Frieden; die Ablehnung des Schön-
bruner Traktates mußte sofort zum Kriege führen. Die Ansichten waren in
Berlin bei diesem Anlaß getheilt, die Entschließung schwankte Tage lang.
Endlich acceptirte man Haugwitz' Politik, aber nicht ohne daß man Klauseln
und Abänderungen an dem Allianztraktat vorzuschlagen unternahm/') Harden-



Die Memoiren beziehen sich auf die schriftlichen Boten der Minister, die aber erst
der S, Band mittheilen wird (II. Ranke hat bei seiner Darstellung (I. Stil sf.) noch
andere Quellen benutzt; wichtig sind hier besonders die schon lion Lefevre (II. 2S4) mitge¬
theilten Notizen aus den Depeschen des französischen Gesandten. Vgl. auch Duncker 628 f.

Verpflichtungen der antifranzösischen Allianz ihren Staat wieder zu befreien
und zur Neutralität zurückzukehren. Wie aber stand der König zu dieser
Frage? Es liegen Andeutungen vor, als ob der König mit Haugwitz eines
Sinnes gewesen; Lombard, Hardenberg und Haugwitz gehen bei ihren Dar¬
stellungen von dieser Annahme aus; die Berichte des französischen Gesandten
Laforest behaupten es; die russische,: und österreichischen Diplomaten berichten
das Gegentheil. Eine klare beweisende Aeußerung des Königes selbst existirt
nicht oder ist nicht bekannt geworden. Keinensalls aber dürfen wir es Harden¬
berg verdenken, wenn er ans der Ueberschau der Ereignisse zu der Annahme
hinneigt, als ob in der That Friedrich Wilhelm III. die hinhaltenden, zögern¬
den und dem Krieg so lange als möglich ausweichenden Schritte von Haugwitz
gebilligt habe. So schwer es wird, dies Urtheil auszusprechen, — ich sehe
nur eine geringe Möglichkeit, ihm zu entgehen; denn höchstens durfte man an¬
nehmen, daß der König zuerst von dem kriegerischen Aufschwung sich habe fort¬
reißen und ins russische Bündniß hineinziehen lassen, daß er dann aber wieder
bedenklich geworden und Haugwitz' eutgegenstrebendeu Tendenzen sich wieder¬
um angeschlossen habe. Daß Haugwitz nicht ohne das Bewußtsein eines
Rückhaltes in der Gesinnung seines königlichen Herrn gehandelt hat, — zu
dieser Annahme zwingt meines Erachtens eine objektive Erwägung aller ein¬
zelnen Zeugnisse.

Haugwitz, der zu Napoleon geschickt war, die Kriegserklärung diplomatisch
vorzubereiten, schloß nach der russisch - österreichischen Niederlage von Austerlitz
den Bündnisvertrag von Schönbrunn mit Napoleon, in einer Zeit, während
man in Berlin zuerst noch bei dem antisranzösischen System geblieben, dann
aber sich wenigstens eine Entscheidung „nach den Umständen" vorbehalten hatte
(Duncker 624). Erst als Haugwitz (25. Dezember) mit seinem Traktat nach
Berlin zurückgekehrt war, hatte man an höchster Stelle die Wahl zu treffen
zwischen der antifranzösischen Politik, der man im Oktober und November
beigetreten, und der neuen Wendung, durch welche Haugwitz aus der bisher
von ihm vertretenen Neutralität eine Allianz mit Frankreich gemacht hatte;
es war die Entscheidung zwischen Krieg und Frieden; die Ablehnung des Schön-
bruner Traktates mußte sofort zum Kriege führen. Die Ansichten waren in
Berlin bei diesem Anlaß getheilt, die Entschließung schwankte Tage lang.
Endlich acceptirte man Haugwitz' Politik, aber nicht ohne daß man Klauseln
und Abänderungen an dem Allianztraktat vorzuschlagen unternahm/') Harden-



Die Memoiren beziehen sich auf die schriftlichen Boten der Minister, die aber erst
der S, Band mittheilen wird (II. Ranke hat bei seiner Darstellung (I. Stil sf.) noch
andere Quellen benutzt; wichtig sind hier besonders die schon lion Lefevre (II. 2S4) mitge¬
theilten Notizen aus den Depeschen des französischen Gesandten. Vgl. auch Duncker 628 f.
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[0017] Verpflichtungen der antifranzösischen Allianz ihren Staat wieder zu befreien und zur Neutralität zurückzukehren. Wie aber stand der König zu dieser Frage? Es liegen Andeutungen vor, als ob der König mit Haugwitz eines Sinnes gewesen; Lombard, Hardenberg und Haugwitz gehen bei ihren Dar¬ stellungen von dieser Annahme aus; die Berichte des französischen Gesandten Laforest behaupten es; die russische,: und österreichischen Diplomaten berichten das Gegentheil. Eine klare beweisende Aeußerung des Königes selbst existirt nicht oder ist nicht bekannt geworden. Keinensalls aber dürfen wir es Harden¬ berg verdenken, wenn er ans der Ueberschau der Ereignisse zu der Annahme hinneigt, als ob in der That Friedrich Wilhelm III. die hinhaltenden, zögern¬ den und dem Krieg so lange als möglich ausweichenden Schritte von Haugwitz gebilligt habe. So schwer es wird, dies Urtheil auszusprechen, — ich sehe nur eine geringe Möglichkeit, ihm zu entgehen; denn höchstens durfte man an¬ nehmen, daß der König zuerst von dem kriegerischen Aufschwung sich habe fort¬ reißen und ins russische Bündniß hineinziehen lassen, daß er dann aber wieder bedenklich geworden und Haugwitz' eutgegenstrebendeu Tendenzen sich wieder¬ um angeschlossen habe. Daß Haugwitz nicht ohne das Bewußtsein eines Rückhaltes in der Gesinnung seines königlichen Herrn gehandelt hat, — zu dieser Annahme zwingt meines Erachtens eine objektive Erwägung aller ein¬ zelnen Zeugnisse. Haugwitz, der zu Napoleon geschickt war, die Kriegserklärung diplomatisch vorzubereiten, schloß nach der russisch - österreichischen Niederlage von Austerlitz den Bündnisvertrag von Schönbrunn mit Napoleon, in einer Zeit, während man in Berlin zuerst noch bei dem antisranzösischen System geblieben, dann aber sich wenigstens eine Entscheidung „nach den Umständen" vorbehalten hatte (Duncker 624). Erst als Haugwitz (25. Dezember) mit seinem Traktat nach Berlin zurückgekehrt war, hatte man an höchster Stelle die Wahl zu treffen zwischen der antifranzösischen Politik, der man im Oktober und November beigetreten, und der neuen Wendung, durch welche Haugwitz aus der bisher von ihm vertretenen Neutralität eine Allianz mit Frankreich gemacht hatte; es war die Entscheidung zwischen Krieg und Frieden; die Ablehnung des Schön- bruner Traktates mußte sofort zum Kriege führen. Die Ansichten waren in Berlin bei diesem Anlaß getheilt, die Entschließung schwankte Tage lang. Endlich acceptirte man Haugwitz' Politik, aber nicht ohne daß man Klauseln und Abänderungen an dem Allianztraktat vorzuschlagen unternahm/') Harden- Die Memoiren beziehen sich auf die schriftlichen Boten der Minister, die aber erst der S, Band mittheilen wird (II. Ranke hat bei seiner Darstellung (I. Stil sf.) noch andere Quellen benutzt; wichtig sind hier besonders die schon lion Lefevre (II. 2S4) mitge¬ theilten Notizen aus den Depeschen des französischen Gesandten. Vgl. auch Duncker 628 f.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/17>, abgerufen am 22.07.2024.