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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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unter den Tagen der Woche der Freitag und unter den Mondzeiten die des
Vollmondes und des letzten Viertels für besonders günstig. Als die geeignet¬
sten Stunden werden meist die unmittelbar vor Aufgang und die unmittelbar
vor Untergang der Sonne fallenden und die Geisterstunde angesehen. Nur die
Kuren, die sich an den Johannistag knüpfen, wo die Sonne auf ihrem sommer¬
lichen Wendepunkte steht, werden in der Mittagsstunde vorgenommen. Hier
und da gilt für recht Erfolg verheißend, wenn die Beseitigung von Krankheiten
versucht wird, während die Begräbnißglocke läutet und ein Leichenzug vorüber
kommt -- die betreffenden Uebel werden gleichsam mit zu Grabe gebracht.

Die Art nun, wie bei sympathetischen Kuren verfahren wird, ist eine in
den Einzelnheiten außerordentlich verschiedene; doch lassen sich die am häufig¬
sten angewandten Methoden in gewisse Klassen bringen, von denen das Be¬
sprechen die verbreitetste und vielgestaltigste ist. Dasselbe besteht meist nur
in der Beschwörung des Uebels durch einige Worte mit Hinzufügung gewisser
Geberden oder Griffe: Kreuzschlagen, Anhauchen, Handaufleguug und Aus¬
spucken. Die Zaubersprüche, unter denen sich einige finden, die entschieden
heidnischen Ursprungs und nur ganz oberflächlich christianisirt sind, schließen
größtentheils mit der Formel: "Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes
und des heiligen Geistes. Amen", und werden zuweilen dreimal hergemurmelt,
wie denn in einigen Gegenden, z. B. in Ost- und Westpreußen, die ganze Pro¬
zedur dreimal, an zwei Abenden und einem Morgen, vor sich zu gehen hat.
Manche von den Sprüchen, unter denen die ältesten eine kleine Erzählung, die
in einen Zaubersegen ausläuft und an die bekannte Merseburger Formel:
"Wodan und Phol ritten zu Holze" erinnert, enthalten, sind fast völlig sinn¬
los, indem man gewisse Ausdrücke ihrer ursprünglichen Fassung in späterer
Zeit nicht mehr verstanden und willkürlich durch andere ersetzt haben wird,
Zum Theil wohl auch-, weil im Verlaufe der Zeit mehrere Formeln in eine
Zusammengeflossen find. Uebrigens gehört wie zum Hexeneinmaleins auch zu
diesem Zauber eine gelinde oder starke Dosis Unsinn, und schließlich mußte
sich die Sache gewöhnlich reimen und zwar selbst mit Gefahr, daß daraus
^ewas dem Sinne nach Ungereimtes entstand. In manchen Fällen werden die
Zauberformeln aufgeschrieben und einige Zeit auf dem bloßen Leibe getragen,
in andern muß der betreffende Zettel verschluckt werden. Ich lasse jetzt eine
Anzahl charakteristischer Beispiele folgen.

Ein schwäbischer Fiebersegen lautet:


"O du, meine liebe Alte,
Schüttelt dich das Kalte,
So komm Haus Nickel und brenne dich;
So schüttelt dich das Kalte nicht."

unter den Tagen der Woche der Freitag und unter den Mondzeiten die des
Vollmondes und des letzten Viertels für besonders günstig. Als die geeignet¬
sten Stunden werden meist die unmittelbar vor Aufgang und die unmittelbar
vor Untergang der Sonne fallenden und die Geisterstunde angesehen. Nur die
Kuren, die sich an den Johannistag knüpfen, wo die Sonne auf ihrem sommer¬
lichen Wendepunkte steht, werden in der Mittagsstunde vorgenommen. Hier
und da gilt für recht Erfolg verheißend, wenn die Beseitigung von Krankheiten
versucht wird, während die Begräbnißglocke läutet und ein Leichenzug vorüber
kommt — die betreffenden Uebel werden gleichsam mit zu Grabe gebracht.

Die Art nun, wie bei sympathetischen Kuren verfahren wird, ist eine in
den Einzelnheiten außerordentlich verschiedene; doch lassen sich die am häufig¬
sten angewandten Methoden in gewisse Klassen bringen, von denen das Be¬
sprechen die verbreitetste und vielgestaltigste ist. Dasselbe besteht meist nur
in der Beschwörung des Uebels durch einige Worte mit Hinzufügung gewisser
Geberden oder Griffe: Kreuzschlagen, Anhauchen, Handaufleguug und Aus¬
spucken. Die Zaubersprüche, unter denen sich einige finden, die entschieden
heidnischen Ursprungs und nur ganz oberflächlich christianisirt sind, schließen
größtentheils mit der Formel: „Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes
und des heiligen Geistes. Amen", und werden zuweilen dreimal hergemurmelt,
wie denn in einigen Gegenden, z. B. in Ost- und Westpreußen, die ganze Pro¬
zedur dreimal, an zwei Abenden und einem Morgen, vor sich zu gehen hat.
Manche von den Sprüchen, unter denen die ältesten eine kleine Erzählung, die
in einen Zaubersegen ausläuft und an die bekannte Merseburger Formel:
»Wodan und Phol ritten zu Holze" erinnert, enthalten, sind fast völlig sinn¬
los, indem man gewisse Ausdrücke ihrer ursprünglichen Fassung in späterer
Zeit nicht mehr verstanden und willkürlich durch andere ersetzt haben wird,
Zum Theil wohl auch-, weil im Verlaufe der Zeit mehrere Formeln in eine
Zusammengeflossen find. Uebrigens gehört wie zum Hexeneinmaleins auch zu
diesem Zauber eine gelinde oder starke Dosis Unsinn, und schließlich mußte
sich die Sache gewöhnlich reimen und zwar selbst mit Gefahr, daß daraus
^ewas dem Sinne nach Ungereimtes entstand. In manchen Fällen werden die
Zauberformeln aufgeschrieben und einige Zeit auf dem bloßen Leibe getragen,
in andern muß der betreffende Zettel verschluckt werden. Ich lasse jetzt eine
Anzahl charakteristischer Beispiele folgen.

Ein schwäbischer Fiebersegen lautet:


„O du, meine liebe Alte,
Schüttelt dich das Kalte,
So komm Haus Nickel und brenne dich;
So schüttelt dich das Kalte nicht."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/179>, abgerufen am 22.07.2024.