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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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an diesem Tage, wenn Vollmond ist und die Sonne im Löwen steht, Flu߬
krebse fangen, sie in einem Schüsselchen verbrennen und zu Staub zerreiben;
denn ein Löffel dieser Arzenei mit Wasser getrunken heilt die Hmidswuth. Am
Jakobstage holt man "Joksbeeren", d. h- Heidelbeeren, die in dieser Zeit ge¬
pflückt bei allen Krankheiten gut sind. Wasser in der Christnacht geschöpft,
während es gerade die zwölfte Stunde schlägt, ist ein vorzüglich wirksames
Mittel gegen das kalte Fieber, welches man aber auch dadurch leicht los wer¬
den kann, daß man sich einen Schneekönig, der ein kleiner grangesprenkelter
Vogel ist, fängt, ihn unausgenommen und mit den Federn zu Asche verbrennt
und diese dann in Warmbier verschluckt. Derselbe Vogel klein gehackt und mit
Salz verspeist, hilft auch gegen steinbeschwerten, indem er den Stein zu Wasser
werden und schmerzlos abgehen läßt.

Ich habe viel Seltsames mitgetheilt. Die Vorräthe der Vvlksapotheke sind
aber mit diesen Rezepten bei Weitem noch nicht erschöpft, und unter dem Reste
von Mitteln befindet sich noch eine große Anzahl sehr barocker Dinge. "Donner¬
keile", d. h. Aexte aus der Steinzeit oder von Natur teil-, den- oder hammer-
fvrmige Steine, kuriren im Harze die Rose und andere Entzündungen, wenn
wan letztere mit ihnen bestreicht -- ein sehr deutlicher Nachhall des Glaubens
an Donar, der jene entzündlichen, in seine Lieblingsfarbe gekleideten Krank¬
heiten wahrscheinlich sandte und zugleich mit seinem Hammer wieder heilen
konnte. Wasser ans Märzschnee vertreibt, wenn man ein damit befeuchtetes
Läppchen auf das Gesicht legt, alle Sommersprossen und Unreinigkeiten der
Haut -- eine ziemlich allgemein verbreitete Volksmeinung. Wer sich am Wal-
pnrgistage im Dorfteiche wäscht, sagt das Landvolk in Franken, der wird jung
und schön. Mairegen befördert das Wachsthum der Kiuder, wenn sie sich
demselben mit unbedecktem Kopfe aussetzen, so behaupten Mütter und Kinder-
wädchen von den Odergegenden bis an den Rhein und die Nordsee. Auch das
Feuer gewinnt unter Umstünden wohlthätige Zauberkraft. Hierher gehören die
"Nothfeuer", welche bei Viehseuchen durch Drehung und Reibung einer Walze
oder einer Stange in der Rabe eines Rades entzündet werden, und durch die
"lau hernach das kranke Vieh hindurchtreibt. Es darf dabei aber im ganzen
Dree kein Ofen- oder Herdfeuer und keine Lampe brennen, sonst geräth es
uicht. Die Sonne, das reinste Feuer, wurde ursprünglich als Entzünden" ge¬
dacht. "In Norddeutschland ist dieses Verfahren noch jetzt gewöhnlich", be-
werkt Wuitke, der im Jahre 1860 schreibt, und dem ich hier eine Strecke folge,
'.und ich habe einen Bericht aus Mecklenburg vor mir, wonach das Nothfeuer
"l einem Dorfe auf Anordnung des Dorfschulzen angezündet wurde. Zwei
Stunden lang rieb man umsonst, weil eine alte Dame dem strengen Befehle
der Ortsobrigkeit und den flehentlichen Bitten der gesammten Bauernschaft zum


an diesem Tage, wenn Vollmond ist und die Sonne im Löwen steht, Flu߬
krebse fangen, sie in einem Schüsselchen verbrennen und zu Staub zerreiben;
denn ein Löffel dieser Arzenei mit Wasser getrunken heilt die Hmidswuth. Am
Jakobstage holt man „Joksbeeren", d. h- Heidelbeeren, die in dieser Zeit ge¬
pflückt bei allen Krankheiten gut sind. Wasser in der Christnacht geschöpft,
während es gerade die zwölfte Stunde schlägt, ist ein vorzüglich wirksames
Mittel gegen das kalte Fieber, welches man aber auch dadurch leicht los wer¬
den kann, daß man sich einen Schneekönig, der ein kleiner grangesprenkelter
Vogel ist, fängt, ihn unausgenommen und mit den Federn zu Asche verbrennt
und diese dann in Warmbier verschluckt. Derselbe Vogel klein gehackt und mit
Salz verspeist, hilft auch gegen steinbeschwerten, indem er den Stein zu Wasser
werden und schmerzlos abgehen läßt.

Ich habe viel Seltsames mitgetheilt. Die Vorräthe der Vvlksapotheke sind
aber mit diesen Rezepten bei Weitem noch nicht erschöpft, und unter dem Reste
von Mitteln befindet sich noch eine große Anzahl sehr barocker Dinge. „Donner¬
keile", d. h. Aexte aus der Steinzeit oder von Natur teil-, den- oder hammer-
fvrmige Steine, kuriren im Harze die Rose und andere Entzündungen, wenn
wan letztere mit ihnen bestreicht — ein sehr deutlicher Nachhall des Glaubens
an Donar, der jene entzündlichen, in seine Lieblingsfarbe gekleideten Krank¬
heiten wahrscheinlich sandte und zugleich mit seinem Hammer wieder heilen
konnte. Wasser ans Märzschnee vertreibt, wenn man ein damit befeuchtetes
Läppchen auf das Gesicht legt, alle Sommersprossen und Unreinigkeiten der
Haut — eine ziemlich allgemein verbreitete Volksmeinung. Wer sich am Wal-
pnrgistage im Dorfteiche wäscht, sagt das Landvolk in Franken, der wird jung
und schön. Mairegen befördert das Wachsthum der Kiuder, wenn sie sich
demselben mit unbedecktem Kopfe aussetzen, so behaupten Mütter und Kinder-
wädchen von den Odergegenden bis an den Rhein und die Nordsee. Auch das
Feuer gewinnt unter Umstünden wohlthätige Zauberkraft. Hierher gehören die
"Nothfeuer", welche bei Viehseuchen durch Drehung und Reibung einer Walze
oder einer Stange in der Rabe eines Rades entzündet werden, und durch die
"lau hernach das kranke Vieh hindurchtreibt. Es darf dabei aber im ganzen
Dree kein Ofen- oder Herdfeuer und keine Lampe brennen, sonst geräth es
uicht. Die Sonne, das reinste Feuer, wurde ursprünglich als Entzünden» ge¬
dacht. „In Norddeutschland ist dieses Verfahren noch jetzt gewöhnlich", be-
werkt Wuitke, der im Jahre 1860 schreibt, und dem ich hier eine Strecke folge,
'.und ich habe einen Bericht aus Mecklenburg vor mir, wonach das Nothfeuer
"l einem Dorfe auf Anordnung des Dorfschulzen angezündet wurde. Zwei
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[0147] an diesem Tage, wenn Vollmond ist und die Sonne im Löwen steht, Flu߬ krebse fangen, sie in einem Schüsselchen verbrennen und zu Staub zerreiben; denn ein Löffel dieser Arzenei mit Wasser getrunken heilt die Hmidswuth. Am Jakobstage holt man „Joksbeeren", d. h- Heidelbeeren, die in dieser Zeit ge¬ pflückt bei allen Krankheiten gut sind. Wasser in der Christnacht geschöpft, während es gerade die zwölfte Stunde schlägt, ist ein vorzüglich wirksames Mittel gegen das kalte Fieber, welches man aber auch dadurch leicht los wer¬ den kann, daß man sich einen Schneekönig, der ein kleiner grangesprenkelter Vogel ist, fängt, ihn unausgenommen und mit den Federn zu Asche verbrennt und diese dann in Warmbier verschluckt. Derselbe Vogel klein gehackt und mit Salz verspeist, hilft auch gegen steinbeschwerten, indem er den Stein zu Wasser werden und schmerzlos abgehen läßt. Ich habe viel Seltsames mitgetheilt. Die Vorräthe der Vvlksapotheke sind aber mit diesen Rezepten bei Weitem noch nicht erschöpft, und unter dem Reste von Mitteln befindet sich noch eine große Anzahl sehr barocker Dinge. „Donner¬ keile", d. h. Aexte aus der Steinzeit oder von Natur teil-, den- oder hammer- fvrmige Steine, kuriren im Harze die Rose und andere Entzündungen, wenn wan letztere mit ihnen bestreicht — ein sehr deutlicher Nachhall des Glaubens an Donar, der jene entzündlichen, in seine Lieblingsfarbe gekleideten Krank¬ heiten wahrscheinlich sandte und zugleich mit seinem Hammer wieder heilen konnte. Wasser ans Märzschnee vertreibt, wenn man ein damit befeuchtetes Läppchen auf das Gesicht legt, alle Sommersprossen und Unreinigkeiten der Haut — eine ziemlich allgemein verbreitete Volksmeinung. Wer sich am Wal- pnrgistage im Dorfteiche wäscht, sagt das Landvolk in Franken, der wird jung und schön. Mairegen befördert das Wachsthum der Kiuder, wenn sie sich demselben mit unbedecktem Kopfe aussetzen, so behaupten Mütter und Kinder- wädchen von den Odergegenden bis an den Rhein und die Nordsee. Auch das Feuer gewinnt unter Umstünden wohlthätige Zauberkraft. Hierher gehören die "Nothfeuer", welche bei Viehseuchen durch Drehung und Reibung einer Walze oder einer Stange in der Rabe eines Rades entzündet werden, und durch die "lau hernach das kranke Vieh hindurchtreibt. Es darf dabei aber im ganzen Dree kein Ofen- oder Herdfeuer und keine Lampe brennen, sonst geräth es uicht. Die Sonne, das reinste Feuer, wurde ursprünglich als Entzünden» ge¬ dacht. „In Norddeutschland ist dieses Verfahren noch jetzt gewöhnlich", be- werkt Wuitke, der im Jahre 1860 schreibt, und dem ich hier eine Strecke folge, '.und ich habe einen Bericht aus Mecklenburg vor mir, wonach das Nothfeuer "l einem Dorfe auf Anordnung des Dorfschulzen angezündet wurde. Zwei Stunden lang rieb man umsonst, weil eine alte Dame dem strengen Befehle der Ortsobrigkeit und den flehentlichen Bitten der gesammten Bauernschaft zum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/147>, abgerufen am 22.07.2024.