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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Ist Jemand von einer Krankheit bereits befallen oder hat er eine Wunde
davongetragen, so werden entweder die in der Familie bekannten oder von
einer alten klugen Fran der Nachbarschaft angercithene Hausmittel angewendet,
"der man fragt einen Volksarzt um Rath, der gewöhnlich seines Zeichens ein
Schäfer oder Scharfrichter ist und zuweilen eine gewisse vom Vater ans den
Sohn vererbte Kenntniß von wirklichen Heilmitteln, Kräutern, Manipulationen,
u> d. mit Erfolg verwerthet, häufiger aber auf dem Wege der Zauberei zu
helfen sucht.

Von den Hausmitteln führe ich nur einige von denen an, die in das
Gebiet des Aberglaubens gehören, und zwar zuerst eine Anzahl von Rezepten
Kegen Kinderkrankheiten, die nach Rochholz*) im Aargau angewendet zu werden
Pflegen. Wenn hier ein Kind an Würmern leidet, so muß man ihm Himbeeren,
kirren, Aepfel oder anderes Obst mit den darin enthaltenen Maden (das simili".
^milidns der Homöopathie) zu essen geben. Hat es den "rothen Schaden",
""en Ausschlag, so läßt man es einen Absud des Krautes Heilallerwelt
^Miinomum euMorimn) trinken. Hat es sich geschnitten, und blutet es infolge
dessen stark, so verbindet man ihm den Herzfinger mit einem rothen Seiden-
^den. Ist es von "Freischlich" oder "Kindergichtern" (Krämpfen) befallen, so
Hut man am Besten, ihm ein Halsband von 77 Päonienblättern umzulegen.
"Laubflecken" (Sommersprossen) vertreibt man ihm mit Morgenthau, der
^unberufen", d. h. hier stillschweigend, gesammelt worden ist, oder mit Wasser,
Ul welchem man drei Gartenkröten gesotten hat. Bekommt es die häutige
Graune, so läßt man es sich mit einem Gnrgelwasser die Kehle ausspülen, in
welchem eine Handvoll Hauslanb und sechs lebendige Krebse gekocht worden
^'d. Bei deu Masern wäscht man es mit Erbsenbrühe, wobei daran zu
Zimmern ist, daß die Erbsen und ebenso alle mit Entzündung, Hitze und Röthe
"erbnndenen Krankheiten einst eine Beziehung zu Donar, dem Feuer- und
Gelvittergotte gehabt zu haben scheinen. Halsweh der Kinder vergeht, wenn
"Ulm sie dnrch ein Hollunderrohr (der Hollunder war einst ein heiliger Strauch,
"or dem man beim Vorübergehen Hut oder Mütze zog) Wasser oder Milch
Zinken läßt. Leidet ein Kind an der "Darmgicht" (Kolik) so muß man dem
heiligen Erasmus einen Strahlt besten Garnes opfern. Gegen Blasenschwäche
der Kinoer hilft Einnehmen von Wasser, in dem Fischchen gedörrt und zer-
^vßen aufgelöst wordeu siud, wie man sie im Bauche des Hechtes findet.



^ *) Allcmannischcs Kinderlied und Kinderspiel, S. 332--339. Andere hier benutzte
quellen sind die Sitten- und Sagensammlnngen von Meier, (Schwaben) Mnllenhoff (Schleswig-
> Mstmi) d, Leoprechtina,, (Lechrain) Kühn, (Mark und Westphalen) Wolf, (Hessen) Zingerle
Wpmlburg. (Tirol) Pröhle, Vernnleken Mpenländer) (Harz) und bor allem Wuttke's
^"Mft Wer den deutschen Volksaberglauben der Gegenwart.

Ist Jemand von einer Krankheit bereits befallen oder hat er eine Wunde
davongetragen, so werden entweder die in der Familie bekannten oder von
einer alten klugen Fran der Nachbarschaft angercithene Hausmittel angewendet,
»der man fragt einen Volksarzt um Rath, der gewöhnlich seines Zeichens ein
Schäfer oder Scharfrichter ist und zuweilen eine gewisse vom Vater ans den
Sohn vererbte Kenntniß von wirklichen Heilmitteln, Kräutern, Manipulationen,
u> d. mit Erfolg verwerthet, häufiger aber auf dem Wege der Zauberei zu
helfen sucht.

Von den Hausmitteln führe ich nur einige von denen an, die in das
Gebiet des Aberglaubens gehören, und zwar zuerst eine Anzahl von Rezepten
Kegen Kinderkrankheiten, die nach Rochholz*) im Aargau angewendet zu werden
Pflegen. Wenn hier ein Kind an Würmern leidet, so muß man ihm Himbeeren,
kirren, Aepfel oder anderes Obst mit den darin enthaltenen Maden (das simili».
^milidns der Homöopathie) zu essen geben. Hat es den „rothen Schaden",
""en Ausschlag, so läßt man es einen Absud des Krautes Heilallerwelt
^Miinomum euMorimn) trinken. Hat es sich geschnitten, und blutet es infolge
dessen stark, so verbindet man ihm den Herzfinger mit einem rothen Seiden-
^den. Ist es von „Freischlich" oder „Kindergichtern" (Krämpfen) befallen, so
Hut man am Besten, ihm ein Halsband von 77 Päonienblättern umzulegen.
"Laubflecken" (Sommersprossen) vertreibt man ihm mit Morgenthau, der
^unberufen", d. h. hier stillschweigend, gesammelt worden ist, oder mit Wasser,
Ul welchem man drei Gartenkröten gesotten hat. Bekommt es die häutige
Graune, so läßt man es sich mit einem Gnrgelwasser die Kehle ausspülen, in
welchem eine Handvoll Hauslanb und sechs lebendige Krebse gekocht worden
^'d. Bei deu Masern wäscht man es mit Erbsenbrühe, wobei daran zu
Zimmern ist, daß die Erbsen und ebenso alle mit Entzündung, Hitze und Röthe
"erbnndenen Krankheiten einst eine Beziehung zu Donar, dem Feuer- und
Gelvittergotte gehabt zu haben scheinen. Halsweh der Kinder vergeht, wenn
"Ulm sie dnrch ein Hollunderrohr (der Hollunder war einst ein heiliger Strauch,
"or dem man beim Vorübergehen Hut oder Mütze zog) Wasser oder Milch
Zinken läßt. Leidet ein Kind an der „Darmgicht" (Kolik) so muß man dem
heiligen Erasmus einen Strahlt besten Garnes opfern. Gegen Blasenschwäche
der Kinoer hilft Einnehmen von Wasser, in dem Fischchen gedörrt und zer-
^vßen aufgelöst wordeu siud, wie man sie im Bauche des Hechtes findet.



^ *) Allcmannischcs Kinderlied und Kinderspiel, S. 332—339. Andere hier benutzte
quellen sind die Sitten- und Sagensammlnngen von Meier, (Schwaben) Mnllenhoff (Schleswig-
> Mstmi) d, Leoprechtina,, (Lechrain) Kühn, (Mark und Westphalen) Wolf, (Hessen) Zingerle
Wpmlburg. (Tirol) Pröhle, Vernnleken Mpenländer) (Harz) und bor allem Wuttke's
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/145>, abgerufen am 22.07.2024.