Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

stände und Zeiten in sich bergen. Vor jeder Gesundheitsstörung schützt mau
sich in Schlesien, wenn mau sich mit Osterwasser wäscht oder sich am Kar¬
freitag vor Sonnenaufgang im Freien badet, in Franken, wenn man am Fast-
nachtstnge Blutwurst ißt, eine Vorschrift, die vielleicht auf ein altes Schweine¬
opfer zu Anfang des Frühlings zurückweist. Vor dem kalten Fieber sichert
man sich in Sachsen, wenn man am Gründonnerstag (bei dem man sich einst
an Donar erinnert haben wird) neun verschiedene grüne Gemüse, durcheinander
gemengt verspeist; anderswo haben Bretzeln (die wohl das heilige Sonnenrad
versinnbildeten) dieselbe Wirkung. In ganz Norddeutschland wird zu gleichem
Zwecke empfohlen, die ersten drei blühenden Kornähren, die man im Jahre
erblickt, durch deu Mund zu ziehen und die abgestreifte Blüthe zu verschlucken.
Ju Schlesien sowie im Brandenburgischen kaut der Altgläubige zu diesem Eude
das erste Veilchen, das er zu Gesicht bekommt, in Pommern ißt er einen
Apfel, in der baierischen Oberpfalz hält er sich eine dreifarbige Katze. Wer in
der Christnacht ein kaltes Bad nimmt, der hat für das nächste Jahr nicht zu
befürchten, von Krätze befallen zu werden, denn das Wasser hat während der
"Zwölften", die mit jener Nacht beginnen, überhaupt geheimnißvolle Zauber¬
kraft. Der Stephanstag wird in mehreren süddeutschen Gegenden dazu benutzt,
den Pferden zur Ader zu lassen, da diese Operation an diesem Tage vorge¬
nommen besonders geeignet ist, Erkrankung der Thiere zu verhüten. Wer am
Fastnnchtstage sich badet, dem thut im ganzen folgenden Jahre der Rücken
nicht weh. Um sich vor Krämpfen und Verrenkungen zu schützen, soll man
bei Calw in Schwaben "Knieringe", d. h. Strumpfbänder, von Aalhaut tragen-
Ju Tirol Pflegt man in vielen Hciuseru einen Kreuzschnabel zu halten, und
zwar geschieht dies zu einem ähnlichen Zwecke, wie man Blitzableiter ans die
Dächer setzt; denn jener kleine brave Vogel hat, seit er den Versuch gemacht,
den Heiland dnrch Heransklauben der Nägel vom Kreuze zu befreien, die
Tugend, alle Krankheiten, welche die Kinder befallen wollen, auf sich abzulenken.
Ursprünglich aber war er wohl dein Donar heilig, dessen Hammer oder dessen
Rune sein Schnabel dargestellt haben kann. Im Aargatt legt man den Kindern,
damit sie vor Krämpfen verschont bleiben, einen Hufnagel unter das Kopf¬
kissen, wobei daran zu erinnern ist, daß Eisen überhaupt gegen die Nachstellungen
von Zauberern und böse" Geistern gut ist. In derselben Gegend der deutschen
Schweiz hängt man den Kindern gegen das schwere Zahnen Pfötchen um den
Hals, die man einer lebendigen Kröte oder Scheermaus abgehauen hat. Vor
der Bräune werden sie in Mecklenburg durch einen Faden von blauer Wolle
bewahrt, den man ihnen um den Hals bindet. Vorschriften des schlesischen
Aberglaubens zur Verhütung von Zahnschmerzen sind folgende: Man ver¬
schneite sich die Nägel nur Freitags, (Wird auch im Brandenburgischen sowie


stände und Zeiten in sich bergen. Vor jeder Gesundheitsstörung schützt mau
sich in Schlesien, wenn mau sich mit Osterwasser wäscht oder sich am Kar¬
freitag vor Sonnenaufgang im Freien badet, in Franken, wenn man am Fast-
nachtstnge Blutwurst ißt, eine Vorschrift, die vielleicht auf ein altes Schweine¬
opfer zu Anfang des Frühlings zurückweist. Vor dem kalten Fieber sichert
man sich in Sachsen, wenn man am Gründonnerstag (bei dem man sich einst
an Donar erinnert haben wird) neun verschiedene grüne Gemüse, durcheinander
gemengt verspeist; anderswo haben Bretzeln (die wohl das heilige Sonnenrad
versinnbildeten) dieselbe Wirkung. In ganz Norddeutschland wird zu gleichem
Zwecke empfohlen, die ersten drei blühenden Kornähren, die man im Jahre
erblickt, durch deu Mund zu ziehen und die abgestreifte Blüthe zu verschlucken.
Ju Schlesien sowie im Brandenburgischen kaut der Altgläubige zu diesem Eude
das erste Veilchen, das er zu Gesicht bekommt, in Pommern ißt er einen
Apfel, in der baierischen Oberpfalz hält er sich eine dreifarbige Katze. Wer in
der Christnacht ein kaltes Bad nimmt, der hat für das nächste Jahr nicht zu
befürchten, von Krätze befallen zu werden, denn das Wasser hat während der
„Zwölften", die mit jener Nacht beginnen, überhaupt geheimnißvolle Zauber¬
kraft. Der Stephanstag wird in mehreren süddeutschen Gegenden dazu benutzt,
den Pferden zur Ader zu lassen, da diese Operation an diesem Tage vorge¬
nommen besonders geeignet ist, Erkrankung der Thiere zu verhüten. Wer am
Fastnnchtstage sich badet, dem thut im ganzen folgenden Jahre der Rücken
nicht weh. Um sich vor Krämpfen und Verrenkungen zu schützen, soll man
bei Calw in Schwaben „Knieringe", d. h. Strumpfbänder, von Aalhaut tragen-
Ju Tirol Pflegt man in vielen Hciuseru einen Kreuzschnabel zu halten, und
zwar geschieht dies zu einem ähnlichen Zwecke, wie man Blitzableiter ans die
Dächer setzt; denn jener kleine brave Vogel hat, seit er den Versuch gemacht,
den Heiland dnrch Heransklauben der Nägel vom Kreuze zu befreien, die
Tugend, alle Krankheiten, welche die Kinder befallen wollen, auf sich abzulenken.
Ursprünglich aber war er wohl dein Donar heilig, dessen Hammer oder dessen
Rune sein Schnabel dargestellt haben kann. Im Aargatt legt man den Kindern,
damit sie vor Krämpfen verschont bleiben, einen Hufnagel unter das Kopf¬
kissen, wobei daran zu erinnern ist, daß Eisen überhaupt gegen die Nachstellungen
von Zauberern und böse« Geistern gut ist. In derselben Gegend der deutschen
Schweiz hängt man den Kindern gegen das schwere Zahnen Pfötchen um den
Hals, die man einer lebendigen Kröte oder Scheermaus abgehauen hat. Vor
der Bräune werden sie in Mecklenburg durch einen Faden von blauer Wolle
bewahrt, den man ihnen um den Hals bindet. Vorschriften des schlesischen
Aberglaubens zur Verhütung von Zahnschmerzen sind folgende: Man ver¬
schneite sich die Nägel nur Freitags, (Wird auch im Brandenburgischen sowie


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0142" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138901"/>
          <p xml:id="ID_379" prev="#ID_378" next="#ID_380"> stände und Zeiten in sich bergen. Vor jeder Gesundheitsstörung schützt mau<lb/>
sich in Schlesien, wenn mau sich mit Osterwasser wäscht oder sich am Kar¬<lb/>
freitag vor Sonnenaufgang im Freien badet, in Franken, wenn man am Fast-<lb/>
nachtstnge Blutwurst ißt, eine Vorschrift, die vielleicht auf ein altes Schweine¬<lb/>
opfer zu Anfang des Frühlings zurückweist. Vor dem kalten Fieber sichert<lb/>
man sich in Sachsen, wenn man am Gründonnerstag (bei dem man sich einst<lb/>
an Donar erinnert haben wird) neun verschiedene grüne Gemüse, durcheinander<lb/>
gemengt verspeist; anderswo haben Bretzeln (die wohl das heilige Sonnenrad<lb/>
versinnbildeten) dieselbe Wirkung. In ganz Norddeutschland wird zu gleichem<lb/>
Zwecke empfohlen, die ersten drei blühenden Kornähren, die man im Jahre<lb/>
erblickt, durch deu Mund zu ziehen und die abgestreifte Blüthe zu verschlucken.<lb/>
Ju Schlesien sowie im Brandenburgischen kaut der Altgläubige zu diesem Eude<lb/>
das erste Veilchen, das er zu Gesicht bekommt, in Pommern ißt er einen<lb/>
Apfel, in der baierischen Oberpfalz hält er sich eine dreifarbige Katze. Wer in<lb/>
der Christnacht ein kaltes Bad nimmt, der hat für das nächste Jahr nicht zu<lb/>
befürchten, von Krätze befallen zu werden, denn das Wasser hat während der<lb/>
&#x201E;Zwölften", die mit jener Nacht beginnen, überhaupt geheimnißvolle Zauber¬<lb/>
kraft. Der Stephanstag wird in mehreren süddeutschen Gegenden dazu benutzt,<lb/>
den Pferden zur Ader zu lassen, da diese Operation an diesem Tage vorge¬<lb/>
nommen besonders geeignet ist, Erkrankung der Thiere zu verhüten.  Wer am<lb/>
Fastnnchtstage sich badet, dem thut im ganzen folgenden Jahre der Rücken<lb/>
nicht weh. Um sich vor Krämpfen und Verrenkungen zu schützen, soll man<lb/>
bei Calw in Schwaben &#x201E;Knieringe", d. h. Strumpfbänder, von Aalhaut tragen-<lb/>
Ju Tirol Pflegt man in vielen Hciuseru einen Kreuzschnabel zu halten, und<lb/>
zwar geschieht dies zu einem ähnlichen Zwecke, wie man Blitzableiter ans die<lb/>
Dächer setzt; denn jener kleine brave Vogel hat, seit er den Versuch gemacht,<lb/>
den Heiland dnrch Heransklauben der Nägel vom Kreuze zu befreien, die<lb/>
Tugend, alle Krankheiten, welche die Kinder befallen wollen, auf sich abzulenken.<lb/>
Ursprünglich aber war er wohl dein Donar heilig, dessen Hammer oder dessen<lb/>
Rune sein Schnabel dargestellt haben kann. Im Aargatt legt man den Kindern,<lb/>
damit sie vor Krämpfen verschont bleiben, einen Hufnagel unter das Kopf¬<lb/>
kissen, wobei daran zu erinnern ist, daß Eisen überhaupt gegen die Nachstellungen<lb/>
von Zauberern und böse« Geistern gut ist. In derselben Gegend der deutschen<lb/>
Schweiz hängt man den Kindern gegen das schwere Zahnen Pfötchen um den<lb/>
Hals, die man einer lebendigen Kröte oder Scheermaus abgehauen hat. Vor<lb/>
der Bräune werden sie in Mecklenburg durch einen Faden von blauer Wolle<lb/>
bewahrt, den man ihnen um den Hals bindet. Vorschriften des schlesischen<lb/>
Aberglaubens zur Verhütung von Zahnschmerzen sind folgende: Man ver¬<lb/>
schneite sich die Nägel nur Freitags, (Wird auch im Brandenburgischen sowie</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0142] stände und Zeiten in sich bergen. Vor jeder Gesundheitsstörung schützt mau sich in Schlesien, wenn mau sich mit Osterwasser wäscht oder sich am Kar¬ freitag vor Sonnenaufgang im Freien badet, in Franken, wenn man am Fast- nachtstnge Blutwurst ißt, eine Vorschrift, die vielleicht auf ein altes Schweine¬ opfer zu Anfang des Frühlings zurückweist. Vor dem kalten Fieber sichert man sich in Sachsen, wenn man am Gründonnerstag (bei dem man sich einst an Donar erinnert haben wird) neun verschiedene grüne Gemüse, durcheinander gemengt verspeist; anderswo haben Bretzeln (die wohl das heilige Sonnenrad versinnbildeten) dieselbe Wirkung. In ganz Norddeutschland wird zu gleichem Zwecke empfohlen, die ersten drei blühenden Kornähren, die man im Jahre erblickt, durch deu Mund zu ziehen und die abgestreifte Blüthe zu verschlucken. Ju Schlesien sowie im Brandenburgischen kaut der Altgläubige zu diesem Eude das erste Veilchen, das er zu Gesicht bekommt, in Pommern ißt er einen Apfel, in der baierischen Oberpfalz hält er sich eine dreifarbige Katze. Wer in der Christnacht ein kaltes Bad nimmt, der hat für das nächste Jahr nicht zu befürchten, von Krätze befallen zu werden, denn das Wasser hat während der „Zwölften", die mit jener Nacht beginnen, überhaupt geheimnißvolle Zauber¬ kraft. Der Stephanstag wird in mehreren süddeutschen Gegenden dazu benutzt, den Pferden zur Ader zu lassen, da diese Operation an diesem Tage vorge¬ nommen besonders geeignet ist, Erkrankung der Thiere zu verhüten. Wer am Fastnnchtstage sich badet, dem thut im ganzen folgenden Jahre der Rücken nicht weh. Um sich vor Krämpfen und Verrenkungen zu schützen, soll man bei Calw in Schwaben „Knieringe", d. h. Strumpfbänder, von Aalhaut tragen- Ju Tirol Pflegt man in vielen Hciuseru einen Kreuzschnabel zu halten, und zwar geschieht dies zu einem ähnlichen Zwecke, wie man Blitzableiter ans die Dächer setzt; denn jener kleine brave Vogel hat, seit er den Versuch gemacht, den Heiland dnrch Heransklauben der Nägel vom Kreuze zu befreien, die Tugend, alle Krankheiten, welche die Kinder befallen wollen, auf sich abzulenken. Ursprünglich aber war er wohl dein Donar heilig, dessen Hammer oder dessen Rune sein Schnabel dargestellt haben kann. Im Aargatt legt man den Kindern, damit sie vor Krämpfen verschont bleiben, einen Hufnagel unter das Kopf¬ kissen, wobei daran zu erinnern ist, daß Eisen überhaupt gegen die Nachstellungen von Zauberern und böse« Geistern gut ist. In derselben Gegend der deutschen Schweiz hängt man den Kindern gegen das schwere Zahnen Pfötchen um den Hals, die man einer lebendigen Kröte oder Scheermaus abgehauen hat. Vor der Bräune werden sie in Mecklenburg durch einen Faden von blauer Wolle bewahrt, den man ihnen um den Hals bindet. Vorschriften des schlesischen Aberglaubens zur Verhütung von Zahnschmerzen sind folgende: Man ver¬ schneite sich die Nägel nur Freitags, (Wird auch im Brandenburgischen sowie

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/142
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/142>, abgerufen am 23.07.2024.