Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.man das Jahr über vom Fieber verschont bleiben will. In Schlesien hütet Zahlreicher wie die Verbote der Volksmedizin sind deren Gebote für die Grenzbvtcm Ul. 1877.
man das Jahr über vom Fieber verschont bleiben will. In Schlesien hütet Zahlreicher wie die Verbote der Volksmedizin sind deren Gebote für die Grenzbvtcm Ul. 1877.
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man das Jahr über vom Fieber verschont bleiben will. In Schlesien hütet
man sich sorgfältig vor dein Verschlucken eines Katzenhaares, in Sachsen vor
dein eines Zwirnsfadens, weil das die Auszehrung zur Folge hat. In Tirol
darf man keine Sperlinge essen, da man sich dadurch den Veitstanz zuzieht.
Ebendaselbst sowie in Schlesien und der Wetterau gilt es für unrathscun, in
das (in heidnischer Zeit für heilig gehaltene) Feuer zu spucken, da man hier¬
von einen Ausschlag um den Mund bekommt. Im Meißnischen verbietet der
Aberglaube, in der Thür die Arme nach den beiden Seitenpfosten auszustrecken,
weil solche Dehnung zu „Herzgespann" (Brustkrampf) führen soll, oder sich
die Hände am Tischtuch abzuwischen, weil davon Warzen an den Fingern ent¬
stehen. Fast allenthalben in Deutschland ist die Meinung verbreitet, daß man
abgeschnittene oder ausgekämmte Haare nicht zum Fenster hinaus oder auf die
Gasse werfen dürfe, da im ersteren Falle ein Vogel sie zum Nestbau verwenden
könnte und dieß dem Betreffenden Kopfschmerz verursachen würde, während im
zweiten Falle die übrig gebliebenen Haare nicht mehr wachsen würden. In
Pommern darf der, welcher einen bösen Fuß oder eine schlimme Hand hat,
nicht in die Kirche gehen, da der Schaden sonst nicht heilt. In Sachsen und
Westphalen verbieten die Altgläubigen, jemand mit einem Besen zu schlagen,
Weil der Geschlagene davon in Abzehrung verfällt, wobei wir uns erinnern
wollen, daß der Besen magische Kraft hat, Hexen zu ihren nächtlichen Festen
trägt, aber auch vor ihnen bewahrt, n. s. w. Im Brandenburgischen ist ans
denselben Grunde, in Baiern, weil Hemmung des Wachsthums die Folge ist,
vom Volksglauben das Schlagen eines Kindes mit einer Weidenruthe verpönt.
Tu Aargau sagt man: ein Kind, das mit der Gerte einer Haselstaude (der
Strauch war einst heilig und wird uoch jetzt zu Zauber verwendet, z. B. zu
Wünschelruthen) gezüchtigt werde, werde zum Krüppel. In Sachsen wachsen
kleine Kinder nicht mehr, wenn man sie sich zwischen den Beinen durchlaufen
läßt, im Aargau, wenn man sie auf einen Markstein setzt. Schwäbische Mütter
und Wärterinnen tragen Bedenken, Kinder, die noch kein Jahr alt sind, dem
Naßwerden dnrch Regen auszusetzen, weil sie dann „Roßmucken", d. h. Sommer¬
sprossen bekommen. Ebendaselbst hält man es sür unvorsichtig, sich an ein
Kleidungsstück, während man es anhat, etwas, z. B. einen Knopf anzunähen,
da man sich hierdurch Seitenstechen zuzieht. Allgemein ist nicht blos in
Deutschland die Ansicht, daß man sich seiner Gesundheit nicht rühmen dürfe,
weil man das bald nachher mit einer Krankheit zu büßen habe.
Zahlreicher wie die Verbote der Volksmedizin sind deren Gebote für die
Defensive. Die Handlungen und die Schutzmittel, die hier vor Krankwerden
bewahren sollen, stehen vorzüglich mit Festtagen oder anderen kirchlichen Dingen
i» Verbindung, die zum Theil die Bedeutung und Kraft altheidnischev Gegen-
Grenzbvtcm Ul. 1877.
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