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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Politik zu treiben, schlimme Erfahrungen gemacht. Diese Belehrung wurde
ihm durch einen Vorgang geboten, welcher in der vorliegenden Schrift mit
besonderer Feinheit und Schärfe dargestellt ist. Der Präsident Thiers wünschte
durch frühere Zahlung des Restes der Kriegsentschädigung Frankreich von der
Besatzung durch deutsche Truppen zu befreien. Thiers hatte darüber zunächst
eine Unterredung mit dem deutschen Botschafter. Dieser berichtete darüber am
7. Februar 1873 uach Berlin, befürwortete die frühere Räumung und fügte
einen Entwurf bei. Am 4. März 1873 gelangte der von Bismarck ausgearbeitete
Konventions-Entwurf, der nach Einholung eines Gutachtens des damals in
Nancy kommandirenden Generals von Manteuffel, betreffs der militärischen
Bedenken, vom Reichskanzler gefertigt war, an Arnim. In der den Vertrags¬
entwurf begleitenden Instruktion an den Botschafter wurde diesem als Haupt-
bedingung des Vertrags die Besetzung der Festung Belfort durch deutsche
Truppen bis zur völligen Tilgung der Kriegsschuld nebst Zinsen bezeichnet
und die Neutralisirung der übrigen, bis dahin von deutschen Truppen besetzten
französischen Gebietstheile bis zur Räumung von Belfort. Graf Arnim
k"prizirte sich nun darauf, mehr zu erreichen, als der deutsche Kanzler erreichbar
hielt. Er meinte dadurch ein die politische Bedeutung Bismarcks weit
ilberstrahlendes Relief zu gewinnen. Er verheimlichte deßhalb gradezu den
Text des deutschen Vertragsentwurfs vor Thiers, den er ihm amtlich mittheilen
sollte. Er erlaubte sich eigenmächtige Aenderungen am Berliner Entwurf.
Er fingirte in seinen Berichten nach Berlin Einwendungen von Seiten des
Präsidenten Thiers, die diesem ebenso fremd, als in Berlin unverständlich
waren. Er trat aus seinem -- wir können nicht anders sagen als schwindel-
hafter -- Doppelspiel nicht heraus, obwohl ihm schon am 2. März der
deutsche Vertragsentwurf bezeichnet worden war als ein Ganzes, das entweder
unbedingt verworfen oder angenommen werden müsse ("o'We ü, Ilüsser on s,
Vl'vväre") und obwohl zwei neuere Depeschen ihn aufforderten, zuletzt auf
Aesehl des Kaisers, Thiers den Text des Entwurfs vollständig und amtlich
"ntzutheilen. Da die Verhandlungen in Paris in unerklärlicher Weise stockten,
!° theilte der Reichskanzler den Vertragsentwurf einfach dem General von
Nantenffel mit, damit dieser bei dem Französischen Bevollmächtigten in Nancy,
Herrn de Se. Ballier nachforsche, wo die Schwierigkeiten eigentlich lügen. Ans
diese Weise erhielt Thiers erst Kenntniß von dem dentschen Vertragsentwurf.
Er acceptirte ihn sofort in allen wesentlichen Punkten freudig. Graf Arnim
Mehle die Demüthigung, daß der Abschluß der wichtigen Verhandlungen über
Nancy nach Berlin geleitet wurde, und daß der Präsident Thiers im vollen
Bewußtsein seiner ora tuts" und in klarer Erkenntniß der Falschheit des
deutschen Botschafters an Se. Ballier telegraphiren durste: "vou5 n'n.v0NK


Grenzboten IV. 1^77. 15

Politik zu treiben, schlimme Erfahrungen gemacht. Diese Belehrung wurde
ihm durch einen Vorgang geboten, welcher in der vorliegenden Schrift mit
besonderer Feinheit und Schärfe dargestellt ist. Der Präsident Thiers wünschte
durch frühere Zahlung des Restes der Kriegsentschädigung Frankreich von der
Besatzung durch deutsche Truppen zu befreien. Thiers hatte darüber zunächst
eine Unterredung mit dem deutschen Botschafter. Dieser berichtete darüber am
7. Februar 1873 uach Berlin, befürwortete die frühere Räumung und fügte
einen Entwurf bei. Am 4. März 1873 gelangte der von Bismarck ausgearbeitete
Konventions-Entwurf, der nach Einholung eines Gutachtens des damals in
Nancy kommandirenden Generals von Manteuffel, betreffs der militärischen
Bedenken, vom Reichskanzler gefertigt war, an Arnim. In der den Vertrags¬
entwurf begleitenden Instruktion an den Botschafter wurde diesem als Haupt-
bedingung des Vertrags die Besetzung der Festung Belfort durch deutsche
Truppen bis zur völligen Tilgung der Kriegsschuld nebst Zinsen bezeichnet
und die Neutralisirung der übrigen, bis dahin von deutschen Truppen besetzten
französischen Gebietstheile bis zur Räumung von Belfort. Graf Arnim
k"prizirte sich nun darauf, mehr zu erreichen, als der deutsche Kanzler erreichbar
hielt. Er meinte dadurch ein die politische Bedeutung Bismarcks weit
ilberstrahlendes Relief zu gewinnen. Er verheimlichte deßhalb gradezu den
Text des deutschen Vertragsentwurfs vor Thiers, den er ihm amtlich mittheilen
sollte. Er erlaubte sich eigenmächtige Aenderungen am Berliner Entwurf.
Er fingirte in seinen Berichten nach Berlin Einwendungen von Seiten des
Präsidenten Thiers, die diesem ebenso fremd, als in Berlin unverständlich
waren. Er trat aus seinem — wir können nicht anders sagen als schwindel-
hafter — Doppelspiel nicht heraus, obwohl ihm schon am 2. März der
deutsche Vertragsentwurf bezeichnet worden war als ein Ganzes, das entweder
unbedingt verworfen oder angenommen werden müsse („o'We ü, Ilüsser on s,
Vl'vväre") und obwohl zwei neuere Depeschen ihn aufforderten, zuletzt auf
Aesehl des Kaisers, Thiers den Text des Entwurfs vollständig und amtlich
»ntzutheilen. Da die Verhandlungen in Paris in unerklärlicher Weise stockten,
!° theilte der Reichskanzler den Vertragsentwurf einfach dem General von
Nantenffel mit, damit dieser bei dem Französischen Bevollmächtigten in Nancy,
Herrn de Se. Ballier nachforsche, wo die Schwierigkeiten eigentlich lügen. Ans
diese Weise erhielt Thiers erst Kenntniß von dem dentschen Vertragsentwurf.
Er acceptirte ihn sofort in allen wesentlichen Punkten freudig. Graf Arnim
Mehle die Demüthigung, daß der Abschluß der wichtigen Verhandlungen über
Nancy nach Berlin geleitet wurde, und daß der Präsident Thiers im vollen
Bewußtsein seiner ora tuts« und in klarer Erkenntniß der Falschheit des
deutschen Botschafters an Se. Ballier telegraphiren durste: „vou5 n'n.v0NK


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/117>, abgerufen am 22.07.2024.