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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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und die Accisstrafen bildeten den Einnahmeetat von zusammen 76,500 Thaler n
und da diese, auch wenn die neue Forderung für das Militär nicht genehmigt
wurde, natürlich nicht zulangten, so halfen sich die Landstände dadurch, daß
sie nothgedrungen Kapitalien anfncihmen, während Ernst August seinerseits in
der Regel vor jede" Landtag mit dem Gestündniß trat, er habe schon einige
Steuern "antizipiren" müssen, "was natürlich nicht zum Präjudiz gereichen
könne". Diese Mißwirthschaft vermehrte natürlich das Defizit von Jahr zu
Jahr, und das Schlimmste war, daß die Landstände bei allem Ingrimm sich
doch vor dem Herzog fürchteten. Sie zu chikaniren war ihm leicht, denn
meist waren sie nicht in glänzenden Verhältnissen; auch sie litten unter den
hohen Steuern, die Ernst August während seiner Regierung niemals drückend
finden konnte. Der Vertrieb der Landesprodukte nach außen war nicht ge¬
stattet; anch die treuen Landstände für ihre Person mußten Fouragelieferungen
für halbes Geld hergeben, und wenn sie Geld auf den Grundbesitz aufnehmen
wollten, verweigerte der Herzog den Unliebsamen den lehusherrlichen Konsens;
dann brach der Konkurs aus, und Niemand anders als der Herzog kaufte
das Gut an sich. Daher war schon damals das Corpus der Ritterschaft be¬
denklich zusammengeschmolzen; viele Stellen waren durch Ableben erledigt, und
Ernst August hätte seinerseits gar nicht daran gedacht, sie wieder zu besetzen,
wenn die Ausschußtage nicht darum ausdrücklich gebeten hätten. Den staats¬
rechtlich allein richtigen Standpunkt, daß die Landstandschast ein Realrecht der
Rittergüter war, hatte man völlig aufgegeben. Die Stände ihrerseits wünschten
die Besetzung der Stellen nur deshalb, weil es das Interesse des Landes
^'fordere, das von mehr Berathern besser wahrgenommen werde, als von einer
kleineren Zahl.

Gern erschienen die Stände oder "Vasallen" überhaupt nicht in Weimar. Es
gab solche, die das Recht der Landstandschast gar nicht besitzen wollten; gar
wanche, die geladen waren, erschienen aus irgend einem unterthänigst zu er¬
kennen gegebenen Grunde nie. Gleichwohl ist schon früh eine Opposition
wahrnehmbar. Aber sie war sehr gemäßigt und bewegte sich dem Souverain
gegenüber in den bescheidensten Grenzen. Wenn die Stände die Militär-
forderungen möglichst reduzirten, und wiederholt "Gott zum Zeugen an¬
riefen", daß das Land die Steuern nicht mehr aufbringen könne, so "gaben
sie sich der Hoffnung hin, daß Ernst August die Thränen so vieler Tausend
Unterthanen und den höchst bedrängten Kassenzustand zu Herzen nehmen
wöge". Aber wenig Aussicht auf die Gewährung dieser Bitte war vorhanden.
Niemand rechnete dem Herzog nach, wie die Verwilligungen verwandt wurden,
und am Lebensende desselben mangelte den Ausschußtagen die Einsicht in
die Rechnungen von zwölf Jahren! Man wußte überhaupt nicht, wozu das


und die Accisstrafen bildeten den Einnahmeetat von zusammen 76,500 Thaler n
und da diese, auch wenn die neue Forderung für das Militär nicht genehmigt
wurde, natürlich nicht zulangten, so halfen sich die Landstände dadurch, daß
sie nothgedrungen Kapitalien anfncihmen, während Ernst August seinerseits in
der Regel vor jede» Landtag mit dem Gestündniß trat, er habe schon einige
Steuern „antizipiren" müssen, „was natürlich nicht zum Präjudiz gereichen
könne". Diese Mißwirthschaft vermehrte natürlich das Defizit von Jahr zu
Jahr, und das Schlimmste war, daß die Landstände bei allem Ingrimm sich
doch vor dem Herzog fürchteten. Sie zu chikaniren war ihm leicht, denn
meist waren sie nicht in glänzenden Verhältnissen; auch sie litten unter den
hohen Steuern, die Ernst August während seiner Regierung niemals drückend
finden konnte. Der Vertrieb der Landesprodukte nach außen war nicht ge¬
stattet; anch die treuen Landstände für ihre Person mußten Fouragelieferungen
für halbes Geld hergeben, und wenn sie Geld auf den Grundbesitz aufnehmen
wollten, verweigerte der Herzog den Unliebsamen den lehusherrlichen Konsens;
dann brach der Konkurs aus, und Niemand anders als der Herzog kaufte
das Gut an sich. Daher war schon damals das Corpus der Ritterschaft be¬
denklich zusammengeschmolzen; viele Stellen waren durch Ableben erledigt, und
Ernst August hätte seinerseits gar nicht daran gedacht, sie wieder zu besetzen,
wenn die Ausschußtage nicht darum ausdrücklich gebeten hätten. Den staats¬
rechtlich allein richtigen Standpunkt, daß die Landstandschast ein Realrecht der
Rittergüter war, hatte man völlig aufgegeben. Die Stände ihrerseits wünschten
die Besetzung der Stellen nur deshalb, weil es das Interesse des Landes
^'fordere, das von mehr Berathern besser wahrgenommen werde, als von einer
kleineren Zahl.

Gern erschienen die Stände oder „Vasallen" überhaupt nicht in Weimar. Es
gab solche, die das Recht der Landstandschast gar nicht besitzen wollten; gar
wanche, die geladen waren, erschienen aus irgend einem unterthänigst zu er¬
kennen gegebenen Grunde nie. Gleichwohl ist schon früh eine Opposition
wahrnehmbar. Aber sie war sehr gemäßigt und bewegte sich dem Souverain
gegenüber in den bescheidensten Grenzen. Wenn die Stände die Militär-
forderungen möglichst reduzirten, und wiederholt „Gott zum Zeugen an¬
riefen", daß das Land die Steuern nicht mehr aufbringen könne, so „gaben
sie sich der Hoffnung hin, daß Ernst August die Thränen so vieler Tausend
Unterthanen und den höchst bedrängten Kassenzustand zu Herzen nehmen
wöge". Aber wenig Aussicht auf die Gewährung dieser Bitte war vorhanden.
Niemand rechnete dem Herzog nach, wie die Verwilligungen verwandt wurden,
und am Lebensende desselben mangelte den Ausschußtagen die Einsicht in
die Rechnungen von zwölf Jahren! Man wußte überhaupt nicht, wozu das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/89>, abgerufen am 01.07.2024.