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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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bietungen aufgenommen, ihnen entgegen betont, er wolle nichts als den Frieden*),
und dem entsprechend sowohl in Wilna beim Herzog von Bassano als in
London Vorstellungen erhoben. Für so nutzlos Hardenberg sie auch erachtete,
so instruirte er doch Gneisenau in London, sie zu unterstützen**).

Mit vollem Nachdrucke aber begann Metternich sein Vermittlungswerk
doch erst, als die Berichte seines Vertreters Floret in Wilna (vom 8., 15., 22.
November) keinen Zweifel mehr an dem Scheitern des ganzen Feldzuges, ja an
der Auflösung der "großen Armee" gestatteten***) Jetzt hielt er eine Nach¬
giebigkeit Napoleons für möglich, und so instruirte er Floret durch eine aus¬
führliche Depesche vom 9. Dezember in dieser Richtung: der Feldzug sei ge¬
scheitert, die Behauptung auch nur Litthauens unmöglich; bei der tiefen Er¬
regung der Völker stehe das Aeußerste bevor, sobald Napoleon seinen Krieg
gegen Rußland wieder aufnehmen wolle. Nur der allgemeine Friede könne
einer allgemeinen Katastrophe vorbeugen; ihn zu vermitteln biete sich Oester¬
reich an f). Ungefähr dasselbe führte der Brief des Kaisers aus (vom 20.
Dezember), welcher ein Schreiben Napoleons (datirt Dresden 14. Dezember),
der inzwischen ja die Armee verlassen hatte, und die darin ausgesprochene
Forderung einer Verstärkung des österreichischen Hilfscorps zu beantworten be¬
stimmt war, nur mit der sehr bestimmten Erklärung, der Kaiser werde nicht
dulden, daß (was ja bei der Wiederaufnahme des Krieges seitens Napoleons
möglich war) Oesterreich der Kriegsschauplatz werde, und habe eine Interesse
daran, auch das Herzogthum Warschau und Preußen vor diesem Schicksal zu
bewahren; er werde deshalb keine Verstärkung seines Hilfscorps bewilligen,
vielmehr sei wünschenswert!), dasselbe möglichst dicht an die österreichische
Grenze zurückzunehmen. Graf Bubna empfing den Auftrag, dies kaiserliche
Handschreiben zu überbringen und zu erläutern. Am 31. Dezember Abends
hatte er beim Kaiser eine zweiundeinhalbstündige Audienz. Napoleon erging
sich in Ausführungen über die Ursache der Katastrophe, die er wesentlich in
der furchtbaren Kälte, durchaus nicht in den russischen Operationen (und noch
weniger in seiner eignen verderblichen Zögerung) suchte. Er zeigte sich ent¬
schlossen, im nächsten Frühjahr mit 400,000 Streitern den Feldzug wieder
zu eröffnen; Dänemarks und Preußens meinte er sicher zu sein; daß Oester¬
reich gegen ihn und für Rußland sich erkläre, erschien ihm ganz unmöglich. Erst
als Bubna betonte, sein kaiserlicher Herr wolle überhaupt den Frieden, keines¬
wegs den Krieg, erklärte sich Napoleon zum Frieden mit Rußland, uicht jedoch






*) Oncken 29 f. -- Ueber diese auch Häußer IV," S,
**) Oncken .?0 f. Duncker 449.
***) Oncken 32 f.
f) Oncken SS ff.

bietungen aufgenommen, ihnen entgegen betont, er wolle nichts als den Frieden*),
und dem entsprechend sowohl in Wilna beim Herzog von Bassano als in
London Vorstellungen erhoben. Für so nutzlos Hardenberg sie auch erachtete,
so instruirte er doch Gneisenau in London, sie zu unterstützen**).

Mit vollem Nachdrucke aber begann Metternich sein Vermittlungswerk
doch erst, als die Berichte seines Vertreters Floret in Wilna (vom 8., 15., 22.
November) keinen Zweifel mehr an dem Scheitern des ganzen Feldzuges, ja an
der Auflösung der „großen Armee" gestatteten***) Jetzt hielt er eine Nach¬
giebigkeit Napoleons für möglich, und so instruirte er Floret durch eine aus¬
führliche Depesche vom 9. Dezember in dieser Richtung: der Feldzug sei ge¬
scheitert, die Behauptung auch nur Litthauens unmöglich; bei der tiefen Er¬
regung der Völker stehe das Aeußerste bevor, sobald Napoleon seinen Krieg
gegen Rußland wieder aufnehmen wolle. Nur der allgemeine Friede könne
einer allgemeinen Katastrophe vorbeugen; ihn zu vermitteln biete sich Oester¬
reich an f). Ungefähr dasselbe führte der Brief des Kaisers aus (vom 20.
Dezember), welcher ein Schreiben Napoleons (datirt Dresden 14. Dezember),
der inzwischen ja die Armee verlassen hatte, und die darin ausgesprochene
Forderung einer Verstärkung des österreichischen Hilfscorps zu beantworten be¬
stimmt war, nur mit der sehr bestimmten Erklärung, der Kaiser werde nicht
dulden, daß (was ja bei der Wiederaufnahme des Krieges seitens Napoleons
möglich war) Oesterreich der Kriegsschauplatz werde, und habe eine Interesse
daran, auch das Herzogthum Warschau und Preußen vor diesem Schicksal zu
bewahren; er werde deshalb keine Verstärkung seines Hilfscorps bewilligen,
vielmehr sei wünschenswert!), dasselbe möglichst dicht an die österreichische
Grenze zurückzunehmen. Graf Bubna empfing den Auftrag, dies kaiserliche
Handschreiben zu überbringen und zu erläutern. Am 31. Dezember Abends
hatte er beim Kaiser eine zweiundeinhalbstündige Audienz. Napoleon erging
sich in Ausführungen über die Ursache der Katastrophe, die er wesentlich in
der furchtbaren Kälte, durchaus nicht in den russischen Operationen (und noch
weniger in seiner eignen verderblichen Zögerung) suchte. Er zeigte sich ent¬
schlossen, im nächsten Frühjahr mit 400,000 Streitern den Feldzug wieder
zu eröffnen; Dänemarks und Preußens meinte er sicher zu sein; daß Oester¬
reich gegen ihn und für Rußland sich erkläre, erschien ihm ganz unmöglich. Erst
als Bubna betonte, sein kaiserlicher Herr wolle überhaupt den Frieden, keines¬
wegs den Krieg, erklärte sich Napoleon zum Frieden mit Rußland, uicht jedoch






*) Oncken 29 f. — Ueber diese auch Häußer IV,» S,
**) Oncken .?0 f. Duncker 449.
***) Oncken 32 f.
f) Oncken SS ff.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/8>, abgerufen am 03.07.2024.