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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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zu bemächtigen. Noch am Abend des 17. Januar war deshalb der Staats¬
kanzler nach Potsdam geeilt, üm den König zur sofortigen Abreise zu be¬
stimmen; die Potsdamer Garnison rückte aus wie zur FeldübuUg vor dem
Herzog von Koburg, erhielt aber scharfe Patronen; das Leibregiment bekam
Ordre zum Ausmarsch; in Berlin selbst war die Aufregung außerordentlich;
man hat daran gedacht, die Bevölkerung durch die Sturmglocken zu den
Waffen zu rufen. Inwieweit die Sache von den Frauzosen wirklich beab¬
sichtigt gewesen, ist nicht ganz klar; jedenfalls thaten sie nichts, vielleicht, weil
Augereau mit Grenier nicht einverstanden war*). Mittlerweile traf am
18. Januar ein Brief des Zaren an den König ein, welcher die früheren Zu-
sicherungen aufs nachdrücklichste wiederholte (datirt Wilna 6. Januar**)); und
am 20. Morgens erschien Major v. Rechner nach mühseliger Reise in Pots¬
dam, um persönlich seinen Bericht zu erstatten***). Dies entschied; der König
beschloß seine Abreise nach Schlesien für den 22. Januar. Was am 21. von
Wien her durch Knesebeck gemeldet wurde, konnte diesen Beschluß nur recht¬
fertigen. Denn in einem langen, von Metternich mit manchen Randbemerkungen
versehenen Berichte (vom 14.) meldete der Gesandte: Da Oesterreich in einer
ganz andern Lage sei, als Preußen, und die Vermittelung des Friedens bereits
angeboten habe, so müsse es sich fürs erste mit langsamen Rüstungen und
mit Zuwarten begnügen, wünsche aber, daß der König nach Schlesien gehe nud
Schlesien für neutral erkläre (also es den Franzosen schließe), und habe nichts
einzuwenden, wenn Preußen sich nu Rußland anschließe, f) So war man
Oesterreichs Zustimmung gewiß, so reservirt sie klang, aber Preußen mußte
allein vorwärts, im Vertrauen auf die Zusicherungen Kaiser Alexanders.

Es konnte keinem verborgen bleiben: die Abreise des Königs nach Schlesien,
so harmlos sie aussah, war der erste ernste Schritt von Frankreich hinweg,
Rußland entgegen. In tiefster Bewegung hat damals der König den Kron¬
prinzen noch einseguen lassen, und jedem sprach der junge Fürst aus dem
Herzen, als er sagte: "Ich glaube an den, der zum Uebermuthe spricht: bis
hierher und nicht weiter." ff) Ueber Beeskvw, Sagan, Haynau ging die Reise;
am 25. Januar zog der König im jubelnden Breslau ein.fff) Er war in
Sicherheit und frei, und jeder verstand, was das bedeute.

Hardenberg hatte noch am 22. Abends bei Tafel den französischen Staats¬
männern und Generalen mit harmlosester Miene Mittheilung von der Abreise








*) Hardenberg-Ranke IV. ZS2 f. Oncken 188 N. 1-
**
) Kunckcr 481 f.
***) ni, a. O, Natzmer 102. 94.
f) Oncken 137 ff.
ff) Hardenberg-Ranke IV, 3SS.
fff) Natzmer 105.

zu bemächtigen. Noch am Abend des 17. Januar war deshalb der Staats¬
kanzler nach Potsdam geeilt, üm den König zur sofortigen Abreise zu be¬
stimmen; die Potsdamer Garnison rückte aus wie zur FeldübuUg vor dem
Herzog von Koburg, erhielt aber scharfe Patronen; das Leibregiment bekam
Ordre zum Ausmarsch; in Berlin selbst war die Aufregung außerordentlich;
man hat daran gedacht, die Bevölkerung durch die Sturmglocken zu den
Waffen zu rufen. Inwieweit die Sache von den Frauzosen wirklich beab¬
sichtigt gewesen, ist nicht ganz klar; jedenfalls thaten sie nichts, vielleicht, weil
Augereau mit Grenier nicht einverstanden war*). Mittlerweile traf am
18. Januar ein Brief des Zaren an den König ein, welcher die früheren Zu-
sicherungen aufs nachdrücklichste wiederholte (datirt Wilna 6. Januar**)); und
am 20. Morgens erschien Major v. Rechner nach mühseliger Reise in Pots¬
dam, um persönlich seinen Bericht zu erstatten***). Dies entschied; der König
beschloß seine Abreise nach Schlesien für den 22. Januar. Was am 21. von
Wien her durch Knesebeck gemeldet wurde, konnte diesen Beschluß nur recht¬
fertigen. Denn in einem langen, von Metternich mit manchen Randbemerkungen
versehenen Berichte (vom 14.) meldete der Gesandte: Da Oesterreich in einer
ganz andern Lage sei, als Preußen, und die Vermittelung des Friedens bereits
angeboten habe, so müsse es sich fürs erste mit langsamen Rüstungen und
mit Zuwarten begnügen, wünsche aber, daß der König nach Schlesien gehe nud
Schlesien für neutral erkläre (also es den Franzosen schließe), und habe nichts
einzuwenden, wenn Preußen sich nu Rußland anschließe, f) So war man
Oesterreichs Zustimmung gewiß, so reservirt sie klang, aber Preußen mußte
allein vorwärts, im Vertrauen auf die Zusicherungen Kaiser Alexanders.

Es konnte keinem verborgen bleiben: die Abreise des Königs nach Schlesien,
so harmlos sie aussah, war der erste ernste Schritt von Frankreich hinweg,
Rußland entgegen. In tiefster Bewegung hat damals der König den Kron¬
prinzen noch einseguen lassen, und jedem sprach der junge Fürst aus dem
Herzen, als er sagte: „Ich glaube an den, der zum Uebermuthe spricht: bis
hierher und nicht weiter." ff) Ueber Beeskvw, Sagan, Haynau ging die Reise;
am 25. Januar zog der König im jubelnden Breslau ein.fff) Er war in
Sicherheit und frei, und jeder verstand, was das bedeute.

Hardenberg hatte noch am 22. Abends bei Tafel den französischen Staats¬
männern und Generalen mit harmlosester Miene Mittheilung von der Abreise








*) Hardenberg-Ranke IV. ZS2 f. Oncken 188 N. 1-
**
) Kunckcr 481 f.
***) ni, a. O, Natzmer 102. 94.
f) Oncken 137 ff.
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[0066] zu bemächtigen. Noch am Abend des 17. Januar war deshalb der Staats¬ kanzler nach Potsdam geeilt, üm den König zur sofortigen Abreise zu be¬ stimmen; die Potsdamer Garnison rückte aus wie zur FeldübuUg vor dem Herzog von Koburg, erhielt aber scharfe Patronen; das Leibregiment bekam Ordre zum Ausmarsch; in Berlin selbst war die Aufregung außerordentlich; man hat daran gedacht, die Bevölkerung durch die Sturmglocken zu den Waffen zu rufen. Inwieweit die Sache von den Frauzosen wirklich beab¬ sichtigt gewesen, ist nicht ganz klar; jedenfalls thaten sie nichts, vielleicht, weil Augereau mit Grenier nicht einverstanden war*). Mittlerweile traf am 18. Januar ein Brief des Zaren an den König ein, welcher die früheren Zu- sicherungen aufs nachdrücklichste wiederholte (datirt Wilna 6. Januar**)); und am 20. Morgens erschien Major v. Rechner nach mühseliger Reise in Pots¬ dam, um persönlich seinen Bericht zu erstatten***). Dies entschied; der König beschloß seine Abreise nach Schlesien für den 22. Januar. Was am 21. von Wien her durch Knesebeck gemeldet wurde, konnte diesen Beschluß nur recht¬ fertigen. Denn in einem langen, von Metternich mit manchen Randbemerkungen versehenen Berichte (vom 14.) meldete der Gesandte: Da Oesterreich in einer ganz andern Lage sei, als Preußen, und die Vermittelung des Friedens bereits angeboten habe, so müsse es sich fürs erste mit langsamen Rüstungen und mit Zuwarten begnügen, wünsche aber, daß der König nach Schlesien gehe nud Schlesien für neutral erkläre (also es den Franzosen schließe), und habe nichts einzuwenden, wenn Preußen sich nu Rußland anschließe, f) So war man Oesterreichs Zustimmung gewiß, so reservirt sie klang, aber Preußen mußte allein vorwärts, im Vertrauen auf die Zusicherungen Kaiser Alexanders. Es konnte keinem verborgen bleiben: die Abreise des Königs nach Schlesien, so harmlos sie aussah, war der erste ernste Schritt von Frankreich hinweg, Rußland entgegen. In tiefster Bewegung hat damals der König den Kron¬ prinzen noch einseguen lassen, und jedem sprach der junge Fürst aus dem Herzen, als er sagte: „Ich glaube an den, der zum Uebermuthe spricht: bis hierher und nicht weiter." ff) Ueber Beeskvw, Sagan, Haynau ging die Reise; am 25. Januar zog der König im jubelnden Breslau ein.fff) Er war in Sicherheit und frei, und jeder verstand, was das bedeute. Hardenberg hatte noch am 22. Abends bei Tafel den französischen Staats¬ männern und Generalen mit harmlosester Miene Mittheilung von der Abreise *) Hardenberg-Ranke IV. ZS2 f. Oncken 188 N. 1- ** ) Kunckcr 481 f. ***) ni, a. O, Natzmer 102. 94. f) Oncken 137 ff. ff) Hardenberg-Ranke IV, 3SS. fff) Natzmer 105.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/66>, abgerufen am 23.07.2024.