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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Vorbereitungszeit erfreuliches Detail bringen. Alle diese Arbeiten sind natur¬
gemäß wesentlich Stoffsammlungen, Vorarbeiten zu einer wirklichen Geschichte
dieser Zeit. Auch die Darstellung Rankes im vierten Bande der kürzlich er¬
schienenen "Memoiren Hardenbergs" soll nur die Hauptgesichtspunkte hervor¬
heben und gibt keineswegs eine vollständige Erzählung.

Eine solche soll auch das Folgende nicht sein, sondern nur ein Versuch,
die wichtigen neuen Ergebnisse, welche jene Publikationen über die diplomatische
Vorgeschichte wahrzunehmen gestatten, in großen Zügen vorzuführen.

Die unerhört schwierige Lage, in welcher sich Preußen seit dem erzwungenen
Bündnisse mit Frankreich (Februar 1812) befand, hatte bereits während des
Fürstentages, den Napoleon im Mai 1812 zu Dresden um sich versammelte,
zu einer persönlichen Annäherung König Friedrich Wilhelms an den öster¬
reichischen Hof geführt. Sie fand dann ihren Ausdruck in der überaus zu¬
vorkommender Aufnahme, welche der König während seines Badeaufenthalts
in Teplitz im August und September seitens des kaiserlichen Hofes fand, und
diese wiederum bot die Veranlassung, als der König am 16. September seine
Heimreise angetreten, den Major von Rechner, den vertrauten Freund des
Prinzen Wilhelm, mit einem dankenden Schreiben des Königs nach Wien zu
senden. Hier hatte der Major mehrfache Besprechungen mit Metternich und
Gentz sowie mehrere Audienzen bei Kaiser Franz. Dieser sprach unverhohlen
ihm gegenüber aus: er halte die Zeit sür nicht mehr fern, wo er einen Bund mit
Preußen und Rußland werde schließen können, machte dabei ihm "höchst merk¬
würdige Konfidenzen", über welche leider Genaueres nicht aufzufinden ist*).
In dieselbe Zeit fällt nun die merkwürdige persönliche Korrespondenz, welche,
übrigens im tiefsten Geheimniß und nnter Mitwirkung des österreichischen
Gesandtschaftsträgers in Berlin, Grafen Zichy, aber ohne Wissen des preußischen
Gesandten am Wiener Hofe, W. von Humboldt, der Staatskanzler Hardenberg
mit Metternich anknüpfte und mit einem Schreiben vom 3. September er¬
öffnete. Noch wagte Hardenberg nicht an eine Befreiung zu denken; berichteten
doch alle Briefe aus Rußland von dem ungestörten siegreichen Vordringen
Napoleons, und erwartete doch auch der Staatskanzler von der ganzen russischen
Kriegführung nur den Sieg der Franzosen. Aus alledem ergab sich ihm, daß
die ohnehin verzweifelte Lage Preußens nur noch verzweifelter sich gestalten
müsse, und nur eine Möglichkeit sie zu mildern schien ihm vorhanden zu sein:
eine vorläufige Verständigung mit Oesterreich über eine gemeinsam einzuhaltende
Linie ihres Verfahrens^). Fürst Metternich theilte diese pessimistische Auf-




Natzmer 73 -- 80.
**) Oncken 6 ff. -- Hier und für den ganzen Gang der österreichischen Vermittelung
lehrt eine Vergleichung mit Häußer IV / 4 ff., wie viel Neues durch Oncken mitgetheilt

Vorbereitungszeit erfreuliches Detail bringen. Alle diese Arbeiten sind natur¬
gemäß wesentlich Stoffsammlungen, Vorarbeiten zu einer wirklichen Geschichte
dieser Zeit. Auch die Darstellung Rankes im vierten Bande der kürzlich er¬
schienenen „Memoiren Hardenbergs" soll nur die Hauptgesichtspunkte hervor¬
heben und gibt keineswegs eine vollständige Erzählung.

Eine solche soll auch das Folgende nicht sein, sondern nur ein Versuch,
die wichtigen neuen Ergebnisse, welche jene Publikationen über die diplomatische
Vorgeschichte wahrzunehmen gestatten, in großen Zügen vorzuführen.

Die unerhört schwierige Lage, in welcher sich Preußen seit dem erzwungenen
Bündnisse mit Frankreich (Februar 1812) befand, hatte bereits während des
Fürstentages, den Napoleon im Mai 1812 zu Dresden um sich versammelte,
zu einer persönlichen Annäherung König Friedrich Wilhelms an den öster¬
reichischen Hof geführt. Sie fand dann ihren Ausdruck in der überaus zu¬
vorkommender Aufnahme, welche der König während seines Badeaufenthalts
in Teplitz im August und September seitens des kaiserlichen Hofes fand, und
diese wiederum bot die Veranlassung, als der König am 16. September seine
Heimreise angetreten, den Major von Rechner, den vertrauten Freund des
Prinzen Wilhelm, mit einem dankenden Schreiben des Königs nach Wien zu
senden. Hier hatte der Major mehrfache Besprechungen mit Metternich und
Gentz sowie mehrere Audienzen bei Kaiser Franz. Dieser sprach unverhohlen
ihm gegenüber aus: er halte die Zeit sür nicht mehr fern, wo er einen Bund mit
Preußen und Rußland werde schließen können, machte dabei ihm „höchst merk¬
würdige Konfidenzen", über welche leider Genaueres nicht aufzufinden ist*).
In dieselbe Zeit fällt nun die merkwürdige persönliche Korrespondenz, welche,
übrigens im tiefsten Geheimniß und nnter Mitwirkung des österreichischen
Gesandtschaftsträgers in Berlin, Grafen Zichy, aber ohne Wissen des preußischen
Gesandten am Wiener Hofe, W. von Humboldt, der Staatskanzler Hardenberg
mit Metternich anknüpfte und mit einem Schreiben vom 3. September er¬
öffnete. Noch wagte Hardenberg nicht an eine Befreiung zu denken; berichteten
doch alle Briefe aus Rußland von dem ungestörten siegreichen Vordringen
Napoleons, und erwartete doch auch der Staatskanzler von der ganzen russischen
Kriegführung nur den Sieg der Franzosen. Aus alledem ergab sich ihm, daß
die ohnehin verzweifelte Lage Preußens nur noch verzweifelter sich gestalten
müsse, und nur eine Möglichkeit sie zu mildern schien ihm vorhanden zu sein:
eine vorläufige Verständigung mit Oesterreich über eine gemeinsam einzuhaltende
Linie ihres Verfahrens^). Fürst Metternich theilte diese pessimistische Auf-




Natzmer 73 — 80.
**) Oncken 6 ff. — Hier und für den ganzen Gang der österreichischen Vermittelung
lehrt eine Vergleichung mit Häußer IV / 4 ff., wie viel Neues durch Oncken mitgetheilt
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[0006] Vorbereitungszeit erfreuliches Detail bringen. Alle diese Arbeiten sind natur¬ gemäß wesentlich Stoffsammlungen, Vorarbeiten zu einer wirklichen Geschichte dieser Zeit. Auch die Darstellung Rankes im vierten Bande der kürzlich er¬ schienenen „Memoiren Hardenbergs" soll nur die Hauptgesichtspunkte hervor¬ heben und gibt keineswegs eine vollständige Erzählung. Eine solche soll auch das Folgende nicht sein, sondern nur ein Versuch, die wichtigen neuen Ergebnisse, welche jene Publikationen über die diplomatische Vorgeschichte wahrzunehmen gestatten, in großen Zügen vorzuführen. Die unerhört schwierige Lage, in welcher sich Preußen seit dem erzwungenen Bündnisse mit Frankreich (Februar 1812) befand, hatte bereits während des Fürstentages, den Napoleon im Mai 1812 zu Dresden um sich versammelte, zu einer persönlichen Annäherung König Friedrich Wilhelms an den öster¬ reichischen Hof geführt. Sie fand dann ihren Ausdruck in der überaus zu¬ vorkommender Aufnahme, welche der König während seines Badeaufenthalts in Teplitz im August und September seitens des kaiserlichen Hofes fand, und diese wiederum bot die Veranlassung, als der König am 16. September seine Heimreise angetreten, den Major von Rechner, den vertrauten Freund des Prinzen Wilhelm, mit einem dankenden Schreiben des Königs nach Wien zu senden. Hier hatte der Major mehrfache Besprechungen mit Metternich und Gentz sowie mehrere Audienzen bei Kaiser Franz. Dieser sprach unverhohlen ihm gegenüber aus: er halte die Zeit sür nicht mehr fern, wo er einen Bund mit Preußen und Rußland werde schließen können, machte dabei ihm „höchst merk¬ würdige Konfidenzen", über welche leider Genaueres nicht aufzufinden ist*). In dieselbe Zeit fällt nun die merkwürdige persönliche Korrespondenz, welche, übrigens im tiefsten Geheimniß und nnter Mitwirkung des österreichischen Gesandtschaftsträgers in Berlin, Grafen Zichy, aber ohne Wissen des preußischen Gesandten am Wiener Hofe, W. von Humboldt, der Staatskanzler Hardenberg mit Metternich anknüpfte und mit einem Schreiben vom 3. September er¬ öffnete. Noch wagte Hardenberg nicht an eine Befreiung zu denken; berichteten doch alle Briefe aus Rußland von dem ungestörten siegreichen Vordringen Napoleons, und erwartete doch auch der Staatskanzler von der ganzen russischen Kriegführung nur den Sieg der Franzosen. Aus alledem ergab sich ihm, daß die ohnehin verzweifelte Lage Preußens nur noch verzweifelter sich gestalten müsse, und nur eine Möglichkeit sie zu mildern schien ihm vorhanden zu sein: eine vorläufige Verständigung mit Oesterreich über eine gemeinsam einzuhaltende Linie ihres Verfahrens^). Fürst Metternich theilte diese pessimistische Auf- Natzmer 73 — 80. **) Oncken 6 ff. — Hier und für den ganzen Gang der österreichischen Vermittelung lehrt eine Vergleichung mit Häußer IV / 4 ff., wie viel Neues durch Oncken mitgetheilt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/6>, abgerufen am 28.09.2024.