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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Gabriel einen solchen Talisman einverleibt haben. In vielen Läden Stam-
buls ferner sieht man eine Abbildung des mystischen Thieres Adana, einer
Sphinx mit Kopf und Brust eines Weibes und dem Körper eines Löwen, zur
Abwendung des bösen Blickes aufgehängt. Die Bauern Rumeliens und
Anatoliens bringen auf ihren Feldern Schädel vou Ochsen oder Pferden an,
um die Ernten gegen Augenzauber zu sichern. Häufig sieht man in der Türkei
Kinder, denen zum Schutz gegen das "Naßr" -- so heißt hier der bewundernde,
neidische oder giftige Blick -- eine Knolle Knoblauch in die Haare geflochten
ist. Zu deu Hauptgegenständeu des Kopfputzes der reichen Tttrkiuuen gehört
das "Naßraskissi", welches aus drei hohlen Gehängen besteht, von denen das
eine einen kleinen Türkis, das andere einen der Namen Gottes und das dritte
ein Alaunköruchen enthält. Wenn bei einer Hochzeit das Brautgemach einge¬
richtet wird, so vergißt man niemals über der Thür desselben auf der Innen¬
seite ein großes Stück Alaun in einem scharlachrothen Tuche aufzuhängen,
welches vor dem bösen Auge bewahren soll und dort Jahre lang verbleibt.
Ist ein Barbier zugleich Zahnarzt, so pflegt er über der Thür seiner Bude
ein dreieckiges Mosaik von Zähnen und blauen Glasperlen anzubringen. Die
Zähne stellen die Trophäen seiner Kunst vor, die Perlen aber behüten ihn vor
dem Augenzauber. In jedem türkischen Kramladen sind kleine handförmige
Büchsen mit blauen Korallen zu haben, die man den Kindern als Amulete
umhängt. Endlich befestigen viele Leute in den türkischen Städten und
Dörfern Talismane oder ganze Kränze von solchen an den Giebeln ihrer
Häuser, um den bösen Blick zu entwaffnen.

Auch außerhalb Europas finden wir den hier besprochenen Aberglauben
weit verbreitet. Unter den Jernsalemer Juden heißt das neidische Auge "Ajin
rab", und um die Kiuder dagegen zu schützen, bindet man ihnen ein goldnes
oder silbernes Amulet in Gestalt einer kleinen Hand mit einem Faden an den
Kopf. Wird ein Haus frisch getüncht, so malt man, um es vor Schaden
durch das Ajin rab zu bewahren, eine große schwarze Hand an die Wand,
welche, weil sie alle fünf Finger streckt, "Chmusa", d. i. "die Fünf" genannt
wird. Wenn jemand krank wird und die Ursache darin sucht, daß ihm eins
mit den Augen etwas angethan habe, so läßt man eine "Absprechen"" kommen,
welche dem Bezauberten mit einem Kamme oder einem stiellosen Messer über
den Kopf zu fahren und dazu die Namen der drei Erzväter und Mosis des
Lehrers zu murmeln Pflegt.

Die Hand mit den ausgestreckten fünf Fingern begegnet uns in Jerusalem
auch in den Höfen türkischer und arabischer Häuser als Schutzmittel gegen
das "Naßr", wie auch unter den Arabern das böse Auge bezeichnet wird.
Wir treffen sie in ganz Nordafrika, in Tunis, wo man zur Abwendung der


Gabriel einen solchen Talisman einverleibt haben. In vielen Läden Stam-
buls ferner sieht man eine Abbildung des mystischen Thieres Adana, einer
Sphinx mit Kopf und Brust eines Weibes und dem Körper eines Löwen, zur
Abwendung des bösen Blickes aufgehängt. Die Bauern Rumeliens und
Anatoliens bringen auf ihren Feldern Schädel vou Ochsen oder Pferden an,
um die Ernten gegen Augenzauber zu sichern. Häufig sieht man in der Türkei
Kinder, denen zum Schutz gegen das „Naßr" — so heißt hier der bewundernde,
neidische oder giftige Blick — eine Knolle Knoblauch in die Haare geflochten
ist. Zu deu Hauptgegenständeu des Kopfputzes der reichen Tttrkiuuen gehört
das „Naßraskissi", welches aus drei hohlen Gehängen besteht, von denen das
eine einen kleinen Türkis, das andere einen der Namen Gottes und das dritte
ein Alaunköruchen enthält. Wenn bei einer Hochzeit das Brautgemach einge¬
richtet wird, so vergißt man niemals über der Thür desselben auf der Innen¬
seite ein großes Stück Alaun in einem scharlachrothen Tuche aufzuhängen,
welches vor dem bösen Auge bewahren soll und dort Jahre lang verbleibt.
Ist ein Barbier zugleich Zahnarzt, so pflegt er über der Thür seiner Bude
ein dreieckiges Mosaik von Zähnen und blauen Glasperlen anzubringen. Die
Zähne stellen die Trophäen seiner Kunst vor, die Perlen aber behüten ihn vor
dem Augenzauber. In jedem türkischen Kramladen sind kleine handförmige
Büchsen mit blauen Korallen zu haben, die man den Kindern als Amulete
umhängt. Endlich befestigen viele Leute in den türkischen Städten und
Dörfern Talismane oder ganze Kränze von solchen an den Giebeln ihrer
Häuser, um den bösen Blick zu entwaffnen.

Auch außerhalb Europas finden wir den hier besprochenen Aberglauben
weit verbreitet. Unter den Jernsalemer Juden heißt das neidische Auge „Ajin
rab", und um die Kiuder dagegen zu schützen, bindet man ihnen ein goldnes
oder silbernes Amulet in Gestalt einer kleinen Hand mit einem Faden an den
Kopf. Wird ein Haus frisch getüncht, so malt man, um es vor Schaden
durch das Ajin rab zu bewahren, eine große schwarze Hand an die Wand,
welche, weil sie alle fünf Finger streckt, „Chmusa", d. i. „die Fünf" genannt
wird. Wenn jemand krank wird und die Ursache darin sucht, daß ihm eins
mit den Augen etwas angethan habe, so läßt man eine „Absprechen»" kommen,
welche dem Bezauberten mit einem Kamme oder einem stiellosen Messer über
den Kopf zu fahren und dazu die Namen der drei Erzväter und Mosis des
Lehrers zu murmeln Pflegt.

Die Hand mit den ausgestreckten fünf Fingern begegnet uns in Jerusalem
auch in den Höfen türkischer und arabischer Häuser als Schutzmittel gegen
das „Naßr", wie auch unter den Arabern das böse Auge bezeichnet wird.
Wir treffen sie in ganz Nordafrika, in Tunis, wo man zur Abwendung der


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[0056] Gabriel einen solchen Talisman einverleibt haben. In vielen Läden Stam- buls ferner sieht man eine Abbildung des mystischen Thieres Adana, einer Sphinx mit Kopf und Brust eines Weibes und dem Körper eines Löwen, zur Abwendung des bösen Blickes aufgehängt. Die Bauern Rumeliens und Anatoliens bringen auf ihren Feldern Schädel vou Ochsen oder Pferden an, um die Ernten gegen Augenzauber zu sichern. Häufig sieht man in der Türkei Kinder, denen zum Schutz gegen das „Naßr" — so heißt hier der bewundernde, neidische oder giftige Blick — eine Knolle Knoblauch in die Haare geflochten ist. Zu deu Hauptgegenständeu des Kopfputzes der reichen Tttrkiuuen gehört das „Naßraskissi", welches aus drei hohlen Gehängen besteht, von denen das eine einen kleinen Türkis, das andere einen der Namen Gottes und das dritte ein Alaunköruchen enthält. Wenn bei einer Hochzeit das Brautgemach einge¬ richtet wird, so vergißt man niemals über der Thür desselben auf der Innen¬ seite ein großes Stück Alaun in einem scharlachrothen Tuche aufzuhängen, welches vor dem bösen Auge bewahren soll und dort Jahre lang verbleibt. Ist ein Barbier zugleich Zahnarzt, so pflegt er über der Thür seiner Bude ein dreieckiges Mosaik von Zähnen und blauen Glasperlen anzubringen. Die Zähne stellen die Trophäen seiner Kunst vor, die Perlen aber behüten ihn vor dem Augenzauber. In jedem türkischen Kramladen sind kleine handförmige Büchsen mit blauen Korallen zu haben, die man den Kindern als Amulete umhängt. Endlich befestigen viele Leute in den türkischen Städten und Dörfern Talismane oder ganze Kränze von solchen an den Giebeln ihrer Häuser, um den bösen Blick zu entwaffnen. Auch außerhalb Europas finden wir den hier besprochenen Aberglauben weit verbreitet. Unter den Jernsalemer Juden heißt das neidische Auge „Ajin rab", und um die Kiuder dagegen zu schützen, bindet man ihnen ein goldnes oder silbernes Amulet in Gestalt einer kleinen Hand mit einem Faden an den Kopf. Wird ein Haus frisch getüncht, so malt man, um es vor Schaden durch das Ajin rab zu bewahren, eine große schwarze Hand an die Wand, welche, weil sie alle fünf Finger streckt, „Chmusa", d. i. „die Fünf" genannt wird. Wenn jemand krank wird und die Ursache darin sucht, daß ihm eins mit den Augen etwas angethan habe, so läßt man eine „Absprechen»" kommen, welche dem Bezauberten mit einem Kamme oder einem stiellosen Messer über den Kopf zu fahren und dazu die Namen der drei Erzväter und Mosis des Lehrers zu murmeln Pflegt. Die Hand mit den ausgestreckten fünf Fingern begegnet uns in Jerusalem auch in den Höfen türkischer und arabischer Häuser als Schutzmittel gegen das „Naßr", wie auch unter den Arabern das böse Auge bezeichnet wird. Wir treffen sie in ganz Nordafrika, in Tunis, wo man zur Abwendung der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/56>, abgerufen am 23.07.2024.