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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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mühevolle, hingebende Pflege vermochten gewiß jederzeit dein nordischen Reben¬
safte manches von dem zu ersetzen, was die Natur andern Weinen von selbst
gab. Und diese Bedingungen hat der alte Winzer sicher erfüllt, wie denn Kur¬
sachsen seine besseren Weinlager noch im sechzehnten und siebzehnten Jahr¬
hunderte mit Reben vom Rheine und aus Schwaben veredelte und je nach
deren Bauart behandeln ließ." Daß der Norden sich früher eines Klima's
erfreut, das der Rebe nicht so feindlich gewesen als das heutzutage, ist eine
Vermuthung, die uns nicht einleuchten will. Doch mögen größere Waldungen
einigen Schutz gewährt haben. Uebrigens wurde der Wein in der alten Zeit,
soweit er Landwein war, vielfach mit Honig versüßt und mit Gewürzen
schmackhafter gemacht.

Wenn der Weinbau in Norddeutschland bis auf verhältnißmäßig geringe
Reste aufgehört hat, so hat das verschiedene Ursachen. Er war an vielen
Stellen von Klöstern betrieben worden, und diesen machte die Reformation
großentheils ein Ende. Ferner waren die Verkehrsmittel, durch die man sich
bessere Weine verschaffen konnte, allmählich bequemer und das Volk war durch
größeren Reichthum fähiger geworden, jene zu bezahlen. Sodann wirkte die
Verbreitung des Branntweingenusses seit dem Ende des fünfzehnten Jahrhun¬
derts auf den Weiukousum, Der dreißigjährige Krieg zerstörte eine große
Anzahl von Weinbergen, und von denen, die erhalten blieben, fielen viele
später dem Kartoffelbau zum Opfer. Lange Zeit hatte das Volk von der
neuen Erdfrucht im Großen und Ganzen nichts wissen wollen. Da hatten
aber der naßkalte Frühling und der regnerische Sommer von 1770 und die
Nachtfröste und Regengüsse der ersten Hälfte des folgenden Jahres, infolge
deren der Preis der Brodfrüchte auf das Vierfache des Durchschuittswerthes
stieg, eine Hungersnoth zur Folge, welche die Vorurtheile der großen Masse
gegen die Kartoffel beseitigte, und wie im Süden so beeilte man sich auch im
Norden, in Hessen und Thüringen, Ober- und Niedersachsen, in Westfalen, der
Mark und Schlesien, das Versäumte nachzuholen und, soweit es die noch
bestehenden Triften und Hutungsservitute erlaubten, die unschätzbare Knolle an¬
zubauen. Das war die Zeit, wo man anfing, jeden Rand, jeden Garten mit
Kartoffeln zu bepflanzen, wo man die Reben ausriß, um den hutfreien
Weinberg in ein Kartoffelfeld zu verwandeln, und einen großen Theil
des Brachackers, sobald er tristfrei war, mit der amerikanischen "Erdbirne" zu
besetzen. An vielen Orten verschwanden damals die Rebhügel ganz, und nur
die Namen Wingert, Weingarten oder Weinberg blieben, um spätere Ge¬
schlechter an den bedeutenden Umfang der alten norddeutschen Weinkultur zu
erinnern.


mühevolle, hingebende Pflege vermochten gewiß jederzeit dein nordischen Reben¬
safte manches von dem zu ersetzen, was die Natur andern Weinen von selbst
gab. Und diese Bedingungen hat der alte Winzer sicher erfüllt, wie denn Kur¬
sachsen seine besseren Weinlager noch im sechzehnten und siebzehnten Jahr¬
hunderte mit Reben vom Rheine und aus Schwaben veredelte und je nach
deren Bauart behandeln ließ." Daß der Norden sich früher eines Klima's
erfreut, das der Rebe nicht so feindlich gewesen als das heutzutage, ist eine
Vermuthung, die uns nicht einleuchten will. Doch mögen größere Waldungen
einigen Schutz gewährt haben. Uebrigens wurde der Wein in der alten Zeit,
soweit er Landwein war, vielfach mit Honig versüßt und mit Gewürzen
schmackhafter gemacht.

Wenn der Weinbau in Norddeutschland bis auf verhältnißmäßig geringe
Reste aufgehört hat, so hat das verschiedene Ursachen. Er war an vielen
Stellen von Klöstern betrieben worden, und diesen machte die Reformation
großentheils ein Ende. Ferner waren die Verkehrsmittel, durch die man sich
bessere Weine verschaffen konnte, allmählich bequemer und das Volk war durch
größeren Reichthum fähiger geworden, jene zu bezahlen. Sodann wirkte die
Verbreitung des Branntweingenusses seit dem Ende des fünfzehnten Jahrhun¬
derts auf den Weiukousum, Der dreißigjährige Krieg zerstörte eine große
Anzahl von Weinbergen, und von denen, die erhalten blieben, fielen viele
später dem Kartoffelbau zum Opfer. Lange Zeit hatte das Volk von der
neuen Erdfrucht im Großen und Ganzen nichts wissen wollen. Da hatten
aber der naßkalte Frühling und der regnerische Sommer von 1770 und die
Nachtfröste und Regengüsse der ersten Hälfte des folgenden Jahres, infolge
deren der Preis der Brodfrüchte auf das Vierfache des Durchschuittswerthes
stieg, eine Hungersnoth zur Folge, welche die Vorurtheile der großen Masse
gegen die Kartoffel beseitigte, und wie im Süden so beeilte man sich auch im
Norden, in Hessen und Thüringen, Ober- und Niedersachsen, in Westfalen, der
Mark und Schlesien, das Versäumte nachzuholen und, soweit es die noch
bestehenden Triften und Hutungsservitute erlaubten, die unschätzbare Knolle an¬
zubauen. Das war die Zeit, wo man anfing, jeden Rand, jeden Garten mit
Kartoffeln zu bepflanzen, wo man die Reben ausriß, um den hutfreien
Weinberg in ein Kartoffelfeld zu verwandeln, und einen großen Theil
des Brachackers, sobald er tristfrei war, mit der amerikanischen „Erdbirne" zu
besetzen. An vielen Orten verschwanden damals die Rebhügel ganz, und nur
die Namen Wingert, Weingarten oder Weinberg blieben, um spätere Ge¬
schlechter an den bedeutenden Umfang der alten norddeutschen Weinkultur zu
erinnern.


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[0512] mühevolle, hingebende Pflege vermochten gewiß jederzeit dein nordischen Reben¬ safte manches von dem zu ersetzen, was die Natur andern Weinen von selbst gab. Und diese Bedingungen hat der alte Winzer sicher erfüllt, wie denn Kur¬ sachsen seine besseren Weinlager noch im sechzehnten und siebzehnten Jahr¬ hunderte mit Reben vom Rheine und aus Schwaben veredelte und je nach deren Bauart behandeln ließ." Daß der Norden sich früher eines Klima's erfreut, das der Rebe nicht so feindlich gewesen als das heutzutage, ist eine Vermuthung, die uns nicht einleuchten will. Doch mögen größere Waldungen einigen Schutz gewährt haben. Uebrigens wurde der Wein in der alten Zeit, soweit er Landwein war, vielfach mit Honig versüßt und mit Gewürzen schmackhafter gemacht. Wenn der Weinbau in Norddeutschland bis auf verhältnißmäßig geringe Reste aufgehört hat, so hat das verschiedene Ursachen. Er war an vielen Stellen von Klöstern betrieben worden, und diesen machte die Reformation großentheils ein Ende. Ferner waren die Verkehrsmittel, durch die man sich bessere Weine verschaffen konnte, allmählich bequemer und das Volk war durch größeren Reichthum fähiger geworden, jene zu bezahlen. Sodann wirkte die Verbreitung des Branntweingenusses seit dem Ende des fünfzehnten Jahrhun¬ derts auf den Weiukousum, Der dreißigjährige Krieg zerstörte eine große Anzahl von Weinbergen, und von denen, die erhalten blieben, fielen viele später dem Kartoffelbau zum Opfer. Lange Zeit hatte das Volk von der neuen Erdfrucht im Großen und Ganzen nichts wissen wollen. Da hatten aber der naßkalte Frühling und der regnerische Sommer von 1770 und die Nachtfröste und Regengüsse der ersten Hälfte des folgenden Jahres, infolge deren der Preis der Brodfrüchte auf das Vierfache des Durchschuittswerthes stieg, eine Hungersnoth zur Folge, welche die Vorurtheile der großen Masse gegen die Kartoffel beseitigte, und wie im Süden so beeilte man sich auch im Norden, in Hessen und Thüringen, Ober- und Niedersachsen, in Westfalen, der Mark und Schlesien, das Versäumte nachzuholen und, soweit es die noch bestehenden Triften und Hutungsservitute erlaubten, die unschätzbare Knolle an¬ zubauen. Das war die Zeit, wo man anfing, jeden Rand, jeden Garten mit Kartoffeln zu bepflanzen, wo man die Reben ausriß, um den hutfreien Weinberg in ein Kartoffelfeld zu verwandeln, und einen großen Theil des Brachackers, sobald er tristfrei war, mit der amerikanischen „Erdbirne" zu besetzen. An vielen Orten verschwanden damals die Rebhügel ganz, und nur die Namen Wingert, Weingarten oder Weinberg blieben, um spätere Ge¬ schlechter an den bedeutenden Umfang der alten norddeutschen Weinkultur zu erinnern.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/512>, abgerufen am 01.10.2024.