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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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des Phallus und des weiblichen Gliedes, und zwar wurden diese Bilder, da
der Aberglaube dem Unheimlichen eine burleske Seite abzugewinnen liebt, sich
mit seinem Zauberkram gern aus humoristischen Fuß stellt, von der Phantasie
der Amuleteuschnitzer nicht selteu durch Beigabe wunderlicher Attribute, Füße,
Flügel u. dergl. aus einen: luxe; in ein ricki"uiwm verwandelt.

Die Anwendung dieses Gegenzaubermittels war unter den Römern so
allgemeiner Gebrauch, daß es bei ihnen selbst tu^inn" hieß. Hauptsächlich
wurden dnrch dasselbe die Kinder bewahrt, da sie, wie bemerkt, des Schutzes
am meisten bedurften. Man hing es ihnen an einer Schnur oder einem Riemen
entweder in eine herzförmige Kapsel oder in einen Lederbeutel verschlossen oder
anch unverhüllt um den Hals. Von der Kapsel nannte man diese Amulete
auch bulla, vom Riemen lorum. Endlich kommt auch der Ausdruck ruÄölim
vor. Sie wurden von den Knaben bis zum Empfang der Toga, von den
Mädchen bis zu ihrer Verheirathung getragen. Von solchen Talismanen be¬
richtet Barro, wenn er sagt: "?u"ris turpieula r"s in collo czuasclam susrxm-
clitur", nud Macrobius schreibt in Bezug auf sie: "eorüis kAurnm in bullg.
ante pLews". Unter den Erivachsenen scheinen sich besonders Trimnphatoren
solcher Schutzmittel bedient zu haben, indem sie das Bild des Phallus unter
ihrem Triumphwagen hängen hatten. "I^semus iinxeratorum custos -- curru8
^iumxdantium, sud Iris sacris xenäens, äelenäit meckicus inviclmiz", sagt
Plinius, und die Sache erklärt sich leicht. Der Triumphntor stand nach rö¬
mischer Auffassung auf dem Gipfel menschlichen Glückes und war so einerseits
der eignen Ueberhebung, andrerseits der Scheelsucht der Menschen und der
Mißgunst der Götter am meisten ausgesetzt, auch war zu bedenken, daß auf ihn,
wenn er auf seinem Wagen hoch über die Köpfe des der Prozession zu¬
schauenden Volkes hervorragte, aller Augen gerichtet waren, und daß ihn so
außer unzähligen bewundernden Blicken auch solche treffen konnten, die aus
doppelten Pupillen kamen. Daß man sich der Bilder von Geschlechtstheilen
endlich auch zur Abwendung der Fascination von Gärten und Wohnungen
^diente, zeigt eine andere Stelle bei Plinius, wo es heißt: "llorto et loco
^ntiÄ inviäeutium 6Mseiiu>.t.ionlZL äieg,ri vickemus in remedio ZatMeg, siMg,".

Noch bestimmter als die Schriftsteller sprechen von dem ausgedehnten
Gebrauche gerade dieses Amulets gegen den bösen Blick die Monumente. In
allen Sammlungen begegnen wir demselben. Wir finden es selbständig und
mit Henkeln versehen, um am Halse getragen zu werden, und wir sehen es an
berathen, Lampen und Schumcksachen befestigt. Häufig tritt der Phallus,
wie schon augedeutet, als Karikatur auf, indem er den Kopf eines Hahnes,
eines Hundes oder eines Widders hat, mit Füßen und Flügeln einem Vogel
ähnelt oder mit Bocksbeinen und Adlersschwingen an ein fabelhaftes Thier


des Phallus und des weiblichen Gliedes, und zwar wurden diese Bilder, da
der Aberglaube dem Unheimlichen eine burleske Seite abzugewinnen liebt, sich
mit seinem Zauberkram gern aus humoristischen Fuß stellt, von der Phantasie
der Amuleteuschnitzer nicht selteu durch Beigabe wunderlicher Attribute, Füße,
Flügel u. dergl. aus einen: luxe; in ein ricki«uiwm verwandelt.

Die Anwendung dieses Gegenzaubermittels war unter den Römern so
allgemeiner Gebrauch, daß es bei ihnen selbst tu^inn» hieß. Hauptsächlich
wurden dnrch dasselbe die Kinder bewahrt, da sie, wie bemerkt, des Schutzes
am meisten bedurften. Man hing es ihnen an einer Schnur oder einem Riemen
entweder in eine herzförmige Kapsel oder in einen Lederbeutel verschlossen oder
anch unverhüllt um den Hals. Von der Kapsel nannte man diese Amulete
auch bulla, vom Riemen lorum. Endlich kommt auch der Ausdruck ruÄölim
vor. Sie wurden von den Knaben bis zum Empfang der Toga, von den
Mädchen bis zu ihrer Verheirathung getragen. Von solchen Talismanen be¬
richtet Barro, wenn er sagt: „?u«ris turpieula r«s in collo czuasclam susrxm-
clitur", nud Macrobius schreibt in Bezug auf sie: „eorüis kAurnm in bullg.
ante pLews". Unter den Erivachsenen scheinen sich besonders Trimnphatoren
solcher Schutzmittel bedient zu haben, indem sie das Bild des Phallus unter
ihrem Triumphwagen hängen hatten. „I^semus iinxeratorum custos — curru8
^iumxdantium, sud Iris sacris xenäens, äelenäit meckicus inviclmiz", sagt
Plinius, und die Sache erklärt sich leicht. Der Triumphntor stand nach rö¬
mischer Auffassung auf dem Gipfel menschlichen Glückes und war so einerseits
der eignen Ueberhebung, andrerseits der Scheelsucht der Menschen und der
Mißgunst der Götter am meisten ausgesetzt, auch war zu bedenken, daß auf ihn,
wenn er auf seinem Wagen hoch über die Köpfe des der Prozession zu¬
schauenden Volkes hervorragte, aller Augen gerichtet waren, und daß ihn so
außer unzähligen bewundernden Blicken auch solche treffen konnten, die aus
doppelten Pupillen kamen. Daß man sich der Bilder von Geschlechtstheilen
endlich auch zur Abwendung der Fascination von Gärten und Wohnungen
^diente, zeigt eine andere Stelle bei Plinius, wo es heißt: „llorto et loco
^ntiÄ inviäeutium 6Mseiiu>.t.ionlZL äieg,ri vickemus in remedio ZatMeg, siMg,".

Noch bestimmter als die Schriftsteller sprechen von dem ausgedehnten
Gebrauche gerade dieses Amulets gegen den bösen Blick die Monumente. In
allen Sammlungen begegnen wir demselben. Wir finden es selbständig und
mit Henkeln versehen, um am Halse getragen zu werden, und wir sehen es an
berathen, Lampen und Schumcksachen befestigt. Häufig tritt der Phallus,
wie schon augedeutet, als Karikatur auf, indem er den Kopf eines Hahnes,
eines Hundes oder eines Widders hat, mit Füßen und Flügeln einem Vogel
ähnelt oder mit Bocksbeinen und Adlersschwingen an ein fabelhaftes Thier


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[0051] des Phallus und des weiblichen Gliedes, und zwar wurden diese Bilder, da der Aberglaube dem Unheimlichen eine burleske Seite abzugewinnen liebt, sich mit seinem Zauberkram gern aus humoristischen Fuß stellt, von der Phantasie der Amuleteuschnitzer nicht selteu durch Beigabe wunderlicher Attribute, Füße, Flügel u. dergl. aus einen: luxe; in ein ricki«uiwm verwandelt. Die Anwendung dieses Gegenzaubermittels war unter den Römern so allgemeiner Gebrauch, daß es bei ihnen selbst tu^inn» hieß. Hauptsächlich wurden dnrch dasselbe die Kinder bewahrt, da sie, wie bemerkt, des Schutzes am meisten bedurften. Man hing es ihnen an einer Schnur oder einem Riemen entweder in eine herzförmige Kapsel oder in einen Lederbeutel verschlossen oder anch unverhüllt um den Hals. Von der Kapsel nannte man diese Amulete auch bulla, vom Riemen lorum. Endlich kommt auch der Ausdruck ruÄölim vor. Sie wurden von den Knaben bis zum Empfang der Toga, von den Mädchen bis zu ihrer Verheirathung getragen. Von solchen Talismanen be¬ richtet Barro, wenn er sagt: „?u«ris turpieula r«s in collo czuasclam susrxm- clitur", nud Macrobius schreibt in Bezug auf sie: „eorüis kAurnm in bullg. ante pLews". Unter den Erivachsenen scheinen sich besonders Trimnphatoren solcher Schutzmittel bedient zu haben, indem sie das Bild des Phallus unter ihrem Triumphwagen hängen hatten. „I^semus iinxeratorum custos — curru8 ^iumxdantium, sud Iris sacris xenäens, äelenäit meckicus inviclmiz", sagt Plinius, und die Sache erklärt sich leicht. Der Triumphntor stand nach rö¬ mischer Auffassung auf dem Gipfel menschlichen Glückes und war so einerseits der eignen Ueberhebung, andrerseits der Scheelsucht der Menschen und der Mißgunst der Götter am meisten ausgesetzt, auch war zu bedenken, daß auf ihn, wenn er auf seinem Wagen hoch über die Köpfe des der Prozession zu¬ schauenden Volkes hervorragte, aller Augen gerichtet waren, und daß ihn so außer unzähligen bewundernden Blicken auch solche treffen konnten, die aus doppelten Pupillen kamen. Daß man sich der Bilder von Geschlechtstheilen endlich auch zur Abwendung der Fascination von Gärten und Wohnungen ^diente, zeigt eine andere Stelle bei Plinius, wo es heißt: „llorto et loco ^ntiÄ inviäeutium 6Mseiiu>.t.ionlZL äieg,ri vickemus in remedio ZatMeg, siMg,". Noch bestimmter als die Schriftsteller sprechen von dem ausgedehnten Gebrauche gerade dieses Amulets gegen den bösen Blick die Monumente. In allen Sammlungen begegnen wir demselben. Wir finden es selbständig und mit Henkeln versehen, um am Halse getragen zu werden, und wir sehen es an berathen, Lampen und Schumcksachen befestigt. Häufig tritt der Phallus, wie schon augedeutet, als Karikatur auf, indem er den Kopf eines Hahnes, eines Hundes oder eines Widders hat, mit Füßen und Flügeln einem Vogel ähnelt oder mit Bocksbeinen und Adlersschwingen an ein fabelhaftes Thier

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/51>, abgerufen am 03.07.2024.