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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Sarapis und der ebenfalls vom Nil herstammende Harpokrates. Letzterer wurde
von den dortigen Bildhauern mit dem einen Finger im Munde dargestellt,
wodurch sie ihn als Säugling bezeichnen wollten. Die Römer machten nach
dieser Geberde aus ihm einen Gott des Schweigens, und so konnte kaum
eine Gottheit als besserer Schutz gegen voreilig lobende Redensarten dienen,
dnrch die man sich selbst schaden oder von Andern beschädigt werden konnte.

Die meisten dieser Amulete, über die wir nach Otto Zahns vortrefflicher
Abhandlung berichten, sind zugleich mit den Attributen anderer Götter ausgestattet,
welche die schützende Kraft zu verstärken bestimmt waren, indem sie gewisser¬
maßen für jeden Fall einen besonderen Schirm bereit hielten. Wiederholt er¬
scheint auf denen, welche umgehängt wurden, auch eine Hand mit ausgespreizten
fünf Fingern -- Anfangs wohl das Symbol eines Gebetes um Schutz vor dem
drohenden Neid, dann ein einfacher Gegenzauber. Ganz vorzüglich aber glaubte
man die nachtheilige Wirkung des scheelen Blicks zu brechen, wenn man denselben
auf irgend eine Weise ablenkte oder theilte und so verhinderte, seiue Zauber-
macht auf den Gegenstand auszustrahlen, den man sichern wollte. Der erste
Gedanke war hier wohl der, den Neidischen, Bewundernden oder einfach
Giftigen zu schrecken, und so bestanden die Amulete für Thore, Mauern, Schilde,
Harnische und Gefäße oft in dem bekannten Gorgonenhaupte mit seiner
ausgestreckten Zunge, seinen gefletschten Zähnen und seinen hervorquellenden
Augen, oft auch in den Köpfen reißender Thiere, Löwen, Wölfen u. dergl. Noch
häufiger wurde gerade das, was den Zauber ausüben sollte, gebraucht, um
ihn abzuwehren, also gegen das böse Auge das Bild eines Auges -- eine
Art magischer Homöopathie. Am gewöhnlichsten findet sich dies an Schiffen,
mitunter an Schilden, Ringen, Vasen, Bechern und Schalen , einmal anch an
einer Leier. Man hat diese Augen in verschiedener Weise anders deuten wollen.
Aber ganz richtig bemerkt Jahr dagegen, daß dieselben hänfig mit dem Gor¬
gonenhaupte verbunden sind, welches entschieden ein Sicherungsmittel gegen den
bösen Blick war, ja daß man sogar eine Schale besitzt, ans welcher das Auge
als Stern ein Gvrgoneion zeigt, wodurch demselben also gerade die Kraft
eines solchen beigelegt wird.

Neben den Schreckbildern hatte man sodann Amulete, welche den gefähr¬
lichen Blick Anderer dadurch verwirren, in seiner Kraft schwächen oder ablenken
sollten, daß sie demselben einen grotesken Gegenstand, eine Karikatur, einen
verwachsenen Zwerg oder eine andere Mißgestalt entgegenhielten. Vor allem
aber gehört hierher das Unanständige und Unfläthige, einerseits, weil es eine
lächerliche Seite hat, baun, weil es das Auge des Wohlerzogenen beleidigt, es
zurückstößt, es nöthigt, sich abzuwenden. So galten im Alterthum als Haupt¬
mittel gegen allen Zauber, namentlich aber gegen den des bösen Blickes Bilder


Sarapis und der ebenfalls vom Nil herstammende Harpokrates. Letzterer wurde
von den dortigen Bildhauern mit dem einen Finger im Munde dargestellt,
wodurch sie ihn als Säugling bezeichnen wollten. Die Römer machten nach
dieser Geberde aus ihm einen Gott des Schweigens, und so konnte kaum
eine Gottheit als besserer Schutz gegen voreilig lobende Redensarten dienen,
dnrch die man sich selbst schaden oder von Andern beschädigt werden konnte.

Die meisten dieser Amulete, über die wir nach Otto Zahns vortrefflicher
Abhandlung berichten, sind zugleich mit den Attributen anderer Götter ausgestattet,
welche die schützende Kraft zu verstärken bestimmt waren, indem sie gewisser¬
maßen für jeden Fall einen besonderen Schirm bereit hielten. Wiederholt er¬
scheint auf denen, welche umgehängt wurden, auch eine Hand mit ausgespreizten
fünf Fingern — Anfangs wohl das Symbol eines Gebetes um Schutz vor dem
drohenden Neid, dann ein einfacher Gegenzauber. Ganz vorzüglich aber glaubte
man die nachtheilige Wirkung des scheelen Blicks zu brechen, wenn man denselben
auf irgend eine Weise ablenkte oder theilte und so verhinderte, seiue Zauber-
macht auf den Gegenstand auszustrahlen, den man sichern wollte. Der erste
Gedanke war hier wohl der, den Neidischen, Bewundernden oder einfach
Giftigen zu schrecken, und so bestanden die Amulete für Thore, Mauern, Schilde,
Harnische und Gefäße oft in dem bekannten Gorgonenhaupte mit seiner
ausgestreckten Zunge, seinen gefletschten Zähnen und seinen hervorquellenden
Augen, oft auch in den Köpfen reißender Thiere, Löwen, Wölfen u. dergl. Noch
häufiger wurde gerade das, was den Zauber ausüben sollte, gebraucht, um
ihn abzuwehren, also gegen das böse Auge das Bild eines Auges — eine
Art magischer Homöopathie. Am gewöhnlichsten findet sich dies an Schiffen,
mitunter an Schilden, Ringen, Vasen, Bechern und Schalen , einmal anch an
einer Leier. Man hat diese Augen in verschiedener Weise anders deuten wollen.
Aber ganz richtig bemerkt Jahr dagegen, daß dieselben hänfig mit dem Gor¬
gonenhaupte verbunden sind, welches entschieden ein Sicherungsmittel gegen den
bösen Blick war, ja daß man sogar eine Schale besitzt, ans welcher das Auge
als Stern ein Gvrgoneion zeigt, wodurch demselben also gerade die Kraft
eines solchen beigelegt wird.

Neben den Schreckbildern hatte man sodann Amulete, welche den gefähr¬
lichen Blick Anderer dadurch verwirren, in seiner Kraft schwächen oder ablenken
sollten, daß sie demselben einen grotesken Gegenstand, eine Karikatur, einen
verwachsenen Zwerg oder eine andere Mißgestalt entgegenhielten. Vor allem
aber gehört hierher das Unanständige und Unfläthige, einerseits, weil es eine
lächerliche Seite hat, baun, weil es das Auge des Wohlerzogenen beleidigt, es
zurückstößt, es nöthigt, sich abzuwenden. So galten im Alterthum als Haupt¬
mittel gegen allen Zauber, namentlich aber gegen den des bösen Blickes Bilder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/50>, abgerufen am 03.07.2024.