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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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bildung im Vereine selbst in Schranken zu halten, lauter Dinge, die jedes
einzeln schon eine ungewöhnliche Elastizität des Geistes und eine außerordent¬
liche Arbeitskraft erfordeten.'

Die erste Aufgabe wurde in dem zuAnfang des Jahres 1864 erschie¬
nenen Werke: "Herr Bastiat-Schulze von Delitzsch oder Kapital und Arbeit"
gelöst. Es zerfällt in eine Kritik der liberalen Oekonomie und in eine Ent¬
wickelung des Begriffs "Kapital," aus welchem dann die sozialistischen For¬
derungen Lassalle's abgeleitet werden, die sich auf Produktivgenossenschaften mit
Staatskredit beschränken. Der erste Theil polemisirt gegen Schulze in sehr
unhöflicher, zuweilen roher und geschmackloser Weise, die aber nur das
Echo der gehässigen Augriffe der Gegner Lassalle's war. In Betreff des
zweiten Theils eignen wir uns im Wesentlichen an, was Brandes a. a. O. sagt.

Bon einer ähnlichen Einrichtung wie die pariser Nationalwerkstätten von
1848 ist bei Lassalle keine Rede. Er will kein Staatsinstitut, sondern frei¬
willige Assoziation zur Erzeugung von Waaren, der Staat soll derselben nur
das Kapital beschaffen. Er soll den Arbeitern durch eine Kreditoperation ent¬
gegen kommen, sie aber nicht organisiren, nicht selbst als Unternehmer arbeiten,
sondern sie durch seinen Kredit in den Stand setzen, gemeinsam für eigue
Rechnung zu produziren. Nach seinem Plan soll ein Kreditverband sämmt¬
liche Arbeitergenossenschaften und ein Assekurauzverbcind sämmtliche Vereine
jedes einzelnen Erwerbszweigs umfassen, welcher letztere Verband die Verluste
unmerklich machen würde. Das Risiko des Kapitals existirt also für die Ge¬
nossenschaften nicht, da es keine Konkurrenz gibt. Die einheitliche Organisation
aller Assoziationen im Lande würde mindestens so weit gehen, daß man sich
gegenseitig Mittheilungen vom Zustande und den Bedingungen der gesummten
Produktion machte. In den Geschäftsbüchern aller Genossenschaften und den
Centralkommissionen, die von denselben Kenntniß zu nehmen hätten, wäre die
wahre Grundlage zu einer wissenschaftlichen Statistik des Produktionsbedarfs
und mit dieser die Möglichkeit gegeben, die Ueberproduktion zu vermeiden. So
lange dies noch nicht ganz thunlich wäre, würde sich die Ueberproduktion, da
die Genossenschaften bei ihren gewaltigen Mitteln das Bedürfniß konkurrirenden
Losschlagens nicht kennten, in einfache Vorausproduktion verwandeln. Dadurch
wären der Gesellschaft die Krisen der Ueberproduktion erspart. Ferner kommt
hierzu nach Lassalle's Meinung eine ungeheure positive Bereicherung der Ge¬
sellschaft auf diesem Wege; denn jeder kenne ja, sagt er, die Kostenersparnis,
welche durch Erzeugung von Waare im Großen bewirkt werde. Er schließt
also, daß diese großen Genossenschaften nicht nur die Vertheilung umgestalte",
sondern auch durch Beseitigung der heutigen zerbröckelten Produktion die Er¬
zeugung vou Waaren bedeutend vermehren würden, und so glaubt er, der


bildung im Vereine selbst in Schranken zu halten, lauter Dinge, die jedes
einzeln schon eine ungewöhnliche Elastizität des Geistes und eine außerordent¬
liche Arbeitskraft erfordeten.'

Die erste Aufgabe wurde in dem zuAnfang des Jahres 1864 erschie¬
nenen Werke: „Herr Bastiat-Schulze von Delitzsch oder Kapital und Arbeit"
gelöst. Es zerfällt in eine Kritik der liberalen Oekonomie und in eine Ent¬
wickelung des Begriffs „Kapital," aus welchem dann die sozialistischen For¬
derungen Lassalle's abgeleitet werden, die sich auf Produktivgenossenschaften mit
Staatskredit beschränken. Der erste Theil polemisirt gegen Schulze in sehr
unhöflicher, zuweilen roher und geschmackloser Weise, die aber nur das
Echo der gehässigen Augriffe der Gegner Lassalle's war. In Betreff des
zweiten Theils eignen wir uns im Wesentlichen an, was Brandes a. a. O. sagt.

Bon einer ähnlichen Einrichtung wie die pariser Nationalwerkstätten von
1848 ist bei Lassalle keine Rede. Er will kein Staatsinstitut, sondern frei¬
willige Assoziation zur Erzeugung von Waaren, der Staat soll derselben nur
das Kapital beschaffen. Er soll den Arbeitern durch eine Kreditoperation ent¬
gegen kommen, sie aber nicht organisiren, nicht selbst als Unternehmer arbeiten,
sondern sie durch seinen Kredit in den Stand setzen, gemeinsam für eigue
Rechnung zu produziren. Nach seinem Plan soll ein Kreditverband sämmt¬
liche Arbeitergenossenschaften und ein Assekurauzverbcind sämmtliche Vereine
jedes einzelnen Erwerbszweigs umfassen, welcher letztere Verband die Verluste
unmerklich machen würde. Das Risiko des Kapitals existirt also für die Ge¬
nossenschaften nicht, da es keine Konkurrenz gibt. Die einheitliche Organisation
aller Assoziationen im Lande würde mindestens so weit gehen, daß man sich
gegenseitig Mittheilungen vom Zustande und den Bedingungen der gesummten
Produktion machte. In den Geschäftsbüchern aller Genossenschaften und den
Centralkommissionen, die von denselben Kenntniß zu nehmen hätten, wäre die
wahre Grundlage zu einer wissenschaftlichen Statistik des Produktionsbedarfs
und mit dieser die Möglichkeit gegeben, die Ueberproduktion zu vermeiden. So
lange dies noch nicht ganz thunlich wäre, würde sich die Ueberproduktion, da
die Genossenschaften bei ihren gewaltigen Mitteln das Bedürfniß konkurrirenden
Losschlagens nicht kennten, in einfache Vorausproduktion verwandeln. Dadurch
wären der Gesellschaft die Krisen der Ueberproduktion erspart. Ferner kommt
hierzu nach Lassalle's Meinung eine ungeheure positive Bereicherung der Ge¬
sellschaft auf diesem Wege; denn jeder kenne ja, sagt er, die Kostenersparnis,
welche durch Erzeugung von Waare im Großen bewirkt werde. Er schließt
also, daß diese großen Genossenschaften nicht nur die Vertheilung umgestalte«,
sondern auch durch Beseitigung der heutigen zerbröckelten Produktion die Er¬
zeugung vou Waaren bedeutend vermehren würden, und so glaubt er, der


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[0494] bildung im Vereine selbst in Schranken zu halten, lauter Dinge, die jedes einzeln schon eine ungewöhnliche Elastizität des Geistes und eine außerordent¬ liche Arbeitskraft erfordeten.' Die erste Aufgabe wurde in dem zuAnfang des Jahres 1864 erschie¬ nenen Werke: „Herr Bastiat-Schulze von Delitzsch oder Kapital und Arbeit" gelöst. Es zerfällt in eine Kritik der liberalen Oekonomie und in eine Ent¬ wickelung des Begriffs „Kapital," aus welchem dann die sozialistischen For¬ derungen Lassalle's abgeleitet werden, die sich auf Produktivgenossenschaften mit Staatskredit beschränken. Der erste Theil polemisirt gegen Schulze in sehr unhöflicher, zuweilen roher und geschmackloser Weise, die aber nur das Echo der gehässigen Augriffe der Gegner Lassalle's war. In Betreff des zweiten Theils eignen wir uns im Wesentlichen an, was Brandes a. a. O. sagt. Bon einer ähnlichen Einrichtung wie die pariser Nationalwerkstätten von 1848 ist bei Lassalle keine Rede. Er will kein Staatsinstitut, sondern frei¬ willige Assoziation zur Erzeugung von Waaren, der Staat soll derselben nur das Kapital beschaffen. Er soll den Arbeitern durch eine Kreditoperation ent¬ gegen kommen, sie aber nicht organisiren, nicht selbst als Unternehmer arbeiten, sondern sie durch seinen Kredit in den Stand setzen, gemeinsam für eigue Rechnung zu produziren. Nach seinem Plan soll ein Kreditverband sämmt¬ liche Arbeitergenossenschaften und ein Assekurauzverbcind sämmtliche Vereine jedes einzelnen Erwerbszweigs umfassen, welcher letztere Verband die Verluste unmerklich machen würde. Das Risiko des Kapitals existirt also für die Ge¬ nossenschaften nicht, da es keine Konkurrenz gibt. Die einheitliche Organisation aller Assoziationen im Lande würde mindestens so weit gehen, daß man sich gegenseitig Mittheilungen vom Zustande und den Bedingungen der gesummten Produktion machte. In den Geschäftsbüchern aller Genossenschaften und den Centralkommissionen, die von denselben Kenntniß zu nehmen hätten, wäre die wahre Grundlage zu einer wissenschaftlichen Statistik des Produktionsbedarfs und mit dieser die Möglichkeit gegeben, die Ueberproduktion zu vermeiden. So lange dies noch nicht ganz thunlich wäre, würde sich die Ueberproduktion, da die Genossenschaften bei ihren gewaltigen Mitteln das Bedürfniß konkurrirenden Losschlagens nicht kennten, in einfache Vorausproduktion verwandeln. Dadurch wären der Gesellschaft die Krisen der Ueberproduktion erspart. Ferner kommt hierzu nach Lassalle's Meinung eine ungeheure positive Bereicherung der Ge¬ sellschaft auf diesem Wege; denn jeder kenne ja, sagt er, die Kostenersparnis, welche durch Erzeugung von Waare im Großen bewirkt werde. Er schließt also, daß diese großen Genossenschaften nicht nur die Vertheilung umgestalte«, sondern auch durch Beseitigung der heutigen zerbröckelten Produktion die Er¬ zeugung vou Waaren bedeutend vermehren würden, und so glaubt er, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/494>, abgerufen am 03.07.2024.